Das nette Monster von nebenan

Adolf Hitler schießt mit der Zwille Kügelchen durchs Arbeitszimmer, verbrennt heimlich Bücher in einer Emailleschüssel, sägt Stuhlbeine an und freut sich, wenn der Reporter, der ihn seit ein paar Tagen interviewt, damit zusammenkracht. Tabletten, die für ihn bestimmt waren, zerhackt er und gibt sie dem Hund zum Fressen.

Adolf Hitler ist nämlich gar nicht tot. Mit seiner jungen Frau lebt er in einer bunkerähnlichen Berliner Kellerwohnung und ist 107 Jahre alt. Damals, 1945, war es nicht er, sondern sein Doppelgänger, der in den Armen von Eva Braun Selbstmord beging. Genaugenommen hatte er sogar sechs Doppelgänger, die, wenn er selbst keine Lust hatte, für ihn vor das Volk traten oder andere lästige Pflichten übernahmen.

Diese Geschichte hat sich Schauspieler Armin Müller-Stahl ausgedacht, seine erste Regie-Arbeit daraus gemacht – und auch noch selbst den Hitler gespielt. „Gespräch mit dem Biest“ heißt der Film (ab 203.), der zeigt, was wäre, wenn Adolf Hitler noch lebte. Ein alter Mann, verheiratetet mit Hortense (Katharina Böhm), gibt sich gegenüber dem Historiker Dr. Arnold Webster (Robert Balaban) zumindest als jener aus. Irritiert verhört der Amerikaner zehn Tage lang den kauzigen Gesprächspartner, stets in der Angst, es könne sich um einen Schwindler handeln. So entmystifiziert Müller-Stahl die Bestie als Greis, der in seiner Senilität Vergangenheit und Gegenwart aus kindlichen Augen sieht.

„Natürlich wird es viele Leute geben, die sich aufregen, daß ich Hitler nicht als Monster zeige. Aber das ist ja das Gemeine an der Figur Hitler: Das Biest ist nicht sofort sichtbar. Auf den ersten Blick war Hitler charmant, die Frauen himmelten ihn an, Kinder liebten ihn“, sagt Armin Müller-Stahl. „Das zeichnet übrigens fast alle Biester aus: Sie kommen als ganz normale Menschen daher. Nehmen Sie zum Beispiel diesen Heidemörder. Da sagt die Therapeutin, die ihn jetzt heiraten will, doch auch, daß er eigentlich furchtbar lieb sei.“

Zum Interview erscheint Müller-Stahl als solle es ein Plauderabend am Kamin werden. In Strickjacke, bequemen Winterschuhen und gemütlichen Jeans. Aber der 66jährige Mime ist keiner, der es einem gemütlich macht. Am Kamin sitzt man mit Freunden, Menschen, die man seit langem kennt. Und warum sollte er sich unnötig mit jemandem verbrüdern, den er nicht kennt. Er ist höflich. So höflich, daß seine Kollegen, vor allem Kolleginnen, ins Schwärmen geraten, wenn von ihm die Rede ist So seelenruhig, so angenehm leise sei er. Aber immer auch distanziert „Ich bin ein leidenschaftlicher Alleinseier“, bekennt er.

Dahinter steht das Mißtrauen eines Menschen, der jahrelang bespitzelt wurde. Bei dem registriert wurde, wann er das Haus verließ, um Brötchen zu kaufen – damals, bis zur Ausbürgerung 1979, als er noch in der DDR lebte und spielte. Ganz übel wurde ihm, als er vor drei Jahren seine Stasi-Akte las und feststellen mußte, daß seine besten Freunde keine waren.

Armin Müller-Stahl hält sich für einen Romantiker, ist aber ein Realist. Ohne Sentimentalität stellt er fest, daß Menschen sich oft nicht so verhalten, wie man es sich wünschen würde. Er versteht das, weil er auch von sich weiß, wie schwer es ist, immer korrekt, gerecht und aufrichtig zu sein. Gehässigkeiten anderen gegenüber sind ihm fremd. Auch Hitler kann er nicht hassen. Dabei hätte er allen Grund dazu. Am ersten Tag des Zweiten Weltkrieges begleitete er, sechsjährig, seinen Vater in die Kaserne. Am letzten Tag, rund 20 Kilometer von der Familie entfernt, wurde der Bankbeamte erschossen. Vbn Deutschen. Zumindest vermutet Müller-Stahl, daß es so war. „Einen normalen Tod läßt meine Phantasie nicht zu.“ Hitler selbst kennt er nur aus der Entfernung. „Ich habe ihn als immer schreienden Mann in Erinnerung. Ich war im Jungvolk wie alle Kinder. Und alle waren sehr begeistert von ihm.“

Der Tod seines Vaters war jedoch nicht der Grund, diesen Film zu machen. Erstens lag das Drehbuch seit sieben Jahren in der Schublade. Müller-Stahl fand es beim Aufräumen zufallig wieder und dachte, damit müsse nun endlich etwas gemacht werden. Und zweitens war er es leid, daß die Deutschen nach wie vor einen großen Bogen um die Nazi-Greuel schlagen. Erst die Tabuisierung des Monsters Hitler macht es ihnen möglich, sich selbst als Opfer aus dem Szenario zu stehlen. „Dabei sind wir doch sonst so leidenschaftlich an Biestern interessiert. Wir haben Caesar, Napoleon, Frankenstein. Jeder Mensch hat sein liebgewonnenes Biest.“

Vor fünf Jahren hatte er noch gesagt, er wolle keine Regie führen, in seinem Alter sei es zu spät, dazu benötige man eine ganze Lebenszeit.

Als er sich dann doch daran wagte, mit einem kleinen Budget, das unter anderem der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg mitfinanzierte, hatte er den Eindruck, er mache das, was er immer macht „Ich habe in über 100 Filmen gespielt, und als Schauspielerbin ich ja auch daran beteiligt, eine Szene zu entwickeln. Ich hatte also überhaupt nicht das Gefühl, Neues zu machen.“ Das hört sich ein bißchen arrogant an, aber Armin Müller-Stahl meint es nicht so. Er weiß einfach nur sehr genau, was er kann. Er macht nicht mehr aus dem, was er ist, aber auch nicht weniger.

In der DDR wurde Müller-Stahl fünfmal hintereinander zum beliebtesten Schauspieler gewählt, 1977 für seine Rolle in Frank Beyers Ghetto-Drama „Jakob, der Lügner“ mit einer Oscar-Nominierung bedacht In der Bundesrepublik arbeitete er mit Volker Schlöndorff, Rainer Werner Faßbinder, Istvan Szabo und lehnte es ab, Professor Brinkmann in der „Schwarzwaldklinik“ zu spielen. In Hollywood wurde er für seine Rolle in Barry Lewinsons „Avalon“ zum zweiten Mal für einen Oscar nominiert. Gerade erhielt er den wichtigsten australischen Filmpreis für seine Rolle in dem Musikerdrama „Shine“ (siehe Rezension auf Seite 83).

Bei ihm hört sich sein Karriereverlauf wesentlich schlichter an: „In der DDR spielte ich die jugendlichen Helden, in der Bundesrepublik die Vätei; in Hollywood die Großväter“ Wäre er ehrgeiziger, könnte er auch in Hollywood ein richtiger Star sein. Aber das interessiert ihn nicht, auch wenn es ihn freut, wenn statt Dustin Hoffman er eine Rolle bekommt.

Lieber macht Armin Müller-Stahl, der eigentlich Geiger werden sollte und Musik studierte, nebenbei verschiedene Dinge. Schreibt Bücher, malt so gut, daß sich keine Galerie seiner Bilder zu schämen brauchte oder wagt sich eben an einen eigenen Film. Immer neue Erfahrungen zu machen, hielte ihn vom Altwerden ab, sagt er. Trotzdem will er auf keinen Fall ewig jung bleiben. „Gott, den ganzen Quatsch noch einmal? Alle die Dummheiten, die man gemacht hat? Entsetzlich. Und was noch schlimmer wäre: Alle um dich herum werden älter und sterben. Grauenhafte Vorstellung.

Andererseits – als Film-Idee wäre das eigentlich ganz interessant“

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