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The Strokes und „Is This It“: Schnösel rocken besser

Auf ihrem Debütalbum „Is This It“ erfinden The Strokes den Designer- Rock'n'Roll fürs digitale Zeitalter.

Die ohnehin nicht so tollen Parties zum Jahrtausendwechsel hinterließen einen heftigen Kater. Es war plötzlich 2000. Ein neues Millenium. Und alles sah noch genau aus wie vorher.

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Wo die Zukunftsbücher der Sechziger bereits fliegende Taxis und futuristische Städte auf dem Mond gesehen haben, ist die 2000er-Gegenwart weit entfernt von der Robotertanz-Disco der schwarzweißen TV-Serie „Raumschiff Orion“. Sogar die alte DM ist noch da. Angela Merkel wird CDU-Chefin. Harry Potter kommt in die deutschen Buchhandlungen. Und in Hannover gibt es seine EXPO.

Das vom amerikanischen Politsphären-Erklärer Francis Fukuyama postulierte „Ende der Geschichte“ scheint auch für die Popmusik zu gelten. Techno und House Music sind längst nicht mehr so modern wie bei der ersten Love Parade. Auch der DJ als Zeremonienmeister der Nacht und Popstar einer neuen, digitalen Zeit stößt längst an seine Grenzen. Stattdessen Nu-Metal, Rockdinosaurier und der geschichtsvergessene Brit-Pop. Dazu Britney Spears, Eminem und die Vengaboys. Auch 2001 ändert an dieser Flaute nicht viel.

Dann meldet sich quasi aus dem Nichts eine Band aus dem Big Apple. The Strokes nennen sie sich. Die Hiebe? Die Schläge? Die Pinselstriche? Klingt auf jeden Fall zackig und dynamisch. Fünd schnöselige Typen aus höheren New Yorker Showbiz-Kreisen, die das Rock’n’Roll-Quintett nach den Rolling Stones neu erfinden. Mal eben so am Designertisch.

23, 24 sind sie und schön verstrubbelt in schwarzen Klamotten. Einer von ihnen, Gitarrist Albert Hammond Jr., ist gar der Sohn des britisch-amerikanischen Erfolgsmusikers Albert Hammond, der Wohlfühl-Hits wie „It Never Rains in Southern California“ geschrieben hat.

The Strokes

Diese Strokes kommen also mit einem Albumcover daher, das einen nackten Frauentorso zeigt, der sich mit einem Latexhandschuh auf den Hintern patscht. Wie sich später herausstellt, die damalige Freundin des Fotografen. Eine gewagte Auswahl für den prüde-konservativen US-Markt, die in Amerika (im Gegensatz zum Rest der Welt.) letztlich dann doch NICHT zum Einsatz kommt. Stattdessen müssen die Amis mit einem psychedelischen Blubberdesign vorliebnehmen, das Sänger Julian Casablanca letztlich besser als die ursprüngliche Version des Artworks von „Is This It“ findet.

Eine Befreiung für den Moment

Neben der rasanten Gitarrenabfahrt „Last Nite“, bis heute ein Klassiker jeder Indie-Disco, ist auch der Song „New York City Cops“ vorgesehen („They ain’t too smart“ heißt es darin). Nach den Attacken vom 11. September wird dieser vom US-Tracklisting verbannt.

Viel Action um eine Newcomerband, mit der das Londoner Indielabel Rough Trade einen weltweiten Coup landet. Der amerikanische ROLLING STONE hört wiederum eine verdächtige Nähe von „Last Night“ zu Tom Pettys „American Night“. Worauf dieser nur elder statesman-mäßig schmunzeln kann und The Strokes später als Support seiner 2006er-Tour einlädt. Die Single „Hard To Explain“ bekommt ein Video von Filmregisseurin Sophia Coppola, die dort geschnipseltes Material von NASA-Weltraumaufnahmen und Vintage-Computerspielen verwendet.

Die elf melodiös-punkigen Songs sorgen für mächtig viel Gewusel. Eine der ersten Knallerplatten der Dekade, die mit traditioneller Rotzigkeit den Grauschleier des neuen Jahrtausends zerreißt. Der wilde Retroschwung der Strokes wird zwar nicht all zu lang vorhalten. Doch für den Moment wirkte „Is This It“  wie eine Befreiung.

Stewart Isbell

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