Träumer in der Zeit des Miss Vergnügens

Das späte Meisterwerk „Time The Conqueror" zeigt Jackson Browne als einen Mann, dessen politischer Idealismus ungebrochen ist - und der immer noch an die Liebe glaubt. Auch wenn sie vielleicht nicht lange hält.

Am 9. Oktober wurde Jackson Browne 60 Jahre alt – eine Tatsache, die ihn nicht weiter beschäftigt. Mit „Time The Conqueror“ hat er gerade wieder bewiesen, dass er immer noch großartige Songs schreiben kann – und seinen Idealismus trotz allen Spotts ebenso wenig verloren hat wie seine romantische Ader. Sechs Jahre sind seit seinem letzten Studio-Album „The Naked Ride Home“ vergangen – eine Zeit, die Browne für zwei Live-Alben („Solo Acoustic Vol. r &P2“) genutzt hat, für viele Konzerte und diverse politische Kampagnen. Er setzt sich immer noch für die Demokraten und gegen neue Kernkraftwerke ein, ist Mitglied der Organisation „1% For The Planet“. Ein Prozent seiner Einnahmen gehen also an Umweltschutzorganisationen.

Auf „Time The Conqueror“ wechseln sich sozialkritische Stücke mit persönlichen Erinnerungen und Liebesliedern ab. Wie schwer ist es, das alles unter einen Hut zu bringen?

Ich brauche immer sehr lange, bis ein Song fertig ist. Manchmal liegen die jahrelang rum… Aber wie könnte man nicht über politische Dinge sprechen, wie sollte man sich davor zurückziehen können? Der Krieg spielt in unserem täglichen Leben so eine große Rolle. Man muss darüber reden. Aber was zum Beispiel das Stück „Going Down To Cuba“ betrifft — davon haben die meisten Leute hier in Amerika keine Ahnung. Das ist ein spielerischer Song mit einem politischen Kontext, den manche wohl gar nicht einordnen können. Für mich ist der Song wie eine Umarmung. Wenn politische Themen mit ganz persönlichen Empfindungen zusammengehen, wenn das funktioniert dann hat man einen guten Song. Die Leute gewöhnen sich auch immer mehr daran, dass es da keine strikte Trennung gibt.

Der Song erzählt nicht nur vom Embargo und der Armut, sondern auch von niemals endender Musik, Rum und Eiscreme. Kommt da etwas Ironie durch?

Eigentlich eher nicht. Die Kubaner sind in der deprimierendsten ökonomischen Situation, die man sich vorstellen kann. Die Armut ist grausam, die politische Lage entmutigend. Das müsste einen verrückt machen. Aber sie haben diese große musikalische Tradition, die immer noch ihr Leben bestimmt. Die Musik hilft ihnen wirklich zu überleben. Ich will mit dem Stück auch ein bisschen die Wahrnehmung der Menschen, was Kuba betrifft, verändern und ein paar mehr gute Gefühle in diese Geschichte hineinbringen. Und vielleicht die Frage aufwerfen: Gibt es überhaupt noch gute Gründe für das Handels-Embargo? Wir handeln mit China, einer kommunistischen Diktatur. Wir wollen ihr Geld. Was ist das Problem mit Kuba? Soll wirklich noch Castro unter Druck gesetzt werden—oder schaden wir nur den Menschen dort?

in „Where Were You“ geht es um den Hurrikan Katrina und die Tatsache, dass vor allem die Armen zu leiden hatten. Das beschäftigt Sie immer noch?

Natürlich! Jeder war damals schockiert -vor allem davon, dass die Regierung nicht reagierte. Das geht ja immer noch weiter. Man fragt sich immer noch, wie das passieren konnte. Man muss aber auch mal die Rolle der Medien hinterfragen. Erst überlebt man die Katastrophe – und dann wird man auch noch als Verbrecher hingestellt, als Plünderer und Dieb, wenn man sich Essen und andere Unentbehrlichkeiten holt.

Wir haben viele Arme in unserem Land, aber das wird nicht anerkannt, weder von den Medien noch von der Regierung. Die Prioritäten waren gleich klar: Eigentum bewahren, bloß keinen in die Läden einbrechen lassen—notfalls lieber jemanden erschießen. Aber solche Katastrophen kann man nur überleben, wenn die Leute zusammenhalten. Amerika hat keinen Bezug mehr zu seinen eigenen Leuten, zu den Armen, (überlegt lange) Natürlich weiß ich, dass ein Song was anderes ist als ein Essay, oder eine Rede. Bei einem Song will man nicht nur seinen Standpunkt darstellen, sondern einen emotionalen Konsens herstellen.

John McCain hat „Runmng On Empty“ für seine Kampagne gegen Barack Obama benutzt, bis Sie geklagt haben. Was sagt der Song heute für Sie aus?

Er handelt davon, immer weiterzumachen, auch wenn man gerade nicht weiß, warum. Weiter Vertrauen in die Zukunft zu haben, auch wenn man vielleicht gerade wenig Grund dazu hat. Eigentlich ist es ein positiver Song.

Sie kämpfen seit Ende der 70er Jahre gegen Atomkraft und Nuklearwaffen. Wie sieht es mit Ihrem eigenen Umweltschutz aus?

Ich habe ein Haus, das völlig unabhängig vom Stromnetz ist: Es läuft mit Wind- und Solarenergie. Am meisten Strom brauche ich für mein Studio, aber wir versuchen gerade, etwas daran zu ändern. Jack Johnson hat so ein Studio, das nur mit Solarenergie betrieben wird. Wir müssen uns der Herausforderung stellen, wir müssen Neues ausprobieren, um unsere Ressourcen zu bewahren.

In „Off Of Wonderland“ geht es um die 60er Jahre und den unbedingten Glauben an die Liebe. Was ist davon heute noch übrig?

Der Idealismus, den man als junger Mensch hat, geht den meisten Leuten recht schnell aus. In den 6oer Jahren waren die Ideen so groß, die Hoffnungen — und ich glaube, das kommt jetzt wieder.

Dieses Gefühl der Veränderung, dass etwas getan werden muss – das spürt man wieder, wenn auch auf andere Weise, weniger naiv. Es geht nicht mehr nur darum, dass alle sich lieben sollen. Auch wenn der Kernpunkt bleibt: Was ist das Leben ohne Liebe wert?

Im Song „Giving That Heaven Away“ geht es auch um eine Art persönlicher Freiheit und Abenteuerlust, die junge Leute haben. Die Melodie hatte ich schon ewig, aber ich wusste nicht, ob ich über eine so kurze Begegnung vor so langer Zeit schreiben durfte. Man muss schon einen guten Grund haben, um etwas so Persönliches in die Öffentlichkeit zu zerren. Für mich war es diese absolute Bewunderung für eine Frau, die einfach tat, was sie wollte. Sie, die ich nur für ein paar Stunden getroffen hatte, schrieb mir vor ein paar Jahren einen Brief und erzählte, was sie so macht, wie ihr Leben ist. Vorher wusste ich praktisch nichts von ihr. Sowas kam damals ja häufiger vor flacht). Aber dieser Brief hat mich berührt. Leider finde ich ihn jetzt nicht mehr – also antworte ich ihr mit diesem Song. Das ist so ähnlich wie eine Vermissten-Anzeige. Jeder persönliche Song braucht eine universelle Komponente, sonst funktioniert er nicht.

Wie schreibt man ein Liebeslied, das nicht kitschig ist?

Es ist sehr schwer, über Liebe zu reden. Ich stelle mich da sehr an. Aber meine Freundin und ich können gut damit umgehen, wir verstehen uns einfach und halten das nicht für selbstverständlich. Darum geht es in „Just Say Yeah“. Man weiß nie, wie lange etwas funktioniert, die Ewigkeit erreicht man vielleicht nicht, also macht man besser das Beste aus jedem einzelnen Tag. Ich halte nicht viel davon, dauernd mit Gelaber über die unsterbliche Liebe herauszuplatzen. Das ist keine gute Idee.

Ich habe diese 87-jährige Bekannte, die begeistert von meiner Freundin ist und mir trotzdem immer zur Vorsicht rät. Sie kannte auch meine erste und zweite Frau, und sie sagte immer: Häng dich nicht zu sehr rein, gib nicht zu viel von dir her. (denkt nach) Warum erzähle ich all das? Weil ich finde, dass es besser ist, es sich nicht zu gemütlich zu machen und zu glauben, dass etwas für alle Ewigkeit hält. Leute heiraten und denken, das war’s. Aber man kann nie hundertprozentig überzeugt von einer Beziehung sein. Meine Freundin ist es jedenfalls bestimmt nicht.

In „Live Nude Cabaret“ haben Sie ein paar Zeilen aus dem Gospel „Go Down Moses“ eingebaut – obwohl es in dem Stück doch eher um sexuelles Verlangen geht, oder?

Schon, aber es gibt da eine Verbindung. Bei „Go Down Moses“ geht es um Sklaverei, um Gefangenschaft. Als es die Schwarzen vor 100 Jahren sangen, handelte das Stück oberflächlich vielleicht von Moses und den Kindern Israels, die in Ägypten versklavt werden, aber tatsächlich ging es natürlich um ihre eigene Situation als Sklaven. Wenn ich das jetzt zitiere, dann beziehe ich mich auf die Sklaverei, in die Männer sich heutzutage freiwillig begeben. Indem sie Frauen obsessiv verehren, vor allem ihre Schönheit. Der Subtext des Songs ist: Verlangen führt zu Unfreiheit — die natürlich gewollt ist. Rede ich mich gerade um Kopf und Kragen? Man sollte das alles nicht zu ernstnehmen. It’s like d sexual carol, that’s all.

Was bedeutet Ihr 60. Geburtstag für Sie?

Mir ist das nicht so wichtig. Für mich existiert alles zur gleichen Zeit-die Vergangenheit, die Zukunft, die Gegenwart. Ich werde zu meinem Geburtstag nicht nostalgisch, da habe ich Besseres zu tun. Ich habe irgendwo gelesen, dass Mensehen ungefähr 7000 Gedanken am Tag haben, und die meisten davon hat man jeden Tag. Die Zeit ist etwas sehr Dehnbares. Natürlich denkt man oft zurück, aber ich hoffe, vor allem, um etwas aus der Vergangenheit zu lernen. Ich halte nichts davon, wenn Leute sagen, man soll nicht zu lange über Fehler nachdenken. Man soll sehr wohl überlegen, was man besser machen könnte. Wenn man sich immer nur auf die Realität beschränkt und nie gewisse Utopien zulässt, ist das Leben einfach zu armselig.

Auf dem Cover tragen Sie einen grauen Bart – um endlich so alt auszusehen, wie Sie tatsächlich sind?

Glaub mir, ich sehe jeden Morgen mindestens so alt aus, wie ich bin. Aber man kann natürlich immer Fotos machen, auf denen man jung aussieht – und sie dann noch schön bearbeiten. Doch bei diesen Songs auf „Tims The Conqueror“ geht es ja darum, mit dem Leben klarzukommen – so wie es eben ist, nicht wie man sich ausmalt, dass es vielleicht sein könnte. Ich wollte ein Bild, das das ausdrückt. Ein einfaches Bild, eine Momentaufnahme, kein retouchiertes Marketing-Ding. Inzwischen ist der Bart allerdings wieder ab. Im Studio war der ganz bequem, fand ich. Aber man wird nicht so viel geküsst, wenn man nicht rasiert ist.

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