Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Das Auge des Tigers

Ein Urlaub in Bayern bei Baulärm und Hundegebell, nebst Ausflügen mit dem Tretboot und Nachdenken über Flugzeugträger-Rock

Folge 228

Neulich war ich im Urlaub. In Bayern.

Das von mir gewählte Hotel beherbergte außer mir ausschließlich Arbeiter, die gleich nebenan eine gut gehende Baustelle unterhielten. Jeden Morgen um sechs saß ich kerzengerade im Bett, weil die Arbeiter einander die jüngsten Innovationen auf dem Baulärmerzeugungs-Sektor vorführten. Eines Nachts knurrte mich bei meiner Rückkehr in die Herberge auf dem Flur ein großer Schäferhund an. Ja, der sei heute Morgen bereits auffällig geworden, er tue aber nichts, informierte mich der entspannt wirkende Rezeptionist am Telefon. Nun, er knurre und belle unbewacht Hotelgäste an, sagte ich. Wir ließen es dann dabei bewenden.

Ich versuchte fortan möglichst wenig Zeit im Hotel zu verbringen. Stattdessen fuhr ich, wann immer sich die Gelegenheit bot, Tretboot. Tretbootfahren ist die Popmusik des Alters: ein denkbar schlichtes Vergnügen, reich an vorhersehbaren Reizen. Songs über Tretboote gibt es nicht sonderlich viele, und sollte ich der einen oder anderen Leserin allein mit der Erwähnung des Wortes „Tretboot“ eine Erinnerung an einen streitbaren NDW-Schlager und damit einen bösen Ohrwurm beschert haben, tut mir das leid. Ich kann Ihnen aber versichern, diesen Ohrwurm im weiteren Verlauf dieses Textes rasch wieder vertreiben zu können.

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Ich saß in diesem Urlaub auch viel im Auto, denn es regnete ununterbrochen. Während der ausgedehnten Fahrten, die ich an Tagen unternahm, da an Bootstouren nicht zu denken war, wurde ich bald süchtig nach einem lokalen Radiosender. Offensichtlich hatte sich der Sender auf Flugzeugträger-Rock spezialisiert. Flugzeugträger-Rock ist ein Genre, das in den Achtzigern ausgesprochen angesagt war. Es handelt sich um sehr eingängige Pop-Rock-Musik meist amerikanischer Provenienz, die sich durch folgende Merkmale auszeichnet:

1. Die Keyboards sind mindestens so wichtig wie die Gitarren, wenn nicht wichtiger.

2. Die Musiker haben fast ausnahmslos Tante-Käthe-Frisuren.

3. Der jeweilige Sänger ist überwiegend im oberen Register unterwegs und zeigt sich Grenzüberschreitungen in Richtung Operette nicht abgeneigt.

4. In Videos steht man gern in Lager- und/oder Turbinenhallen herum, oder man reiht launige Szenen aneinander, die die Musiker im Tourbus, beim Backstage-Scherzen oder beim Verladen des Equipments zeigen.

5. Es geht in den Texten häufig um irgendwelche zu gewinnenden Kämpfe oder Liebesschlachten – Themen also, die fern der Heimat aktives Flugzeugträgerpersonal emotional abzuholen in der Lage sind.

6. Humor und jugendliches Aufbegehren sind im Genre fehl am Platz – es handelt sich hier um eher konsolidierende Erwachsenenmusik.

7. Die Songs müssen klingen, als stammten sie aus einem 80er-Jahre- Film mit Tom Cruise oder Sylvester Stallone, wobei es keinesfalls nötig ist, dass die Filme auf Flugzeugträgern spielen.

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„Das ist doch nur öde Theorie!“, höre ich meine Leserinnen fauchen. „Wir wollen konkrete Beispiele!“ Und zu Recht. Als Titanen des Flugzeugträger-Rock müssen wohl die Bands Survivor („Eye Of The Tiger“, „Burning Heart“) und Foreigner („Urgent“, „That Was Yesterday“) ge- nannt werden. Zwar haben auch Künstler wie Styx, Boston, Nightrider, Whitesnake, Bryan Adams oder REO Speedwagon auf dem betreffenden Sektor gewildert (ebenso in Vergessenheit geratene Acts wie John Parr oder Mr. Mister).

Allerdings ist die Abgrenzung zu AOR-Rock auf der einen und Haarspray-Metal auf der anderen entscheidend. Mit dieser Musik im Ohr fuhr ich also durch Bayern und sinnierte über Bauarbeiter, Schäferhunde, Regen und Tretboote. Es ergab alles plötzlich Sinn. Bald schon hatte ich mir eine eigene Flugzeugträger-Rock-Playlist angelegt, mit der ich nachts die schnarchenden Bauarbeiter zu übertönen versuchte.

Zwei Fragen drängen sich zum Schluss auf:

1. Funktioniert Flugzeugträger-Rock auch beim Tretbootfahren? – Ein klares Ja!

2. Sind auch Bon Jovi dem Genre zuzuschlagen? – Nein, „Bon Jovi“ ist etwas noch Größeres und Erhabeneres. Und etwas, das man als Grußformel dringend mal beim Eck-Italiener ausprobieren sollte.

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