Historys Helfer

Was wir an dem eifrig und einfältig bebildernden Fernseh-Geschichtslehrer Guido Knopp haben.

An manchen Sonntagen, wenn ich schon ganz müde bin vom Krimi im ZDF, freue ich mich auf „heute“, denn danach beginnt „History“, und dann kann ich den Kopf aufs Kissen legen und bald einschlafen, bis das „Philosophische Quartett“ beginnt. Denn zu „History“ begrüßt mich die sonore Staubsaugervertreterstimme von Guido Knopp: verbindlich, warm, apodiktisch. Guido Knopp ist 62, seit 20 Jahren erklärt er uns im ZDF die Geschichte; er jagte uns durch die Abgründe von Hitlers Helfern, Hitlers Schülern, Hitlers Lehrern, Hitlers Sekretärinnen und Hitlers Hunden, er ließ das gesamte Tausendjährige Reich beinahe in Echtzeit nachspielen; vor schwarzem Hintergrund saßen in Ohrensesseln die letzten Offiziere und Landser, um Zeugnis abzulegen für die Nachwelt; zur Jahrtausendwende ließ er „100 Jahre“ Revue passieren, die Reihe lief dann noch jahrelang auf Phoenix, man freute sich immer schon auf das Wirtschaftswunder und die Ölkrise.

Dr. Guido Knopp hat auch etwas von einem besonders bemühten Geschichtslehrer, den jeder Schüler mag, aber auch ein bisschen bemitleidet. Unsere Lehrerin im Vorsemester hatte eine Schwäche für Sandalenfilme mit Charlton Heston; sie reservierte dauernd den Filmraum, um „Ben Hur“, „Der Untergang des römischen Reiches“ oder „El Cid“ zu zeigen; wenn man währe der dreistündigen Zeremonie vorsichtig den Kopf wandte, sah man die schmale Frau mit dem dünnen blonden Haar und der Mecki-Frisur versonnen lächeln; sie liebte Charlton Heston und Stephen Boyd, diese muskulösen Männer, sie sah sie so gern auf den Galeeren und beim Wagenrennen, und später erzählte sie uns etwas über die Katakomben und die Senatoren und die Christen. Dann nahm sie ihre Schweinsledertasche und ging beglückt in die Pause. Ihr Mann war ein kleiner, trockener Schleicher mit Bart, auch er unterrichtete Geschichte und zeigte gern Filme, er mochte wohl Sophia Loren. Zusammen schauten sie vielleicht „Spartacus“.

Diese Lust an der knalligen Ausmalung, am Schinken, am Monumentalen hat auch Dr. Guido Knopp. Originaldokumente dienen ihm nur zur Einleitung für das, was wir nicht sicher wissen und also nicht zeigen können und wofür Guido und seine ZDF-Professoren bei ihrem Quellenstudium keine Bilder finden konnten. „History“ ventiliert dräuend dieses Unbekannte, dieses Mysteriöse, das den Historiker nicht ruhen lässt: Hielt Churchill wirklich während Bombardements seinen Mittagsschlaf? Wurde Hitler tatsächlich mit Kokaintropfen behandelt? Badete Kleopatra in Eselsmilch? Wurde Rosa Luxemburgs Leiche in den Kanal geworfen? Verlor Napoleon die Schlacht bei Waterloo, weil er unter Flatulenz litt? Woran starb eigentlich Tut-ench-Amun? Im Völkerkundemuseum sieht man immer den Neandertaler nebst Mammut, die ersten Behausungen, das Lagerfeuer, Jagdszenen aus dem Holozän. So inszeniert Guido Knopp die Geschichte: ein Cecil B. DeMille aus der Requisitenkammer.

Mit seiner Reihe „Die Deutschen II“ holte er uns die Vergangenheit jetzt wieder ganz nah. „Auch Frauen“ gehören zur deutschen Geschichte, so Knopp, „auch Rebellen“. In Ungarn ließ er seine Filmteams das Mittelalter nachbauen: Juden tragen Schläfenlocken, gehen geduckt über den Markt und werden reich (Aufnahme Gold), weil sie kein Handwerk ausüben dürfen (Aufnahme Hammer), die Pest wütet (Aufnahme verzweifelte Gesichter), Karl IV. sieht aus wie Gisbert zu Knyphausen und zaudert immerzu (Aufnahme herumgehender Karl), aber schon brandschatzen die Bürger (Aufnahme Feuer), es ist Pogrom, Karl hat versagt. Und schalten Sie auch nächste Woche wieder ein!

So blättert Guido Knopp durch die Jahrhunderte, hier der dicke Luther, da der dünne Stresemann, Goebbels tobt, Göring schnauft. Oft schon hat Knopp seinen Stahlkoffer in die Redaktionen getragen, um seine Filmprojekte persönlich den Skeptikern vorgestellt; er soll dabei stets freundlich sein, von keinem Zweifel angekränkelt, ein 1,96 Meter großer Riese der Selbstgewissheit und der fröhlichen Wissenschaft. Seine Sendungen sind die „Hit-Giganten“ der Historie, das Beste der letzten tausend Jahre und die paar Hits von gestern: RAF-Terror, 11. September, Al-Qaida. Schon wabert hinter den Bogenfenstern der bedrohliche Nebel der Verschwörung und der Klitterung; es dräut das Zwielicht der elitären Forschung im Abseits der Fachschaften. Guido Knopps Glaube ans bewegte Bild ist absolut: In Kammerspielen, Schlachtenszenen und kitschigen Minnedramen zeigt er immer wieder, dass Männer (und Frauen und Rebellen) die Geschichte machen, und schade ist bloß, dass kein Errol Flynn, kein Charlton Heston und kein Yul Brynner mehr zur Verfügung stehen, um das Geschehen glaubhaft zu machen. Während das Kino mit Filmen wie „American History X“, „The Insider“, „Syriana“, „The Social Network“ und „Fair Game“ große dokumentarische Wahrheit anstrebt, ohne historische Korrektheit zu behaupten, bebildern Knopps filmende Truppen bloß einfältig, was man sich sowieso mit ein bisschen Fantasie vorstellen kann.

Kürzlich lief ein Film vor mir ab. Mittags ging ich zum italienischen Restaurant hinüber, der Laden war voll, aber da stand er und konnte nicht anders: 1,96 Meter groß, linkisch, lächelnd – nur war seine Vokuhila-Frisur nicht grau, und die Haare hatte er an den Seiten rasiert (war er nun Mönch geworden?). Ich fragte nach einem Tisch für zwei Personen, und er wies uns einen an. Aber nicht Guido hieß er. Sondern Giovanni!

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