Eagles

Long Road Out Of Eden

Polydor

Bittere, in Schönklang gewickelte Elegien auf den American Way

Es gibt ja kaum eine amerikanische Platte in dieser Zeit, die nicht von Krieg und Korruption, von Verfall und Niedergang handelt – es würde nicht verwundern, wenn selbst Britney Spears ein Anti-Bush-Lied sänge. Von den Eagles war nach Jahrzehnten des Zehrens an Ruhm und Tantiemen ein mild melancholisches, die kalifornischen Paradoxien ausstellendes Album zu erwarten – nicht aber eine zutiefst sarkastische, apokalyptische Seelenschau, die schwärzeste und elegischste Platte über die Vereinigten Staaten von Amerika im Stand der Schande. Die Insassen jenes Hotels, das man niemals verlassen kann, betten bittere Bestandsaufnahmen und böse Satiren in den wohlklingenden, perlenden, kuschelweichen Westcoast-Rock vergangener Tage, meisterlich gespielt von Don Henley. Glenn Frey, Timothy B. Schmit und Joe Walsh, auch alten Bekannten wie Greg Leisz an der Pedal-Steel-Gitarre und Lenny Castro an der Percussion.

Schon die beinahe a capella gesungene Ouvertüre „No More Walks In The Wood“ – nach John Hollanders Gedicht „An Old Fashioned Song“ – ist eine Elegie auf das Verschwinden. Die meisten der erstaunlichen Songs dieses Doppel-Albums stammen von Don Henley und Glenn Frey, viele wurden von beiden gemeinsam verfasst wie das zehnminütige „Long Road Out Of Eden“, das elegant wie ein Straßenkreuzer durch desolate Landschaften gleitet: „Weaving down the American Highway/ Through the litter and the wreckage and the cultural junk/ Bloated with entitlement/ Loaded on propaganda/ But all the knowledge in the world is of no use to fools.“

Stücke von Paul Carrack („I Don’t Want To Hear Anymore“), J.D. Souther („How Long“) und Larry John McNallys rührende Folk-Vignette „I Love To Watch A Woman Dance“ sind klug ausgewählt für diesen Reigen des Missvergnügens. In „Waiting ln The Weeds“ erklingt ein Nachhall von Henleys „Boys Of Summer“: „Another summer’s promise almost gone/ And though I heard some wise man say that every dog will have his day/ He never mentioned that these dog days will take so long.“ Und in „Do Something“, süß und schmeichelnd wie einst „I Can’t Tell You Why“, gibt es wieder keinen Ausgang: „You can’t run away.“ Ätzend wie ein Stück von Randy Newman, den sie 1977 bei „Little Criminals“ unterstützten, ist „Frail Grasp On The Big Picture“: „Good ol‘ boys down at the bar/Peanuts and politics/ And we pray to our Lord who we all know is American/ He reigns from on high, he speaks to us through middlemen/ He Supports us in wars; he presides over football games.“ Hier zitieren sie Newmans Platte „Good Old Boys“, die den Typus George Bush beschrieb, und das Stück „God’s Song“. Bei der Erwähnung Gottes erklingt eine Kirchenorgel.Joe Walsh und J.D. Souther steuern einen pulsierenden Latino-Rock mit der Percussion und den Gitarren-Soli eines Songs von Steely Dan bei, „Last Good Time In Town“, in dem sie die Wonnen des Daheimbleibens preisen (jawohl, Walsh!). Don Henley stiftet noch einen höhnischen Abgesangaufs phlegmatische Wohlleben, „Business As Usual“. Am Ende werden das Politische und das Private in endzeitlichen Einklang gebracht, der Niedergang der Nation wird gespiegelt in der Vergänglichkeit des Einzelnen: Ohne Bedauern konstatieren Frey und Henley, dass ihre Welt nicht das „Center Of The Universe“ sei, und Frey – der auch das sentimentale Instrumental „I Dreamed There Was No War“ schrieb – verabschiedet sich in dem herzbrechenden Mariachi-Rührstück „It’s Your World Now“: „The curtain falls, I take my bow/That’s how it meant to be.“ „The Last Resort“ – das letzte Stück von „Hotel California“ – haben die Eagles nun erreicht. Dass dieses Album in den USA über die Ramschläden von Walmart vertrieben wird, ist eine besonders boshafte Pointe. Der amerikanische Hörer der Eagles-„Greatest Hits“ und von „Take It Easy“ wird möglicherweise rechts ranfahren müssen, wenn er diese Lieder hinterm Steuer hört.

Niemals war Mainstream-Rock so traurig, sinister und brillant.