L.A. Crash :: Start 4. 8.

Das Kino hat schon immer Zufälle und Schicksale miteinander verknüpft wie Knotenpunkte — aber erst Robert Altman hat mit „Short Cuts“ ein eigenständiges Genre geschaffen. Darin begegnen oder streifen sich Menschen nur, bedingen Momente andere Situationen oder erscheint jede unabhängige Handlung wie der Teil einer universellen Strömung, in der sich der Geist einer ganzen Metropole wie etwa Los Angeles widerspiegelt.

L. A. hat auch Paul Haggis für sein Regiedebüt gewählt. Er war bislang Drehbuchautor und zuletzt mit „Million Dollar Baby“ für den Oscar nominiert gewesen. Für einen Schreiber ist die kunstvoll verzahnte Episodentorm, die dem episch angelegten Roman ähnelt, natürlich ein unerschöpfliches Reservoir an Fi‘ guren und Geschichten. Als Regisseur mußte Haggis den Stoff aber diesmal bündeln, damit der Film sich nicht in den vielen Fäden verliert. Er hat die Herausforderung mehr als bestanden, auch wenn ihm zum übergeordneten Thema Rassismus, Vorurteile, Intoleranz zwischen Rassen und Religionen, Armen und Reichen in Los Angeles manch ein Strang zu viel geraten ist.

„In jeder echten Stadt berühren sich die Menschen beim Gehen auf der Straße. Nur in LA. nicht“, sinniert Detective Graham (Don Cheadle), während er bei einem schweren Autounfall steht. „Vielleicht fahren wir ineinander, nur um etwas zu fühlen.“ Der Prolog weist die Richtung von „L.A. Crash“. Da sind erst zwei schwarze Jugendliche, Peter (Larenz Tate) und Anthony (Chris „Ludacris“ Bridges), die durch ein nobles Einkaufsviertel schlendern. „Uns hält jeder hier für Gangster“, schwadroniert Anthony in einem seiner vielen zornigen, pointierten Thesen über Rassismus. ,Aber wir sind die einzigen Schwarzen unter lauter überkoffeinierten Weißen. Wir sollten Angst haben!“ Dann entreißen sie plötzlich Jean (Sandra Bullock), Ehefrau des Staatsanwalts Rick Cabot (Brendan Fraser), die Autoschlüssel und hauen mit ihrem teuren schwarzen Mini-Van ab. Während sie hysterisch die Schlösser ihrer Villa austauschen läßt und dabei den tätowierten Latino Daniel vom Schlüsseldienst mißtrauisch beäugt, halten die beiden Cops Ryan (Matt Dillon) und Hansen (Ryan Philippe) einen Mini-Van des gleichen Typs an. Darin sitzen der schwarze TV-Regisseur Cameron (Terrence D. Howard) und seine Gattin Christine (Thandie Newton). Es kommt zu Frotzeleien, und als der frustrierte Ryan das Paar sexuell demütigt, verlangt der schweigend zusehende, aber empörte Hansen am Tag darauf einen neuen Partner.

Alle Personen, auch ein asiatisches Pärchen und ein bewaffneter iranischer Ladenbesitzer, werden sich wiedertreffen oder kreuzen, katharsische Erfahrungen machen, geschockt oder geläutert sein, ihre Meinungen ändern oder auch ihre liberale Gesinnung verlieren. Am Ende ist keiner so, wie man ihn auf den ersten Blick beurteilt hat. Daß Haggis einen versöhnlichen Ton anschlägt und am Ende ziemlich sentimental die Hoffnung in der Tragik beschwört, schmälert die klugen Gedanken über das komplexe Zusammenleben in einem Schmelztiegel wie L.A. nicht.

Mit suggestiv montierten und in der Dramatik ausgefeilten Bildern sowie dem fabelhaften Ensemble, das die Irritationen und Anspannungen greifbar macht, ist Haggis ein virtuoser Rollgriff durch die nicht nur gesellschaftlichen, sondern zutiefst menschlichen Konflikte gelungen. Dann hüllt Schnee das Szenario in einen besinnlichen Stillstand.

Und man weiß trotzdem, daß es nicht vorbei ist.

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