Kritik: Dave Gahan in Berlin – Schwarzer Schwan sehnt sich nach Liebe

Dave Gahan und Soulsavers singen sich im Berliner Admiralspalast durch die Geschichte des Blues, Rock und Great American Songbook. Zwei Hits von Depeche Mode dürfen auch nicht fehlen.

Mindestens zweimal ist Dave Gahan dem Tod von der Schippe gesprungen, und dass er selbst an der Notlage Schuld trug, macht sein Leben nur umso reicher, denn er wurde nach seinem Überlebenskampf zum Geläuterten, Lernenden, der die Lieder seines Lebens fortan mit mehr Inhalt füllen konnte: „If you smile through your fear and sorrow“, singt er nun in „Smile“, dem Charlie-Chaplin-Stück von 1936, dem Nat King Cole knapp 20 Jahre später seinen unsterblichen Text schenkte, und dann: „Smile and maybe tomorrow / You’ll see the sun come shining through for you.“ Gahan lächelt zwischen den Strophen tatsächlich (was beim Singen ziemlich schwierig ist), und es ist das Lächeln eines heute 59-Jährigen, der weiser ist, auch, weil von der anderen Seite berichten kann – 1996 war er nach einer Drogenüberdosis klinisch tot, und ein späteres Album nannte er „The Light The Dead See.“

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Am Montagabend steht der Depeche-Mode-Sänger mit der Band Soulsavers auf der Bühne des Berliner Admiralspalast, im Rahmen der Telekom Street Gigs. In chronologischer Reihenfolge stellt er die zwölf Songs seines Albums „Imposter“ vor, allesamt Coverversionen. Die neueren Stücke sind von Frauen (PJ Harvey, „The Desperate Kingdom Of Love“, Cat Power, „Metal Heart“), die älteren fast ausschließlich von Männern, darunter Dylan und Elmore James.

Die Exzellenz einer Coverversion beweist sich in der Balance aus Ehrerbietung und freiheitlicher Interpretation. Dave Gahan beherrscht sie, und besonders sicher zeigt sich der Brite gerade in der Intonation amerikanischer Klassiker. Neben Chaplins „Smile“ vor allem in Neil Youngs „A Man Needs A Maid“, eine für das Jahr 1972 völlig untypische Offenlegung männlicher Unsicherheiten und Unselbstständigkeit. Es ist ein Lied, das Gahan sich gut zu eigen machen kann. Viele Jahre streunerte er durch Beziehungen, mit dem Entzug und der richtigen Ehe fand er wieder in die richtige Spur zurück. Es ist der Moment, in dem man spürt, dass er fremde Texte fühlen kann.

„Maybe I didn’t treat you / Quite as good as I should have / Maybe I didn’t love you / Quite as often as I could have“ – schon beim Lesen singt man die Zeilen mit, geschrieben wurde „Always On My Mind“ von Wayne Carson, Johnny Christopher und Mark James, bekannt wurde es durch die Fassung von Gwen McRae, dann natürlich durch die von Elvis Presley. Es geht darin um eine Trennung von einer geliebten Partnerin, aber die Zeilen erinnern auch an eines jener Depeche-Mode-Lieder, das Gahan am meisten berührt: „Precious“, das sich um die Vernachlässigung des eigenen Kindes nach einer Scheidung dreht. Hier entstehen Verbindungen zwischen dem fremden und dem eigenen Back-Katalog, die vorher unbekannt waren.

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Die Leute sind natürlich nicht nur gekommen, um Klassiker des Great American Songbook zu hören, sie sind auch gekommen, um Dave zu sehen, genauer: den Dancing Dave. Den „Schwarzen Schwan“ hat er schon seit längerem im Programm, Pirouetten, ausladende Wellenbewegungen mit den Armen, nur das Trippeln auf Zehenspitzen ist nichts für ihn. Relativ neu ist der „Cowboy“, er stellt sich zunächst breitbeinig, dann o-beinig auf, als sei er soeben vom Pferd gestiegen. Als die Soulsavers im Zugabenteil die beiden Depeche-Mode-Stücke des Abends intonieren, „Personal Jesus“ und „John The Revelator“, schlüpft Gahan in jene alte Rolle zurück, die ihm am besten steht: der Schamane. „Personal Jesus“ handelt von einem falschen Schamanen, „John The Revelator“ dafür von einem echten Prediger, und bei diesen mehr oder weniger spirituell angehauchten Songs sind die Tänze Gahans so urtriebig, als würde er dabei in Zungen reden. Es ist die Persona, die er ab der „Devotional Tour“ von 1993 kultiviert. Der leicht Irre, den ein Gospel-Chor auf den Boden zurückholt, auch hier wird er von zwei Sängerinnen und einem Sänger begleitet.

Natürlich ist der Jubel, die Ekstase bei den zwei Depeche-Liedern am größten. Das heißt aber nicht unbedingt, dass die „Imposter“-Songs für schlechter befunden werden. Es könnte vielmehr heißen, dass Gahans Fans der Auffassung sind, dass die Stücke seiner alten Band in den Kanon der großen Stücke mit aufgenommen werden, neben denen von Neil Young, Bob Dylan und Gene Clark stehen müssten.

Nach dem Ende des knapp 90-minütigen Auftritts kommt John Barrys „Midnight Cowboy“, als Einspielung vom Band. Gahan und seine Band verbeugen und verabschieden sich, winken Bye-Bye. „Midnight Cowboy“ ist ein großartiges Instrumental-Stück, zu dem Johnny Mathis später einen schönen Song-Text beigesteuert hat: „Once his hopes were high as the sky /Once a dream was easy to buy / Too soon, his eager fingers were burned / Soon life’s lonely lessons are learned.“ Wann widmet sich Gahan diesem Epos? Nächstes Mal, hoffentlich.

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