Die 50 besten Alben des Jahres 2018

Die ROLLING-STONE-Redaktion und ihre Autoren haben abgestimmt: Dies sind die 50 besten Alben des Jahres 2018.

10. Tom Liwa: „Ganz normale Songs“

Tom Liwa ist seit drei Jahrzehnten der beste deutsche Songschreiber. Doch so klar und unverstellt wie auf „Ganz normale Songs“ klang er lange nicht mehr. Sein erstes von Tobias Levin (Tocotronic, Blumfeld) produziertes Soloalbum für das Hamburger Label Grand Hotel van Cleef verbindet das Schönste aller Liwa-Welten: die spirituelle Suche und das musikalische Experiment, das schamanische Feuer und die melancholischen Alltagsbeobachtungen, Folk-­Versenkungen und entrückten Pop, den Geist von John Martyn und das Erbe von Syd Barrett. MG
Bester Song: „Feuer“

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9. Anna Calvi: „Hunter“

Ein Konzeptalbum: Die Sängerin imaginiert sich als Mann und entäußert sich in expressionistischen Arien zu elektrischer Gitarre, Kriegstrommeln und Keyboard-Drama. Anna Calvi schreit, maunzt, jodelt, gurgelt und wispert, und die Songs lösen sich auf in der Wucht ihrer zugleich artifiziellen und primitiven Gesänge. „Hunter“ heißt die Platte, und im Archaischen, im Unmittelbaren liegt die Magie dieser hochverfeinerten Art brut. Anna Calvis grelle Ausdruckskunst ist Oper, Rollenspiel und Exorzismus: „To be the hunter and the hunted.“ AW
Bester Song: „Swimming Pool“

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8. Arctic Monkeys: „Tranquility Base Hotel & Casino“

Ein Engländer erforscht Amerika und nimmt die englischste Platte auf, die sich vorstellen lässt. Alex Turner und seine Arctic Monkeys entwerfen mit schwelgerischen Music-Hall-­Melodien und der verschwenderischen Grandezza von Filmmusiken der 70er-Jahre, mit Piano, Zeitlupenbass, Streichern und Chören ein Journal des Luxus und der Moden, der Einsamkeit in der Kommunikationsgesellschaft und der Leere in der Architektur. Turners Rezitative evozieren Momus, Jarvis Cocker und David Bowie. Ein tranquiler Barocktraum. AW
Bester Song: „Tranquility Base Hotel & Casino“

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7. The Good, The Bad & The Queen: „Merrie Land“

Der vielseitig engagierte Damon Albarn hat nach 12 Jahren seine Projekt-Supergroup mit Drummer Tony Allan und Ex-Clash-Bassmann Paul Simonon für ein Requiem aktiviert. Ein melancholischer Abgesang in elf Songs: Goodbye, EU! Ciao, Großbritannien! Albarns kleine Brexit-Pop-Oper klingt wie ein trauriges Ska-Album, dazu kommen schwermütige Folk-Balladen. In „Nine­teen Seventeen“ wird gar der Opfer des Ersten Weltkriegs gedacht. Eine Blockflöte spielt, Bläser und Streicher ziehen ihre Bahnen. Ein bitterschöner Kommentar zur aktuellen Politik. RN
Bester Song: „Ribbons“

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6. Tracey Thorn: „Record“

Das Leben nach der Midlife-Crisis, die Rückschau, die Konsolidierung. Keine andere Platte hat 2018 so klug und unromantisch mit unserer Sehnsucht nach dem Gestern abgerechnet. „Oh, what year is it?/ Still arguing the same shit“, singt der Ex-Popstar (Everything But The Girl) in dem discofizierten Killertrack „Sister“, der die Erfahrung des Älterwerdens bündelt. Tracey Thorn erzählt von ihren 56 Jahren als Frau, von Klischees, Kämpfen und Kindern – souverän und kitschbefreit. Am ­Ende steht der „Dancefloor“, auf den sie sich wünscht, schön angetrunken. SZ
Bester Song: „Sister“

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5. Noname: „Room 25“

Hinter Noname verbirgt sich die 27-jährige Fatimah Warner, die ihre Texte zunächst in der Slam-Poetry-Szene ihrer Heimatstadt Chicago vortrug, auf Tracks von Chance The Rapper zu hören war und 2017 ihr Mixtape (!) „Telefone“ veröffentlichte, eine Mischung aus HipHop, Neosoul und Jazz. Stilistisch bleibt sie sich auf ihrem ersten Album, „Room 25“, treu. In ihren soften, in Herz und Hirn treffenden Raps widmet sie sich zu elegantem Backing den großen Themen Liebe, Sex, Tod und (schwarze, weibliche) Identität. ­Eine sanfte Gigantin. MB
Bester Song: „Window“

4. Laura Gibson: „Goners“

„I was born a wolf in woman’s clothes“, der Satz sagt viel über Laura Gibson, deren Folk-Pop bei aller Opulenz (Geige, Flügelhorn, Loops und mehr) so unaufdringlich ist, dass einen seine Wucht erst nach und nach erreicht. Ihr fünftes Album, „Goners“, erzählt vom Tod und seiner Wirkung auf die Lebenden, von Magie und Verlust – und ihre zarten Lieder haben dabei zwar manchmal etwas jenseitig Wissendes, aber vor allem eine starke Strahlkraft in der Gegenwart: Sie plädieren fürs Nicht-Warten, für Klarheit und Ehrlichkeit. So einfach, so schwer. BF
Bester Song: „Slow Joke Grin“

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3. Villagers: „The Art Of Pretending To Swim“

Conor O’Brien wollte mal wieder alles anders machen, also schloss sich der Ire allein in seine Dachkammer ein und friemelte so lange an seinen Songs herum, bis er eine Mischung aus Folk und Soul, schwelgerischen Melodien und elektronischen Beats, verspulten Ideen und Samples hatte, die tatsächlich einzigartig ist. Und dann erlaubt er sich auch noch, über seinen Glauben zu singen, über Liebe und Hoffnung sowieso. Er habe keine Angst mehr vor Entertainment, sagt O’Brien – und wenn Unterhaltung so tief sein kann, dann geht uns das genauso. BF
Bester Song: „A Trick Of The Light“

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2. Jeff Tweedy: „Warm“

Seine Band Wilco hat ein Jahr Auszeit genommen. Jeff Tweedy nutzte die Zeit, um zurückzublicken, schrieb seine Memoiren, die nun unter dem Titel „Let’s Go (So We Can Get Back)“ erschienen sind, und schaute in den Songs, die zu dieser Zeit entstanden, nach innen. Diese intensive Zeit der Selbsterkundung spiegelt sich nun auf „Warm“, seinem ersten richtigen Soloalbum, wider. Eine klassische Songwriterplatte des – wie der US-Autor George Saunders ihn in den Liner­notes nennt – „großen amerikanischen Trostdichters“. MB
Bester Song: „From Far Away“

 

1. Elvis Costello & The Imposters: „Look Now“

Einmal hat Elvis Costello für eine amerikanische Zeitschrift ­eine Liste mit 500 Platten der Popmusik zusammengestellt, die man hören sollte. Würde man sie hören, hätte man den Grundkurs bestanden. Aber das wäre erst der Anfang. Denn jetzt müsste man auch all die anderen Platten von ­George Jones und Bob Dylan, von Scott Walker und Aretha Franklin, von Paul McCartney und Charlie Rich, von Solomon Burke und Allen Toussaint und Arthur Alexander und Hoagy Carmichael hören.

Oder man macht das nicht und hört die Alben von Elvis Costello. In Costellos Songs ist die gesamte Popmusik aufgehoben. Mit gehöriger Übertreibung könnte man sagen: Die Geschichte des populären Liedes ist in „Look Now“ enthalten. Costello hat fünf Jahre daran gearbeitet – es war die längste Interimszeit seiner Karriere. Er sammelte mit Konzerten das Geld für diese Platte. Es sind viele Instru­mente und Musiker drauf und einige der schönsten Songs der Welt.

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Wie immer ist Costello der präziseste Interpret seiner selbst, wenn er „Look Now“ als Amalgam aus zwei seiner größten Platten bezeichnet: „Imperial Bedroom“ von 1982 und „Painted From Memory“ von 1998 – die eine ist sein Beatles-Album (mit dem Beatles-­Toningenieur Geoff Emerick), die andere sein Burt-Bacharach-Album (mit Burt Bacharach). Auch auf „Look Now“ sind einige Stücke, die Costello mit Bacharach schrieb: „Don’t Look Now“ und „Photographs Can Lie“, meisterliche Costellos, meisterliche Bacharachs. Mit Carole King schrieb Costello „Burnt Sugar Is So Bitter“. Die Imposters – Steve Nieve, Pete Thomas, Davey Faragher – spielen tänzelnd wie einst die Attractions (mit Ausnahme Faraghers sind es die Attractions) – aber es sind die Streicher, die Bläsersätze, die Chöre, das beiläufige Pfeifen, kurz die Grandezza der Arrangements und Costellos ergreifender Gesang, die so beglücken wie Bacharachs melancholische-euphorische Oden. Mit „Suspect My Tears“ und „Why Won’t Heaven Help Me?“ erreicht der Schüler den Meister. Es ist eine Virtuosität, die vollkommen schwerelos ist.

Das letzte Stück des Albums (es gibt eine zusätzliche EP mit vier Stücken) haben Costello und Bacharach zusammen geschrieben. „He’s Given Me Things“, eine zarte Kammermusik, eine Ballade, in der eine Frau erklärt, weshalb sie bei einem Mann geblieben ist: „He’s forgiven me trials and tears and tantrums/ And even all my false alarms.“ Der Song hat kein Finale. Er verklingt. Arne Willander
Bester Song: „He’s Given Me Things“

 

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