David Bowie wird 65 – Ein Hoch auf Major Tom

David Bowie, der größte Entertainer des Pop-Zeitalters, wird 65. Ein Geburtstagsgruß von Joachim Hentschel.

Es wäre jetzt noch gut fünf Monate hin gewesen bis zur ersten, großen Show in der Londoner O2 Arena am 23. Juni. Die Leute in Paris hätten am 1. Juli das Fußball-EM-Finale für ihn sausen gelassen, in Berlin hätte es am 8. Juli tumultartige Szenen gegeben. Am tragischsten wäre der Abend des 10. August 2012 geworden, der angebliche letzte Termin von David Bowies Farewell-Tour. Es hätte den Abschied bedeutet, den wirklich letzten Tanz mit dem absolut größten Entertainer der Pop-Zeitrechnung, der sich zwar schon unzählige Male in seinem Leben und seiner Karriere verabschiedet hatte, nur um später zurückzukehren.

Jetzt aber hätten alle sicher gewusst: Es geht ihm nicht nur um eine Maske, eine Inkarnation oder meinetwegen eine Chamäleonhaut, die abgestreift und beerdigt wird, um Platz für eine neue zu schaffen. Dieses Mal wäre es auch um den echten Mann gegangen, nicht nur um David Bowie, auch um David Robert Jones. Unter dem Namen ist er am 8. Januar 1947 in London auf die Welt gekommen, vor 65 Jahren. Mehr oder weniger normal, nicht vom Raumschiff abgeworfen, nicht von Meister Gepetto glamourös konstruiert.

Die Meldung der besagten Farewell-Tour war allerdings nur ein Internet-Aprilscherz im vergangenen Jahr. Frei erfunden, und als das aufgeklärt wurde, wusste keiner so recht, ob er weinen oder lachen sollte. Weinen, weil Bowie eben wieder nicht auf Tour kommt, weiter in New York sitzt oder in irgendwelchen Urlaubszielen, die wir seinen Knochen gönnen. Lachen, weil ein nicht stattfindendes Farewell ja auch bedeutet: Theoretisch geht es weiter. Theoretisch kommt da noch was.

Die Jubelorgien, die sich über David Bowie, über sein musikalisches, ästhetisches und genderpolitisches Erbe in den letzten Jahren ergossen, die Massen von Musikern, die ihn in Magazinen und im Fernsehen als größten Einfluss lobten – die verwunderten manchmal schon, weil der echte, aktive Bowie mit seinen Videos und Platten seit den 80er-Jahren (das letzte Album kam 2003) ja gar nicht mehr so gut weggekommen war. 90er-Platten wie die Drum’n’Bass-Partie „Earthling“ oder das Noise-Märchen „Outside“ werden teilweise jetzt schon wieder als verkannte Klassiker in Schutz genommen und neu betrachtet.

Teilweise fühlte es sich so an, als ob die Idee, dass es da einen David Bowie gibt, der über die Musik wacht und jederzeit eingreifen kann, der die Höchstspannung gewaltiger Platten wie „The Rise And Fall Of Ziggy Stardust“, „Low“ oder „Scary Monsters“ mit seinem Herzschlag auf magische Weise aufrecht erhält, am Ende entscheidender ist als irgendwelche konkreten Songs, die dieser Bowie tatsächlich noch singen könnte. Obwohl auch die am Ende gut waren. Zumindest drei, vier pro Album.

Das ist sowieso das besonders Einzigartige an dem Mann, dessen 65. Geburtstag wir hier feiern: dass er seine unglaubliche Wirkung gleichzeitig als abstraktes Prinzip wie als völlig unabstrakter Singer-Songwriter entfalten konnte. Als einer, der gezeigt hat, wie man Musik und Looks transzendiert, wie man Hardrock schwul macht und kurzatmigen New Wave zum Geschichtenerzählen verwendet, wie man die ständige, quecksilbrige Veränderung und Umdeutung der Dinge zum künstlerischen Verlässlichkeitskriterium macht. Und eben als einer, der „Space Oddity“ sang, „Jean Genie“, „Let’s Dance“, „Ashes To Ashes“, „Absolute Beginners“. Stücke, die jeder Depp kapiert. Und liebt.

Möglicherweise wird David Bowie seinen Geburtstag im Bett in New York verbringen, sich mit seiner Frau Iman tolle neue DVD-Serien anschauen, dann ganz heimlich, zur Feier des Tages, eine seiner früher süchig geliebten Zigaretten rauchen. Anschließend durch den Central Park spazieren, bevor er abends das Konzert zweier neuer, aufregender junger Bands besuchen wird, die wir dann übernächstes Jahr auf unsere heißen Listen schreiben werden.

Und das macht er gut so. Er soll über uns wachen. Weiterhin, wenigstens. Nur falls wir uns etwas wünschen dürfen, dann wären ein bisschen Bowie-Dubstep oder sogar ein Ukulele-Album ziemlich okay, eine neue Weltraum-Oper noch besser. Kapieren werden wir es eh wieder viel zu spät. Happy Birthday, verehrter Mister Bowie!

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