Wilco

Schmilco

dBpm/Anti

Das beste Wilco-Album seit mehr als zehn Jahren: Jeff Tweedy wacht aus dunklen Träumen auf – und seine Band brilliert

„Star Wars“, das stachelige Wilco-Album aus dem vergangenen Jahr, hatte keine großen Songs, aber viele tolle Kunststückchen. Die Band, die jederzeit mit Gitarrenepen überwältigen könnte, wählte die kleine Form, machte das zweite Television-Album statt des ersten, zeigte einen Tarantino-Film auf dem iPhone statt in 70‑mm-Fassung auf Leinwand. Vielleicht wollten sie nicht noch einmal in die Sackgasse abbiegen, die „Wilco (The Album)“ 2009 wohl war, als sie zu sehr bei sich selbst blieben und darüber die Welt vergaßen. Eine Band, die sich für den Mittelpunkt des Universums hält, gibt ihrem neuesten Album jedenfalls nicht den lakonischen, von Harry Nilsson inspirierten Titel „Schmilco“.

Mehr als die Hälfte der zwölf Songs sind nicht mal drei Minuten lang, und doch ist dies ein ganz anderes Tierchen als das ähnlich knapp bemessene „Star Wars“, es widmet sich nicht der kalten Mathematik des Indierock, sondern dem Sentiment des Country und der Sprödigkeit des Folk und ist dabei ungeachtet des Titels von dunklem Gemüte.

Sparsam, mit akustischem Geschrummel und virtuosem Jangle steigt die Band ein, und Jeff Tweedy grummelt, wie sehr er die „Normal American Kids“ gehasst hat, von denen er selbst eines war. Dann kommt in „If I Ever Was A Child“ tatsächlich Harry-Nilsson-Melancholie auf, und jeder der sechs Wilcos stellt sein ganzes Können in den Dienst des Wohlklangs dieser Folkpop-Miniatur. „Cry All Day“ lebt, wie später auch „Quarters“, von Swing und Originalität des seit Kenny Buttreys Tod größten Schlagzeugers auf diesem Planeten, Glenn Kotche. Das finstre „Common Sense“ wird von den Gitarristen im Stil der Kammerpop-Dekonstruktivisten Gastr Del Sol aufgeribbelt. Der Verweigerungsblues „Nope“ flackert am dunklen Abgrund, „Someone To Lose“ shuffelt sich ins George-Harrison-Nirvana, und weil alle Dinge vergehen müssen, handelt „Happiness“ anschließend vom Tod der Mutter. „I know the dead still listen/ She sings a part of every refrain.“

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„Locator“, das wie ein besonders verspultes „Star Wars“-Outtake anmutet, leitet das psychedelische letzte Viertel des Albums ein. „Shrug And Destroy“ ist mindestens lennonesk, für „We Aren’t The World (Safety Girl)“ werden die Siebziger so gefaltet, dass der frühe Springsteen Iggy Pops „China Girl“ singen kann, und mit dem von einer elegischen Orgel eingeleiteten „Just Say Goodbye“ müssen wir uns verabschieden vom besten Wilco-Album seit „A Ghost Is Born“.

„Why am I in my skin again?“, fragt Tweedy, als wäre er aus dunklen Träumen erwacht. Dieser Nachtmahr wird uns noch lange verfolgen.