The Wolf Of Wall Street Leonardo DiCaprio, Jonah Hill :: Regie: Martin Scorsese

Die Träume sind wohl ausgegangen in der Traumfabrik. Bei den diesjährigen Oscars waren gleich sieben Filme nominiert, die eine so genannte „wahre“ Geschichte erzählen. Vermutlich steckt das ganze Land in einer Identitätskrise, zumal zwei der Regisseure ihre Reenactments der amerikanischen Wirklichkeit als Fa rce inszenierten: David O. Russell berichtet in seinem Intrigenspiel „American Hustle“ vergnüglich von Trickbetrug und Korruption im Staate New Jersey, und Martin Scorsese zeigt das exzessive Leben des Börsenmaklers Jordan Belfort als kokainbefeuerte Allegorie auf den amerikanischen Traum.

Der junge Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) beginnt seine Karriere bei einer alteingesessenen Bank, der exzentrische Mark Hanna (der allgegenwärtige Matthew McConaughey) führt ihn in das große Betriebsgeheimnis des Finanzmarkts ein („Niemand weiß, ob die Aktien hoch-oder runtergehen, seitwärts oder im Kreis“) und rät ihm zu Drogen, Prostituierten und Entspannungsübungen mittels Masturbation. Belfort erhält seine Lizenz zum Börsenmakler dann ausgerechnet am Schwarzen Montag, dem Tag im Oktober 1987, als der Dow Jones ohne klar zu identifizierenden realen Grund abschmiert. Er verliert seinen Job, lernt aber bald den unregulierten Markt der sogenannten Pennystocks kennen: Aktien mit geringem Handelsvolumen, aber großem Potenzial für Spekulanten. Gemeinsam mit seinem Nachbarn Donnie Azoff (Jonah Bauer) baut er das Unternehmen Stratton Oakmont auf, das wohlhabende Börsianer aggressiv in den außerbörslichen Handel treibt, billig Anteile an einem Unternehmen kauft und für das Zigfache verkauft -pump and dump.

Das „Forbes“-Magazin tauft den aufstrebenden Belfort schließlich „The Wolf Of Wall Street“, was er zunächst -noch in üblichen Moralvorstellungen verhaftet -für eine Beleidigung hält, bis er merkt, dass er sich längst in einem System befindet, in dem alle Werte umgewertet sind und die angebliche Erniedrigung eine Adelung ist. Von da an ist es nur noch ein kurzer Weg in den Größenwahn: „Stratton Oakmont ist Amerika!“, ruft der bald wie ein Sektenführer verehrte Broker seinen jubelnden Angestellten entgegen. Alles ist nun maßlos: die Egos, die gehandelten Summen und die Drogenräusche, der Sex und die Verschwendung. In prächtigen Kulissen wird gekokst, geschwitzt und gelabert, gewichst und gevögelt. Maßlosigkeit ist hier nicht nur das Thema des Films, sie zeigt sich auch in seinen Bildern und seiner epischen Länge. Irgendwann sieht man keinen Unterschied mehr zwischen diesen immer gleich ablaufenden Orgien und der monotonen Fließbandarbeit in einer VW-Werkshalle.

Aber hier geht es um mehr als die zynische Ästhetisierung eines wildgewordenen Kapitalismus. Scorsese zeigt vielmehr, wie sich das Leben seiner Protagonisten, ebenso wie ihr Geschäft, nicht mehr im Realen, sondern im Imaginären abspielt. In einer absurden Szene ist Belfort und Azoff nach Einnahme von lange vom Markt genommenen, als Rauschmittel missbrauchten Schlaftabletten das Funktionieren in der Wirklichkeit schließlich sogar vollkommen unmöglich, sie haben jegliche Form der Kultiviertheit verloren, können sich nur noch kriechend fortbewegen und drohen, Urlaute brüllend, an ihrer Gier zu ersticken. Kein Zufall, dass genau in diesem Moment das Reale in Person des FBI-Agenten Patrick Denham (Kyle Chandler) in ihre Spekulationsblase sticht. Doch solange die Drogen wirken, spielt das keine Rolle und als die Drogen wieder funktionieren, geht der Spaß natürlich erst mal weiter.

Leonardo DiCaprio ist für den charismatischen Hochstapler natürlich die Idealbesetzung. In seinem Belfort spiegeln sich sein Frank Abagnale jr. aus Spielbergs „Catch Me If You Can“, sein Howard Hughes aus Scorseses „Aviator“ und Jay Gatsby, den er im vergangenen Jahr für Baz Luhrman verkörperte – widersprüchliche amerikanische Archetypen, die uns zeigten, dass die reale Entsprechung des Traumes die Täuschung ist. Kein Wunder, dass man dafür in der Traumfabrik keine Preise verleiht. Extras: Zwei Featurettes und ein Gespräch mit Scorsese, DiCaprio, Jonah Hill und Drehbuchautor Terence Winter.

(Universal) MAIK BRÜGGEMEYER

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