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WM-Verschwörungstheorie: Wie viele Elfmeter bekommt Südkorea geschenkt?

Unser WM-Autor ist vom Kult um die kleinen Mannschaften im Turnier reichlich genervt und froh, dass die Wikinger-Isländer ausgeschieden sind. Für Deutschland könnte es ein kurzes Turnier werden.

„We were ready to dance on the grave.“
Gary Neville, englischer Nationalspieler 1995-2007

„Wenn du bei der EM das Gefühl hast, na gut, ich hab mir gestern das Spiel gar nicht richtig angeguckt, dann ist irgendetwas faul. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich irgendwann bei einem früheren Turnier mal gedacht habe: Wer spielt Mittwoch eigentlich? … Sehr viele Spieler waren einfach müde, das müsste uns alarmieren. Aber ich fürchte, es wird sich trotzdem nichts ändern.“

Jürgen Klopp, im Interview mit Oliver Müller, WamS 17.07.16

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Wieviele Elfmeter bekommt am Mittwoch Südkorea? Die letzten Tage der Vorrunde sind die Zeit der Verschwörungstheorien. Ist es schonmal einem aufgefallen, wie viele Elfmeter unsere putzigen Fußballzwerge, die kein Mensch braucht, das Kanonenfutter der Vorrunde zugesprochen bekommen? Der Iran gegen Portugal, Island gegen Kroatien. Und was für Elfer? Der absurde Elfmeter Saudi-Arabiens gegen Ägypten dürfte den König in Riad eine sechsstellige Summe gekostet haben. Die Krone auf allem war aber der Elfmeter, den Nigeria gegen Argentinien bekam.

Also: Wieviele Elfmeter bekommt Mittwoch Südkorea zugesprochen?

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Raus sind sie alle jetzt trotzdem. Jetzt kann die WM beginnen!

Vor allem die bei den Isländern freut mich das. Denn es gab schon bei der EM 2016 nichts, was so genervt hat, wie der Island-Hype, die Cuteness die das fußballfremde Mainstream-Publikum im Huh-huh findet und um Erfolg der Underdogs. Man lobt dann dass das doch so gute, supersympathische Typen seien, die eben „das Beste aus ihren Möglichkeiten“ machen, wenn sie ihre Gegner krankenhausreif treten, einen Messi zu fünft zustellen und sich mit acht Mann im eigenen Strafraum verschanzen. Tatsächlich spielen die Isländer „rustikal“ um ihre Überhärte mal vorsichtig zu formulieren, legen alles nur auf Spielzerstörung an, denn spielen können sie gar nicht

Es ist schick, sie toll zu finden, und „Wikinger“ zu nennen, obwohl die Wikinger eigentlich aus Norwegen stammen. Aber sie sind ja Underdogs, da ist alles erlaubt. Und schließlich haben sie in Island sogar ein Feen-Ministerium. Die Isländer sind eine klassische Mädchen-Mannschaft, also ein Team für das Teenager schwärmen, weil die Jungs „so git aussehen“ und „soo toll spielen“ und „das Land ist doch sooo klein“.

Warum sagt keiner die Wahrheit? Die Isländer spielen hässlich. Messi zuzustellen, zu Not zu foulen und wenn man mal an den Ball kommt ihn lang nach vorn zu hauen ist auch nicht sehr einfallsreich, auch wenn es manchmal für eine Weile funktioniert. Immerhin Thomas Hitzlsperger, nannte die Isländer „einfältig“, und stellte fest: „Da kommt nichts Neues.“

Eine Weile lang war man froh, bei uns den Rumpelfußball und das schnöde Effizienzgekicke früherer Jahre abgeschafft zu haben. Aber mit den Isländern kehren viele von uns dann gern zum Prinzip, dass der Erfolg die Mittel heiligt zurück. Und das „Huh“, der „Viking Clap“ ist auch nicht authentisch, sondern nur ein Marketing-Gag.

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Christoph Kramer behauptete zu den Isländern im ZDF, es sei „in der DNA des Menschen, für den Underdog zu halten.“ Also in meiner DNA steckt das nicht. Ich will kein Finale Island gegen Marokko, sondern Spitzenspiele wie Spanien gegen Portugal.

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Wer wissen will, wie man die WM auch kommentieren kann, sollte sich die Übertragungen der Briten angucken, und die Diskussionen danach. Da erlebt man dann endlich mal eine Perspektive auf das Spiel, die über den Hallenfußballhorizont der deutschen Kommentatoren und Experten hinausgeht. „We were ready to dance on the grave“ sagte Gary Neville, englischer Nationalspieler 1995-2007 nach dem glücklichen deutschen Sieg über Schweden.

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Während bei uns dann schon wieder fast alles schöngeredet wurde, und die Medien vor allem über die weinerliche Medienschelte der deutschen Nationalspieler redeten, erklärte Neville – „I thought it was really poor from Germany tonite“ – , warum die DFB-Elf gegen Mexiko eigentlich ganz ok gespielt hatte, denn Mexiko war richtig gut, gegen Schweden aber desaströs. Er habe Deutschland noch nie „so naiv“ gesehen. Und dann ein hochinteressanter Gedanke: Der Einfluss von Pep Guardiola auf dieses deutsche Team sei zu groß, zugleich habe man Guardiola nur unzureichend verstanden: Die Außenverteidiger stehen sehr hoch, sind sehr offensiv, die zwei Innenverteidiger aufgeteilt und auf sich gestellt. „Im Unterschied zu City oder Barca unter Guardiola stehen die Innenverteidiger aber nicht im Mittelfeld um die Gegenangriffe aufzuhalten, sondern zu weit hinten. „So kommt alles immer wieder ins Stocken.“

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Jetzt geht wie gesagt die WM langsam richtig los. Morgen wird sich Kolumbien noch qualifizieren, gemeinsam mit Japan.
Die interessanteste Frage des letzten Spieltags ist die ob die Belgier im letzten Vorrundenspiel gegen England so schlau sein werden, absichtlich zu verlieren, und was passiert, wenn die Engländer das Gleiche vorhaben?

Denn der Sieger der Gruppe G wird es mit dem Zweiten der Gruppe H, also vermutlich Kolumbien zu tun haben, der Zweite mit dem Gruppensieger, vermutlich Japan. Passenderweise wissen Belgier und Briten bereits vor ihrem Spiel, wer die jeweiligen Gegner sind – nur Zufall, oder ein Trick der FIFA-Planung?

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WM-Prognose

Mein Favorit bleibt trotz des letzten Spiels Spanien. Die Spanier machen die jüngsten Ereignisse mit dem Trainerausschmiß zwei Tage vor WM-Beginn eher stärker. Sie haben gegen Portugal das bisher beste WM-Spiel mit 3-3 gewonnen, denn ihre drei Treffer waren Feldtore, die der Portugiesen ein absurder Torwartpatzer, ein Elfmeter und ein Freistoß.

Der Unsicherheitsfaktor ist allenfalls der spanische Interims-Trainer Hierro. Im Portugal-Spiel waren seine Auswechslungen falsch, und haben vermutlich Spanien den Sieg gekostet: Die Entscheidung, statt auf das 4-2 zu spielen, nach der 70. Minute die drei gefährlichsten Offensivspieler rauszunehmen war kontraproduktiv – mochte die Auswechselung bei Iniesta noch Sinn machen, hat der Abgang von Costa und Silva die Spanier geschwächt.

Uruguay und Kolumbien sind auf sehr unterschiedliche Weise beide sehr stark, während die Deutschen deutliche Schwächen zeigen, und ihre Gegner weniger Angst haben. Die Franzosen spielen öde, langweilig und weniger gut als bei der EM vor zwei Jahren. In einer leichten Gruppe zeigten sie wenig Brillanz.

Argentinien dagegen spielte zunächst schwach, steigerte sich aber und ist wie Deutschland immer eine Turniermannschaft, die immer stärker gegen starke Mannschaften auftritt.

Die Geheimfavoriten sind genauso wenig geheim wie vor dem Turnier: Belgien und Kroatien. Wobei Kroatien am Ende wie immer, also schön und effektiv spielend, aber sich selbst überschätzend, im Viertelfinale gegen Spanien, den Achtelfinal-Sieger gegen Rußland ausscheiden dürfte.
Die Belgier aber werden weit kommen: Werden sie Zweiter ihrer Gruppe und schalten dann die Japaner aus, dann spielen sie gegen den Sieger aus Mexiko-Schweiz.

Die große Unbekannte sind diese Schweizer: Zäh, unangenehm, körperlich extrem robust, konnte man in ihren bisherigen Spielen vor allem auf: Sie sind in der zweiten Halbzeit immer besser,als in der ersten. Sie werden nicht müde. Mag sie im Spiel gegen die Serben auch der antiserbische Nationalismus ihrer kosovoalbanischen und bosnischen Herkunft motiviert haben, sind Alpenkicker doch schwer zu besiegen. Ob Mexiko das schafft? Vielleicht im Elfmeterschießen.

Auf ein Elfmeterschießen würde ich auch im Fall von Uruguay-Portugal wetten. Das ist eine der spannendsten Paarungen, die der Spielplan schon im Achtelfinale bereit hält: Zwei torarme, überaus zähe Gegner. Uruguay sehe ich mit leichten Vorteilen, aber ob es zu mehr als einem 1-1 reicht?

Frankreich – Argentinien aber wird der Hammer. Es sollte mich nicht wundern, wenn die Argentinier, die am Dienstag bereits in den Abgrund geblickt haben, ihm aber entkommen sind, sich gegen Frankreich, wo sie endlich mal nicht Favorit sind, freispielen, und die besseren Nerven haben.

Und Deutschland? Scheidet im Achtelfinale gegen Brasilien aus. Denn die Selecao wird sich angemessen rächen an der Mannschaft, die sie bei ihrer Heim-WM derart obszön gedemütigt hat.

Alles aber wird anders, wenn entweder die Koreaner am Mittwoch zwei Elfmeter zugesprochen kriegen. Oder, was wahrscheinlicher ist, wenn die Schweizer Costa Rica wegprügeln, und die Brasilianer den Serben ein elegantes Unentschieden schenken, um Zweiter zu werden: Deutschland – Schweiz, das wäre ein Achtelfinale! Dann würde Deutschland im Viertelfinale gegen England oder Kulumbien antreten, und dürfte seine´m Ruf als Turniermannschaft wieder einmal gerecht werden.

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War das nun bisher eine interessante WM? Einerseits ja, weil vieles möglich schien, und ab dem 2.Spieltag der Vorrunde viele auf Sieg spielen mussten, weil sie beim ersten Mal nicht gewonnen haben: Deutschland, Argentinien, Brasilien, Spanien, Schweiz und Kolumbien.
Andererseits ab es viel Mauertaktiker, Defensivmannschaften und Riegelkünstler und das harte Steineklopfen der guten Teams dagegen.
Sportlich begeistert die WM eher mäßig. Zu viele Spiele sind öde und langweilig, alle Stärkeren spielen auf Nummer sicher, alle Schwächeren auf Zustellen des Gegners. Mal sehen, ob sich daran bald etwas ändert.

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