Gil Ofarim: Video-Gutachter Labudde berichtet über seine Enttarnung

Sein Gutachten bewies, dass Ofarim log. Jetzt berichtet der Forensiker erstmals über seine Arbeit

Dirk Labudde ist Digital-Forensiker und lieferte den „Videobeweis“ im Fall Gil Ofarim – und überführte den Musiker wohl der Lüge. Jetzt berichtet der Gutachter erstmal über den Fall, seine Wahrnehmung dessen und den Moment, in dem er wusste, dass Ofarim nicht die Wahrheit sagte.

„Keine Ahnung ob er dachte: Vielleicht geht es gut“

Gil Ofarim hatte etwa zwei Jahre lang behauptet, ein Hotel-Mitarbeiter des  Leipziger Hotel „Westins“ habe ihn antisemitisch beleidigt und ihn mit den Worten „Packen Sie Ihren Stern ein!“, dazu aufgefordert, seine Davidstern-Kette zu verstecken. Diese Anschuldigung hatte er damals in einem millionenfach geklickten Instagram-Video öffentlich gemacht. Eine Klage folgte, und der Fall wurde vor Gericht ausgetragen. Am sechsten Verhandlungstag gab Ofarim seine Lüge zu. Labudde hatte zuvor herausgestellt, dass der 41-Jährige bei seinem Eintreffen und damit auch bei seinem Gespräch mit besagtem Mitarbeiter keine sichtbare Davidstern-Kette trug.

Der Forensiker erklärte im Gespräch mit „Focus“, dass ihn das Geständnis vor Gericht nicht überrascht hätte, da er von seinem Gutachten überzeugt war. Ofarim kannte das Gutachten schon vor Prozessbeginn, bleib jedoch bei seiner Geschichte. „Keine Ahnung, ob er dachte: Vielleicht geht es gut. Man darf ja nicht vergessen: Ein Strafprozess hat einen eigenen, dynamischen Verlauf. Da kann viel passieren. Und am Ende muss das Gericht zweifelsfrei von der Schuld des Angeklagten überzeugt sein. Ich könnte mir vorstellen, dass Herr Ofarim und dessen Verteidiger darauf gehofft haben, dass am Ende des Prozesses Zweifel bleiben und deshalb ein Freispruch erfolgt“, sagte Labudde.

„Ich glaube, er ist im Inneren noch ein Kind“

Ob das 150-seitige Dokument tatsächlich der Auslöser für den Wendepunkt des Prozesses war, möchte er nicht klar bejahen. Für den Professor der Hochschule Mittweida in Sachsen sei dieser Fall jedoch „der Fall meines Lebens“. Labudde ist stolz darauf, den objektiven Beweis zu dem Verfahren beigesteuert zu haben: „Aus rein forensischer Sicht war es eigentlich keine große Herausforderung. Es ging mehr oder weniger um die Analyse eines Videos, Bildverbesserung und so weiter. Da läuft viel standardmäßig ab. Wirklich außergewöhnlich war die enorme Medien-Aufmerksamkeit. Hinzu kommt der politische Background des Falls. Das hat man sehr, sehr selten.“

Während des gesamten Prozesses hatte Dirk Labudde zwar persönlich wenig mit Gil Ofarim zu tun, aber konnte einige interessante Beobachtungen treffen. „Ich hatte nur peripher die Möglichkeit, ihn intensiv zu beobachten. Er wirkte wahnsinnig angespannt. Ich habe mir immer vorgestellt, in welch schwieriger Lage er doch ist. Ich glaube, er war sich lange Zeit nicht bewusst, was er wirklich angestellt hat. Ich glaube, er ist im Inneren noch ein Kind. Er hat etwas getan, ohne die Folgen zu bedenken“, so der Digital-Gutachter. Mitleid habe er nicht gehabt. „Er hat eine Straftat begangen, daran gibt es keinen Zweifel. Er hat viele Leute in eine schlimme Situation gebracht. Nicht nur den Hotelmanager und das „Westin“-Hotel, sondern die Stadt Leipzig, Sachsen und im Prinzip den gesamten Osten Deutschlands. Durch Ofarims Antisemitismus-Vorwürfe wurde eine ganze Region stigmatisiert und in den Schmutz gezogen.“

„Ab dem Moment wusste ich: Herr Ofarim lügt“

Ein Teil des Gutachtens bestand darin, die Vorgänge im Hotel nachzustellen. Bei dieser Ermittlung konnte Dirk Labudde für sich feststellen, dass Gil Ofarims Darstellung der Tatsachen nicht der Wahrheit entsprechen konnte: „Da waren wir forensisch so weit, dass wir sagen konnten: Wenn er den Davidstern offen getragen hätte, dann wäre er detektierbar gewesen und wir hätten ihn sehen müssen. Das war aber nicht der Fall. In dem Moment war mir klar: Herr Ofarim hat den Stern auf keinen Fall offen getragen – und das war ja der entscheidende Punkt, die entscheidende Frage. Ab dem Moment wusste ich: Herr Ofarim lügt.“

Der Angeklagte hatte für die Nachstellung der Ereignisse im Hotel eingewilligt, seine Davidstern-Kette und Kleidungsstücke zur Verfügung zu stellen. Warum er das tat, ist für den Forensiker bis heute ein Rätsel. Er denkt: „Er muss sich ja spätestens in diesem Moment darüber im Klaren gewesen sein, was auf ihn zukommt, wenn wir die Vorgänge im Hotel nachstellen. Er muss gewusst haben, dass wir feststellen werden, dass er den Stern eben nicht sichtbar vor der Brust getragen hat. Aber das sind nur Mutmaßungen. Vielleicht hat er sich auch überhaupt keine Gedanken gemacht.“

Am Ende des Prozesses war Dirk Labudde stolz, dass er etwas zur Wahrheitsfindung beitragen konnte, betont aber, dass das „nicht bezogen auf die Person des Angeklagten war, sondern auf die Tatsache, dass er diesen Auftrag lösen und ein rechtssicheres Gutachten erstellen konnte.“ Ein Punkt, der ihm bei der Aufklärung des Falles ebenfalls sehr am Herzen lag, war, einige Vorurteile über das Bundesland Sachsen aus dem Weg zu räumen: „Die Behauptungen von Herrn Ofarim haben dem Land schweren Schaden zugefügt. Dabei gibt es hier so viele schöne und positive Dinge, die darf man sich nicht von Lügen und Vorurteilen zerstören lassen.“

„Mit dem Rechtsfrieden sollte er sorgsam umgehen“

Jetzt wo die Verhandlung abgeschlossen ist, steht nur noch eine Sache aus – die verhängte Geldauflage von 10.000 Euro, die Gil Ofarim bezahlen muss. Das hat er bisher nicht getan. Dem Gutachter nach eine Unverständlichkeit: „Er hat zwar sechs Monate Zeit, das Geld zu zahlen, und die Frist ist ja noch nicht abgelaufen. Ich selbst hätte die Summe postwendend überwiesen. Warum er sich so verhält – keine Ahnung. Vielleicht tickt da im Hintergrund noch irgendetwas Juristisches. Ich weiß es nicht.“

Wenn Dirk Labudde sowohl Gil Ofarim, als auch dem geschädigten Hotel-Mitarbeiter etwas mit auf den Weg geben würde, wäre es: bedacht mit der neu gewonnenen Ruhe umzugehen. „Erst einmal wünsche ich dem geschädigten Desk-Manager des Hotels „Westin“, der ja Schreckliches durchgemacht hat, alles Gute. Und auch Herrn Ofarim wünsche ich, dass er zur Ruhe kommt und irgendwann neu starten kann. Beide haben einen sehr schweren Rucksack zu tragen, jeder auf seine Weise. Herr Ofarim sollte froh sein über seine zweite Chance und sie nutzen. Mit dem Rechtsfrieden, der jetzt hergestellt wurde, sollte er sorgsam umgehen.“

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