„Bad“ von Michael Jackson: Der König ist gestürzt

Wie Michael Jackson 1987 mit dem ambitionierten „Bad“ scheiterte.

Heutzutage gibt es Vorab-Streams, Vorab-Videos, vorab „geteilte Songs“ im Netz. Veröffentlichungen, von denen nicht immer klar ist, ob es auch echte Vorab-Singles sind. 1987 war das anders. Da gab es ganz sicher Vorab-Singles. Und „I Just Can’t Stop Loving You“ von Michael Jackson war womöglich die mit größter Spannung erwartete Vorab-Single überhaupt.

Fünf Jahre waren seit „Thriller“ vergangen, das bis heute als erfolgreichstes Album aller Zeiten gilt (die Zahlen schwanken zwischen 40 und 50 Millionen abgesetzten Exemplaren). Fünf Jahre Pause: Heute fast nur ein Schulterzucken wert. In den 1980er-Jahren war das selbst für einen unter Erwartungsdruck stehenden Megastar wie Jackson eine unerhört lange Zeitspanne. Lediglich Pink Floyd gönnten sich bis zum selben Jahr eine ähnliche lange Auszeit, vier lagen zwischen „The Final Cut“ und „A Momentary Lapse Of Reason“. Aber die hatten auch den Weggang ihres Sängers und Co-Songschreibers Roger Waters zu verkraften.

Michael Jackson und Siedah Garrett

Natürlich ist „Bad“ im Vergleich zu „Thriller“ eine Enttäuschung. Alles, was „Thriller“ warm gemacht hat, der Soul, fehlt. „Bad“ klingt so, als hätten Menschen versucht wie Roboter zu klingen, die wie Menschen klingen wollen. Der Sound ist klirrend kalt, Bass und Schlagzeug gelingen keine Grundierung. „Thriller“ wollte Schwarz und Weiß vereinen, was gelang. „Bad“ wollte futuristische Musik sein. Und erschien gefühllos. Es gibt bis heute keine Platte, die so klingt wie „Bad“, so unheimlich, wie aus der Zeit gefallen. Stamm-Produzent Quincy Jones, damals 54, wusste aktuelle Strömungen, Pop, Funk, HipHop, nicht gut zu nutzen.

Quincy Jones

Volles Risiko nur zu Beginn

„I Just Can’t Stop Loving You“, rund einen Monat vor dem Album veröffentlicht, war zwar ein Schlager, aber er war für Jackson-Verhältnisse auch mutig. Wie sollte man als größter Popstar der Welt zurückkehren? Natürlich mit Barbra Streisand oder Whitney Houston als Duett-Partnerinnen. Keine der beiden aber konnte – oder wollte. Siedah Garrett sprang ein, eine Background-Sängerin, die damals nur wenige kannten. Dieses Engagement hätte heftiger auf Jackson zurückfallen können, als auf sie. Stattdessen machte es neugierig.

Jackson ging dann noch einen Schritt weiter. So wie bei der „Thriller“-Vorabsingle „The Girl Is Mine“ verzichtete er auf ein Musikvideo, obwohl er damals der Musikvideo-Gott war. Im WWW-freien Jahr 1987 bedeutete das auch, dass viele Fans gar nicht wussten, wie der 29-Jährige inzwischen aussehen und sich präsentieren würde. Alle wussten nur, dass er längst kein Problem mehr mit gesichtschirurgischen Veränderungen hatte. Auf dem Single-Cover war er abgedunkelt zu sehen. „I Just Can’t Stop Loving You“ ging in Amerika auf die Eins.

Der Song begann mit einem fast einminütigen Spoken-Word-Intro, das die Spannung auf den eigentlichen Song natürlich erhöhte (in späteren Albumfassungen fehlt das Intro). In einer Art sexy pillow talk flüstert Jackson seiner Geliebten etwas zu, beendet seinen Monolog aber nicht mit sexytime, sondern einem versichernden, soliden „I Love You So Much“. Safe Sex unter Partnern. Jackson veröffentlichte „I Just Can’t Stop Loving You“ auch auf Französisch und Spanisch. Es wirkte wie ein Beatles-Move aus den 1960er-Jahren, als Bands oder deren Manager glaubten, mit der jeweiligen Landessprache ihr Publikum gewinnen zu müssen. Die Vielsprachigkeit verlieh dem Song aber auch ein angemessenes Grand-Prix-Gefühl. Auf der „Bad“-Tournee übernahm Background-Sängerin Sheryl Crowdann den Part Garretts, auch sie war damals wenig bekannt.

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Die elf (auf LP zehn) Songs von „Bad“ erscheinen jedoch wie nach einem strategischen Plan zusammengestellt. Mit „Man In The Mirror“ etablierte Jackson die Armut-Umwelt-Klageballade, ermutigt durch seinen Erfolg mit dem „USA For Africa“-Song „We Are The World“. Den Platz des karitativen Lieds würde er fortan auf jeder Platte freihalten, siehe „Heal The World“ oder „Earth Song“ (Der Refrain von „Man In The Mirror“ hatte zudem große Ähnlichkeit mit dem ein Jahr zuvor veröffentlichten Tina-Turner-Hit „Two People“). „Liberian Girl“ war ein typischer Bacardi-Song der 1980er: Faszination für exotische Liebhaber(innen), Madonna hatte den Song bereits für ihr „True Blue“-Album abgelehnt.

„Smooth Criminal“ gilt heute als wohl beliebtestes Stück der Platte, obwohl es als eine der wenigen Single-Auskopplungen in Amerika nicht auf Platz eins landete. Im ein Jahr später angelaufenen Kinofilm „Moonwalker“ hatte es seinen Einsatz in einer Tanzsequenz, in der Jackson sich zum Stakkato-Rhythmus nach vorne beugt und dabei gegen die Schwerkraft zu arbeiten scheint – er kippt einfach nicht um. Diese Bewegung hat heute sogar ihren eigenen Wikipedia-Eintrag. Der „Lean“ ist ein Trick, bei dem die „Illusion erzeugt wird, der Tänzer könne sich ohne umzufallen entgegen der Schwerkraft in der Luft halten.“

Zahme Freunde

„Just Good Friends“ hört sich ähnlich zahm an wie sein Titel, und Jackson vertraute hier seiner Freundschaft zu Stevie Wonder. Der hatte seinen Zenit bereits seit Jahren überschritten. Siedah Garett war noch eine Newcomer-Lösung mit Charme. Die Wonder-Koop erschien nicht nachvollziehbar; 1984 etwa hatte Jackson „State Of Shock“ mit Mick Jagger statt wie geplant Freddie Mercury eingesungen, weil er diese Paarung für erfolgversprechender hielt. Bei Wonder hätten – „I Just Called To Say I Love You“ hin oder her – die Alarmglocken schrillen müssen.

Ähnlich unsicher erschien die Zusammenarbeit mit Billy-Idol-Gitarrist Steve Stevens, der für „Dirty Diana“ in die Fußstapfen von Eddie „Beat It“ van Halen treten sollte, um das „Rock-Publikum abzuholen.“ Stevens war damals eine Größe, aber nur in seinem Fach, nicht in der Öffentlichkeit. Er war nicht der Gitarrist seiner Zeit. Erst 1991, also vier Jahre später, holte Jackson sich den besten Saitenmann der „Bad“-Ära: Auf dem Album „Dangerous“ spielte Slash in „Give In To Me“. Der größte Aufreger von „Dirty Diana“ war vor 30 Jahren, als alle rätselten, ob mit der „schmutzigen Diana“ die Prinzessin von Wales gemeint war oder Diana Ross. Angeblich hätte Lady Di ihren Lieblingssänger gebeten, den Song nicht live in Wembley zu spielen, als sie im Publikum saß. Mit so einer Story könnte man heute nichts mehr lostreten.

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Jackson war stets auf der Suche nach Slang-Begriffen. „Tenderoni“, „Sugar Fly“ und „P.Y.T.“ liebte er früher schon, „dirty“ meinte nicht wirklich „schmutzig“, sondern eher „versaut“. Ihm gebührt auch die Verbreitung des Wortes „Bad“, das er als „cool“ und „aufrichtig“ verstand, nicht als „böse“. Wer „Bad“ ist, verrät seine Leute nicht. In der Musikwelt ist der Begriff mit Jackson verknüpft, auch wenn ihm keiner den Baddie abnahm. Als die Hamburger Band Die Goldenen Zitronen fast drei Jahrzehnte später ihre Platte „Who’s Bad“ nannte, wusste jeder, auf wen das zurückging.

Nieten und Schnallen

Michael Jackson wiederum wusste: Alles auf diesem Album steht und fällt mit dem Titelsong. „Thriller“ wurde von Horror geprägt, Vincent Price, Zombies, Werwölfen. 1982 war das Jahr der Fantasy. Für „Bad“ legte Jackson sich ein Ghetto-Konzept zurecht. Das Spiel mit Rollen war in seinen Songs und Videos schon immer fest verankert. Im „Thriller“-Clip ließ der Musiker offen, ob er ein Monster ist. Auch im von Martin Scorsese geleiteten, 18-minütigen „Bad“ gibt es Vorstellungswelten: Träumt Jackson nur, dass er vom Studenten zum Ganglord wird, oder verwandelt er sich wirklich in den Leader of the pack? Als Fantasie könnte das schwarze Kostüm mit seinen Nieten und Schnallen funktionieren. Wer in diesem Aufzug allerdings wirklich durch gewisse Viertel liefe, müsste wohl schnell die Beine in die Hand nehmen.

„Bad“ war als Duett mit Prince geplant, aber Prince lehnte ab. Aus verschiedenen Gründen, wie er später in einem Interview lachend erklärte. Jackson hätte ihm die Anfangszeile „Your Butt is Mine“ entgegen schmettern wollen. Und im Video sollte Prince die Rolle annehmen, die später von Wesley Snipes besetzt wurde: ein Kleinkrimineller, der von Jackson zurechtgesungen wird.

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Die Rivalität zwischen Michael Jackson und Prince befand sich vor 30 Jahren auf ihrem Höhepunkt. Nicht nur, dass beide in denselben Jahren auf Welttournee gingen, erstmals auch parallel in Europa. Im August und September 1988 bereisten beide Deutschland, spielten aber jeweils in anderen Stadien oder Städten; Rivalitäten unter Mega-Stars gibt es heute nicht mehr, damals aber waren die Zeitungen im Sommer voll von Konzert-Vergleichen. Beide veröffentlichten auch seit 1982 erstmals eine Platte im gleichen Jahr.

Bühne statt Schule

Der Stress ging stets von Prince aus, Jackson war halbwegs entspannt. Er entgegnete: Wieso sollte er gegenüber Prince eine Rivalität verspüren? Seit 1969, seit er elf ist, stehe er im Rampenlicht, hatte mit seinen Brüdern und „I Want You Back“ den ersten Hit. Der gleichaltrige Prince tat da noch das, was (hoffentlich) alle Elfjährigen tun: Musik nach der Schule machen.

So oder so dürfte Jackson den Druck gespürt haben, der von Prince‘ „Sign ‚O‘ The Times“, rund fünf Monate vor „Bad“ erschienen, ausgegangen sein muss. Mit „The Joshua Tree“ gelangen dann U2, ebenfalls im März, wie aus dem Nichts ein Megaseller. Als Bono im Jahr darauf den Grammy für das „Album Of The Year“ entgegennahm, verwies er auf die Leistung von Prince und Bruce Springsteen, nicht auf die von Michael Jackson (etwas schüchtern sagte er auch, dass Soul nicht eine Frage der Hautfarbe sei, oder ob man Drumcomputer nutze). Der Preis für U2 war ein Schlag für den damaligen Grammy-Rekordhalter Jackson, der für „Thriller“ noch acht Trophäen erhielt. „Bad“ bekam dann den Trostpreis für die beste Tontechnik, übergeben an Bruce Swedien und Humberto Gatica. Heute bezeichnen die meisten Kritiker „Sign ‘O‘ The Times“ von Prince als bestes Album eines 1987 voller Höhepunkte.

Michael Jackson beim Dreh zu „Bad“, New York City 1987

U2 und Prince waren nicht die einzige Konkurrenz. Bis „Bad“ am 31. August 1987 erschien, brachten Guns N’Roses einen knappen Monat vorher ihren Hardrock-Meilenstein „Appetite For Destruction“ heraus, und mit Terence Trent D’Arby („Introducing The Hardline According To“) zeichnete sich, nach damaliger Einschätzung, eine Soul-Alternative ab. Dessen „Wishing Well“ ging auf Platz eins der amerikanischen Singles-Charts. Der Mann wirkte wie aus Motown, kam aber aus England.

Zwei Gegentreffer ganz am Ende

Die Fans immerhin blieben Jackson treu. Mehr als 30 Millionen „Bad“-Platten sollen bis heute verkauft worden sein, das wäre eine gigantische Zahl. Fünf Singles, damals Rekord, gelangten nacheinander auf den Spitzenplatz der Billboard-Rangliste, mehr als von „Thriller“. Aber, beim Fußball würde man von Gegentoren in der Nachspielzeit sprechen, das Musikjahr war noch nicht vorüber: INXS brachten „Kick“ heraus, und nicht wenige urteilten, dass ausgerechnet diese Australier, die sich in den Pubs ihres Heimatlandes hochspielten, in ihrem Album mehr Funk hätten als Jackson auf seinem.

Und im Oktober erschien das Debüt des Wham!-Sängers George Michael: „Faith“. Es gilt als meistverkaufte Platte des Jahres 1988 – auch da wurde Jackson, der seine neun „Bad“-Single-Auskopplungen bis ins Jahr 1989 streckte und auf seiner Europa-Tournee für Zuschauerrekorde sorgte, unerwartet ausgestochen. Einen weltweiten Siegeszug George Michaels hatte keiner auf der Rechnung.

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„Bad“ war kein Misserfolg, aber das Ziel Jacksons, „Thriller“ künstlerisch wie in den Verkaufszahlen zu übertreffen, war verpasst. Dass seine Musik mit „Bad“ nach Meinung vieler Hörer schlicht schlechter wurde, wäre eine Begründung dafür. Vielleicht war er auch einfach nur zu lange weg gewesen. Mit 29 Jahren nicht mehr auf Höhe der Zeit. Da half es auch nicht, dass er später den Medien vorschlagen würde, ihn „King Of Pop“ zu nennen.

Jacksons nächster Versuch einen Höhepunkt zu setzen würde „Dangerous“ sein – das Album erschien 1991. Womöglich hatte er also aus seinen Fehlern gelernt: Es kam nicht mehr nach fünf, sondern nur noch nach vier Jahren Pause.

Afro Newspaper/Gado Getty Images
Dave Hogan Getty Images
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