„Ironie ist für Drückeberger“

WENIGE FOLKSÄNGER SIND DERMASSEN FÜRS VOLK DA wie Billy Bragg: Seit den 80er-Jahren kämpft der Brite für eine bessere Welt, nicht nur mit seinen Songs. Heutzutage arbeitet der 55-Jährige auf allen Kanälen: Er informiert seine Anhänger per Facebook und Twitter, manches Protestlied – wie das vom Abhörskandal inspirierte „Never Buy The Sun“ – stellt er sofort auf seine Website, bevor es nicht mehr aktuell ist. Die eher persönlichen Lieder sind jetzt auf dem so beherzten wie berührenden Album „Tooth &Nail“ zu finden.

Warum haben Sie Joe Henry als Produzenten gewählt?

Er meinte, wir schaffen die Platte in fünf Tagen – was ich wirklich attraktiv fand! Mir liegt das Arbeiten im Studio nicht so, da wird mir schnell langweilig. Joe sagte: Bring keine Gitarren mit, ich habe welche. Unterwäsche reicht. So habe ich diesmal nur ein wenig akustisch gespielt und mich auf meinen Gesang konzentriert. Er hat mir viel Selbstbewusstsein gegeben, das ich in Bezug auf meine Stimme nie hatte. Ich wollte immer ein Soul-Sänger sein, und jetzt hatte ich dank Joe erstmals das Gefühl, dass ich nahe dran bin.

Gleich in einigen neuen Liedern weisen Sie auf Ihre Defizite hin – als Heimwerker („Handyman Blues“) oder Lebenspartner („Chasing Rainbows“)

Alle reden immer von den politischen Kämpfen, die man auszustehen hat, aber die privaten sind genauso wichtig. Man darf nicht selbstzufrieden werden, besonders nicht in der Liebe. Diese beiden Stücke handeln davon, dass es mir nicht ganz gelungen ist, die Erwartungen meiner Partnerin zu erfüllen. Juliet und ich sind seit 20 Jahren zusammen, und wir müssen jeden Tag aufs Neue versuchen, den Wünschen des anderen zu entsprechen – das ist eines der Geheimnisse einer langen Beziehung. Das andere: getrennte Badezimmer!

Dass Sie keinen Nagel in die Wand schlagen können, hat mich allerdings enttäuscht.

Warum denkt eigentlich jeder, ich müsste ein guter Handwerker sein? Mein Vater konnte das alles: Holz bearbeiten, Autos reparieren und so weiter. Mein Bruder ist Maurer, er hat das geerbt, ich dagegen habe zwei linke Hände. Und wenn ich Songs schreibe, möchte ich meine eigenen Fehler nicht verschleiern, so stellt man keine Verbindung zum Publikum her. Ich will niemanden beeindrucken. Ich will berühren.

Sie machen seit 35 Jahren Musik. In der Zeit hat sich das Geschäft extrem verändert – nur zum Schlechten? Ich sag’s mal so: Wir haben noch nie so viel gearbeitet wie in letzter Zeit -alle paar Jahre ein Album an die Plattenfirma schicken, das reicht nicht mehr. Manchmal ist das mühselig, aber am Ende zahlt es sich aus, zumindest für uns. Juliet managt mich inzwischen ja auch – ich musste sie ein bisschen überreden, aber jetzt ist sie meine Mitverschwörerin und wir organisieren unseren kleinen Laden von zu Hause aus, Website, Mail-Order und so weiter, das läuft sehr gut.

Im vergangenen Jahr hatten Sie einigen Ärger: In Ihrer Nachbarschaft in Dorset kursierte ein Brief, in dem sie diffamiert wurden. Rächen Sie sich jetzt mit dem Song „There Will Be A Reckoning“?

Ach, im Grunde geht es nicht um mich. Es fing damit an, dass es mich wütend gemacht hat, dass die British National Party in meiner Heimatstadt Barking zwölf Plätze im Gemeinderat gewann. Wir haben sehr hart gegen diese Rassisten gekämpft, und bei der Wahl 2010 haben sie jeden einzelnen Platz wieder verloren. Dieser Erfolg hat dann zu dem Brief geführt, in dem ich als Heuchler bezeichnet und meine Nachbarn gebeten wurden, mich zu entfernen. Seitdem werde ich auf der Straße viel freundlicher begrüßt, alle sprechen mir Mut zu. Aber solche Anfeindungen -ich kenne das ja. Ich bekomme ständig Briefe von irgendwelchen Rechten nach Hause geschickt, die mir vorwerfen, kein Patriot zu sein, keine Arbeiterklasse und nicht heterosexuell. Aber niemand wirft mir je vor, dass ich kein Heimwerker bin!

Weil Sie von den Nöten der einfachen Leute singen, gönnt man Ihnen kein schönes Haus am Strand?

Meine Antwort darauf ist: Meinungen sollten keiner Vermögensprüfung unterliegen! Das ist eine lächerliche Vorstellung. Es kommt darauf an, wo man herkommt, woran man glaubt. Nicht, wie groß oder klein jemandes Haus ist.

Als ich „No One Knows Nothing Anymore“ hörte, dachte ich: Oje, jetzt weiß selbst Billy Bragg keinen Ausweg aus der Krise mehr!

Doch, ich sehe einen Ausweg. Das Stichwort heißt: Verantwortung, im Sinne von Rechenschaftspflicht. Wir müssen Wege finden, nicht nur unsere Politiker haftbar zu machen, sondern auch Goldman Sachs. All die Firmen, die in Deutschland operieren, aber in Luxemburg Steuern zahlen – wie ziehen wir sie zur Rechenschaft? Ein aktueller Bericht der OECD sagt explizit: Wenn Firmen nicht in dem Land Steuern zahlen, in dem sie ihr Geld machen, dann wird die Demokratie scheitern.

Wird es mit zunehmendem Alter schwerer, nicht zynisch zu sein?

Das nicht, aber man analysiert die Dinge genauer, und dann funktioniert das Herunterbrechen auf simple Slogans nicht mehr so gut. Zynismus halte ich weiterhin für den größten Feind von uns allen, die die Welt besser machen wollen. Und übrigens: Ironie kann man sich auch sparen – die wird nur benutzt, damit man sich nie für das rechtfertigen muss, was man sagt. Ironie ist für Drückeberger.

Machen Sie je etwas Nutzloses? Fernsehen?

Wenn ich fernsehe, dann eher Nachrichten. Ich relaxe, wenn ich zum Kaffee den „Guardian“ lese. Früher auch beim Gassigehen, aber unser Hund ist leider gestorben. Beim Spaziergehen fällt mir viel ein, ich nehme immer einen Block mit.

Klingt auch nicht gerade nach Entspannung.

Stimmt. Man entwickelt eben Antennen, und die lassen sich kaum abschalten.

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