Dem Original eine Chance

Unten, auf der Strandpromenade von Viareggio, bleiben ein paar Leute stehen – oben, auf einem Balkon im zweiten Stock des eleganten Hotel „Principe Di Piemonte“, produziert sich ein blonder Mann mit wehendem Haar vor einer neugierigen Videokamera: Hier soll einer ein Gesicht bekommen, der lange möglichst anonym bleiben wollte.

Als der blonde Mann kurz darauf verkehrt herum auf einem Stuhl hockt und gegen das Playback von „Turn Your Love Around“ ansingt, das aus einer Mini-Anlage im Hotelzimmer scheppert, flüstert der Manager davon, wie schwer es ihm gefallen sei, seinen Klienten überhaupt zum Auftauchen zu bewegen. Der macht später kein Hehl daraus, daß er sich auf einem Video-Set doch „ein bißchen unwohl“ fühlt und seine Heimat immer noch „zwischen Bandmaschinen und Mikros“ sieht.

Was kaum verwundern kann: Über 13 Jahre hat Bill Champlin „fast nur die Musik anderer Leute gespielt“. Bis irgendwann die Frage in ihm rumorte: „Hey, Moment mal, und wo bleibt meine eigene Musik?“ Die kann er jetzt im privaten Studio ohne Druck von außen realisieren – drei Top-Ten-Hits mit Chicago („Ein sehr gut bezahlter Top40-Job“) und zwei „R&B-Song Of The ear“-Grammies für George Bensons Hit „Turn Yoxt Love Around“ und EWF’s „After The Love Has Gone“ haben’s finanziell möglich gemacht.

Sein Comeback “ Through It All“ ziert pikanterweise das Repertoire eines neuen deutschen Labels (Beverly Records in Frankfurt), das mit dem Etikett „West Coast Pop“ nach alten und neuen Fans fahndet. Auf die höheren Etagen der amerikanischen Plattenindustrie ließ Bill Champlin seinen Manager gar nicht erst los. „Ich möchte keinem A&R-Manager begegnen, der mir allen Ernstes erzählt, ich könnte doch ein tolles Michael Bolton-Album machen“, höhnt der erklärte Lou Rawls-Fän und schimpft auf all die Major Companies, die seit einigen Jahren „nur noch Kopien vermarkten und verpakken“, statt Originalen eine Chance zu geben. Zumal dann, wenn die auch noch ein paar Falten mehr im Gesicht haben.

Mit seinem Comeback auf Umwegen will Champlin an die Zeiten seiner Sixties-San-Francisco-Band Sons Of Champlin anknüpfen, einer Gruppe, die sich schon anno 1966 dem Funk verschrieben hatte, kaum Konzerte bestritt und nie Interviews gab. Nicht was die heute gewiß weniger exzentrische Musik angeht, die er gern „Educated Pop“ nennt, aber doch in Bezug auf gehaltvolle Texte, die nicht nur „erwachsene Love-Songs“ (Champlin) schmücken. In „Light Up The Candles“ etwa attackiert er „die mächtigen Leute, die sagen: ,Ich habe einen Draht zu Gott, deshalb müßt ihr mir folgen!'“, während „Come On In“ von einem Freund erzählt, der sich seinen Alkoholismus nicht eingestehen will – da sei er, so Champlin, „vor vielen Jahren auch schon mal gewesen“.

Studiofeuerwehr für (fast) jeden von Alice Cooper bis Elton John spielt Bill Champlin heute kaum noch, weshalb eine Veränderung in Richtung Texas oder Tennessee erwogen wird. „Als ich elf war“, sinniert Champlin über L.A., „konnte ich noch allein zur Schule gehen – mein Sohn kann das heute nicht mehr. Jetzt sind doch bei jeder Prügelei sofort Waffen im Spiel. Während für einen unsinnigen ,War On Drugs‘ Millionen Dollar verschleudert und die Ursachen der Sucht ignoriert werden.“

Und wenn es mit der neuen Solo-Karriere klappt, was wird dann aus seinem Job bei Chicago? Champlin: „Irgendwann muß ich wohl eine Entscheidung treffen. Aber ich verbrenne keine Brücken, bevor ich sie nicht überquert habe – und selbst dann würde ich sie niemals anzünden. Denn ich hab‘ gute Freunde in dieser Band.“

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