Zwischen albern und genial

Ein schwindsüchtiger Poet, nackte Hintern, Anarchie und Unsinn: Die Österreicher Ja, Panik sind die neuen Könige des Diskurspop – obwohl sie alles tun, um nicht zu sehr geliebt zu werden.

Einmal, im Herbst 2007, als die fünf von der Gruppe Ja, Panik bei einem sonderbaren Österreichabend auf der Berliner Popkomm spielen mussten – da langweilten sie sich bei der Aftershowparty so sehr, dass sie sich mitten in der Bar, völlig unmotiviert, alle nackt auszogen. Es gab ein Handgemenge, am Ende flogen die Musiker (wieder angezogen) auf die Straße. Die Aktion sei eher blöd als subversiv gewesen, gaben sie später zu – dabei müsste diese bübchenhafte, hinterlistige, gerne alberne Burgenländer Band, von der gerade so viele reden und schwärmen, es eigentlich am besten wissen: Zwischen besoffener Posse und Kunstbemühung, Blamage und situationistischem Coup klar zu unterscheiden, ist heutzutage so unmöglich wie sinnlos.

Wer zum Beispiel bei Amazon die Ja, Panik-Platte „The Angst And The Money“ kaufen will, muss sich dort erst ein Video mit einem kleinen Theaterstück anschauen, in dem Sänger Andreas Spechtl mit Amazon-Logo auf dem Rücken bei den Gefährten klingelt und ihnen Geldbündel auf den Tisch knallt. Den Clip zum herrlichen, hektischen Piano-Hit „Alles hin, hin, hin“ („Ohne Geld keine Angst, ohne Angst kein Geld“) beginnt mit einer Fünf-Minuten-Rede des Gitarristen, einer akademisch-linksradikalen, blöden, subversiven Provokation. Ein Auftritt beim Donaufestival in Krems bestand nur darin, dass die Band ihre Anlage auf- und wieder abbaute, während aus dem Off vermeintliche Roadies lästerten, dass Spechtl ohne einen gescheiten Weinschorle-Rausch ja gar nicht mehr auftreten könne.

Zumindest das dürfte also klar sein: Im Jahr 2011, mit ihrer vierten, phänomenalen Platte „DMD KIU LIDT“ sind Ja, Panik die neuen Helden des sogenannten Diskurspop – dieser als verkopft geschmähten Musik, die sich gezielt in literarische und politische Zeichen kleidet, manchmal zu aufgeregt mit ihnen fuchtelt, oft aber gerade so die großen Dinge sagt, die anders nicht mitzuteilen wären. Blumfeld sind weg, Tocotronic werden alt. Und die Panik-Typen sind jetzt, mit Mitte 20, weit genug, um sich ein wenig Arroganz leisten zu können.

Als Mittelstands-Teenager in Neusiedl am See vom Britpop-Hype entflammt, benannten sie ihre Schülerband Flashbax noch nach einer Oasis-B-Seite, verlagerten sich nach Wien, machten 2006 das erste Album unter neuem Namen, einem Textfetzen aus dem Song „Totenjäger gegen Geisterjäger“: „Ja, Panik treibt mich aus dem Bett“. Sänger Spechtl zog dann Ende 2008 nach Berlin, ein Jahr später folg-ten die anderen. Nicht wegen Techno oder Niedrigmieten, eigentlich auch mehr so aus Langeweile. Und weil Ja, Panik nur unter der ungeschriebenen Bedingung arbeiten, dass sie als Fünfer-WG zusammenwohnen. „Wir haben schnell angefangen, die Gruppe als übergreifendes Projekt zu verstehen. Als Bande, die das Leben miteinander teilt“, sagt Spechtl, mit müdem, leicht schwindsüchtigem Blick. „Wir fanden alle immer das Konzeptuelle an Bands gut. Dass da auch abseits von der Musik etwas passiert.“

Wie ein dünnes, fröstelndes Tier hat er sich auf dem gelben Kunstleder-sofa im Proberaum-WG-Wohnzimmer zusammengekauert, blitzsauber in Cardigan und Anzughose. Über ihm ein slowakisches Morrissey-Plakat, gegenüber der Phonoschrank mit Flohmarktausgaben von John Cale, Dylan und The Clash, vor dem Fenster der Lärm einer Friedrichshainer Hauptverkehrsader. Die anderen essen Schokokuchen, er raucht gedrehte Zigaretten, mit tattriger Dichterhand. Mit der anderen zerzaust er sich beim Reden die Haare.

Spechtl – man kann es nicht weniger übertrieben sagen – ist einer dieser Jahrhundertcharaktere voller Ennui und Coolness, die man ganz selten trifft, einer aus der Reihe Rio Reiser, Falco, Distelmeyer. Vater Rainer Spechtl ist Schauspieler, Wiener Bluessänger, Villon-Interpret und vieles mehr. Die Mutter? „Lebenskünstlerin“, sagt er trocken. Als Talk-gast der großen ORF-Show „Willkommen Österreich“ gab der 27-Jährige sich grinsend und extra zäh, erklärte die Motivation der Band mit „Langeweile und ein bisschen Verbitterung“. Kürzlich tauchte ein Video auf, in dem er maßlos betrunken – oder gut gespielt – aus einem Kinderbuch vorliest und am Ende vom Stuhl fällt. Dagegen war der 90er-Diskurspop ein Parcours eifriger Musterstudenten.

Und dann, wenn alles zu strange und zu albern werden droht, schreibt und singt er monumentale Lieder wie das Titelstück „DMD KIU LIDT“, eine 15 Minuten lange Flaneurs- und Selbstzermarterungsballade, die von Kairo und New York über die Partybegegnung mit einer Ex-Freundin bis an den Schollenrand des Irrsinns führt: „Du stammelst was von Pazifismus und lässt dich ficken für ein Handgeld“, tobt Spechtl und erklärt als grässlicher Eulenspiegel, wie all das Selbstmitleid und der behagliche Boheme-Glamour auch nur Ausreden dafür sind, an einer maroden Welt nichts ändern zu müssen. „DMD KIU LIDT“ heißt übrigens „Die Manifestation des Kapitalismus in unseren Leben ist die Traurigkeit“, zitiert aus einem anarchistischen Pamphlet der Gruppe um den französischen Aktivisten Julien Coupat.

Das sind Ja, Panik: die deutschen Velvet Underground mit dem verkühl-ten Walter Benjamin am Gesang. Die Spaßbremsen mit den steilen Entwürfen, die sich daran aufgeilen, dass sie keiner versteht – und sich dabei doch an all die schmerzenden Fragen wagen, an denen gewöhnliche Publikumslieblinge vorbeiwieseln. „Es geht bei uns die ganze Zeit darum: Hier stehen wir – und wie kommen wir jetzt wieder weg?“, sagt Spechtl. Kann sein, dass diese Stimme uns in fünf Jahren auf den Wecker geht. Im Moment gibt es keine, der man atemloser zuhören würde.

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