RS-Archiv

Wie Sabrina Setlur in der rauen Männerwelt eine Familie fand

Zum 50. Geburtstag von Sabrina Setlur erzählen wir, wie die Sängerin sich beim Label 3p durchsetzte.

Diese leicht bearbeitete Reportage aus dem Archiv erschien 1999 im ROLLING STONE. 

Sabrina Setlur, die Tochter indischer Eltern debütierte 1995 unter den Fittichen des Rödelheim Hartreim Projekts als süße Schwester S mit bösen Reimen. Dann emanzipierte sie sich vom falschen Geruch der Straße und reüssierte als Diva der S-Klasse.

Der gemeine Frankfurter hat ein besonderes Verhältnis zu seiner Heimatstadt: Er hält sich für einen weltgewandten Citoyen in einer Metropole von globaler Bedeutung: Der Flughafen, die Skyline der Hochhäuser die Börse, die Banken – all das verleitet ihn zum Trugschluss, „Mainhattan“ sei die kleine Schwester von New York. Doch dieses großstädtische Lebensgefühl gilt halt nur während der Bürozeiten. Frankfurt bleibt Bankfurt – und leidet deshalb nach Feierabend unter einem kulturellen Minderwertigkeitskomplex, der durch sündhaft teure Opern-Inszenierungen nur schlecht kaschiert wird.

In den Discos gilt meist noch die alte Regel: Wer Turnschuhe trägt, bleibt draußen! Anders als etwa in Hamburg oder Berlin, konnten sich in Frankfurt moderne Subkulturen nie wirklich etablieren. Wer anders denkt, fühlt und handelt als das Dienstleistungsgewerbe, das hier die Normen setzt, wird an den Rand gedrängt, ins Abseits der Flüsterkneipen und der Off-Off-Clubs. Der Weg von dort zurück ins Zentrum ist schwer, denn in Frankfurt herrschen amerikanische Verhältnisse, und wer von einem kuscheligen Indie-Nährboden träumt, der sollte wohl besser nach Stuttgart fahren.

Doch wenn man es sich nur stark genug wünscht, dann werden selbst am Main noch Träume wahr. Davon zeugt das prächtig renovierte Bürgerhaus in der Rödelheimer Fuchstanzstraße. Vor dem Eingangsportal flattert selbstbewusst und auch ein wenig protzig eine Flagge mit dem Logo der Firma, die hier residiert: 3p – „Pelham Power Productions“. Hier arbeiten 13 festangestellte Mitarbeiter, und hier wohnt auch der Chef-: Deutschlands meistgefürchteter Rapper Moses Pelham. Als Künstler ist der Hausherr zur Zeit etwas in den Hintergrund getreten. Jedoch als Geschäftsführer von 3p und als Produzent des Megasellers Xavier Naidoo gibt es für ihn mehr als genug zu tun.

Ein weiteres, besonders erfolgversprechendes Werk hat er gerade vollendet: „Aus der Sicht und mit den Hirten von…“, das neue Album von Sabrina Setlur. Um die Rödelheimer Rapperin und (laut „Bild“) „erotischste Frau Deutschlands“ war es im letzten Jahr still gewesen, doch mit ihrem neuen und bisher besten Album wird sich das ganz schnell ändern. Um zu verstehen, worum es ihr und ihrer Plattenfirma geht, muss man ein paar Jahre zurückgehen, und ein paar Kilometer weiter nordwestlich in Richtung Taunus fahren. Dann landet man in Schwalbach, einem kleinen Ort mit einem dörflichen Stadtkern, etwas Industrie und ein paar Hochhäusern.

Sabrina Setlur bei der Echo-Verleihung 1999

Es ist ein sonniger Samstagnachmittag im Frühling 1994, als Thomas Hofmann in seinem Alfa Spider durch die engen Straßen Schwalbachs fegt. Neben dem Rödelheimer Professorensohn sitzt seine Schulfreundin Sabrina Setlur. Die Tochter indischer Eltern ist vor einigen Monaten 20 geworden, das Abitur liegt hinter ihr, und nun quält sie sich mit der klassischen Frage: Was soll aus mir werden? Stewardess vielleicht, „weil man so viel herum kommt“. Anwältin wäre auch okay, schließlich ist sie großer Fan der TV-Serie „L. A. Law“.

Für Sabrina Setlur ist Rap Gebrüll mit brennenden Mülltonnen

Zur Sicherheit hat sie sich jedoch als BWL-Studentin eingeschrieben. Aber heute möchte Sabrina nicht an die Zukunft denken. Die Sonne prickelt warm auf ihrer Haut, der Fahrtwind zerrt an den Haaren und aus dem Autoradio kommt Dr Dre’s „Nothing but a ‚G‘ Thang“. Eigentlich mag Sabrina Rap nicht besonders – egal ob mit oder ohne „Gangster“. „Ich muß dann immer an Gebrülle und brennende Mülltonnen denken“, sagt sie. Dafür liebt sie weich federnden Funk, den Soul von Whitney Houston und den Pop von Madonna. Ihr Vater hat sie einmal dabei erwischt, wie sie vor dem Badezimmer-Spiegel herum hampelte und Popstar spielte, mit einer Deodose in der Hand.

Während sie an die etwas peinliche Episode zurückdenkt, fängt Setlur leise an zu rappen: „Ain’t nuthing but a G-thang, baby. So just chill, till die next episode“. „Heeey, mach das nochmal!“ Thomas ist begeistert. Und Thomas ist nicht irgendein wohlhabendes Jüngelchen aus der Frankfurter Vorstadt – zusammen mit seinem Vorbild und Partner, dem weniger begütert aufgewachsenen Moses Pelham, repräsentiert er das unlängst gegründete Rödelheim Hartreim Projekt. Gemeinsam mit Martin Haas und Robert Sattler arbeiten die beiden schon seit einer ganzen Weile an ihrem Debütalbum. Es soll „Direkt aus Rödelheim “ heißen, so wie „Straight Outa Compton“, und es ist der Versuch, Gangster-Rap sowie G-Funk ins Deutsche, oder besser, ins Hessische, zu übertragen.

Von solchen Details hat Sabrina Setlur natürlich keinerlei Ahnung. Aber sie ist trotzdem stolz, als Thomas fragt, ob sie Lust hat eine Strophe zu rappen beim programmatischen Stück „Wenn es nicht hart ist (ist es nicht das Projekt)“. Natürlich will sie. Soweit die Mythologie der frühen Tage. „Direkt aus Rödelheim “ schlägt in der vom Mittelstand geprägten Szene des „deutschen Sprechgesangs“ ein wie eine mit Handkäse gefüllte Proll-Bombe. Moses Pelham und sein Junior-Partner legen sich mit allen an: Fanta 4, Advanced Chemistry, Stefan Raab und natürlich mit den politisch korrekten Medien. Sie etablieren eine Sprache, die es im deutschen HipHop so bislang noch nicht gab: Ein stilisierter Frankfurter Ghetto-Slang, in dem es vor Tschabos und Fotzenleckern nur so wimmelt.

Den Frankfurter Rapper Germ bedrohen sie gar mit der Goebbels-Zeile „Wollt ihr den totalen Krieg?“. Wer tolerant genug war, um das zu überstehen, der wurde mit den Böhse-Onkelz-Shirts, die Moses gerne trägt, endgültig geschockt. Denn genau wie die ehemalige Skin-Band hat Moses P das Gefühl, dass er allein gegen den Rest der Welt kämpft. Nicht ganz ohne Grund: Wie viele HipHop-Kids der ersten Stunde wurde er mehr als einmal von Plattenfirmen hereingelegt und betrogen. Dazu kommt der klassenbewußte Stolz des aufrechten Proleten, der endlich der ganzen Welt zeigen möchte, dass das Spiel auch zu seinen Konditionen funktioniert. Für Sabrina Setlur gab es in der rauen Männerwelt der Produktionsfirma 3p zunächst nur den Platz einer kleinen Schwester S, dem weiblichen Gegenstück zum Rödelheim Hartreim Projekt. Das unterstreicht auch ihr Outfit auf dem Cover des Debütalbums „S ist soweit“ – Bomberjacke, Kapuzenpulli, Springerstiefel.

Ihre Vorliebe für edle Designerkleidung von Versace oder Donna Karan ist zwar schon damals kaum zu übersehen, doch selbst heute noch betont Sabrina regelmäßig, dass sie eigentlich am liebsten Sweatshirts und Shorts trägt. Ja, klar— Ihre ersten Interviews gibt Schwester S an Plätzen mit reichlich Rödelheimer Lokalkolorit – wie etwa einem Anglerheim am Ufer des Flüsschens Nidda. Da wird bald klar, dass sie zwar rappen kann wie eine Uzi – schnell, böse und treffsicher -, aber mit dem Kontext ihrer Musik hat sie so ihre Probleme: „Ich kann nicht sagen, dass ich ein krasser HipHop-Chef bin“, gibt sie gerne und bereitwillig zu. Deshalb wird Schwester S bei Interviews meist von Thomas Hofmann begleitet, der beschützt sie vor allzu dummdreisten Fragen, kann aber auch unbedarfte Antworten kommentieren oder korrigieren.

Kein Geruch der Straße

„Der Künstler ist schließlich nicht die Hure der Medien“, erklärt Pelham die Presse-Politik von 3p, die so auch heute noch unverändert funktioniert. „Die Sabrina ist da inzwischen rausgewachsen, aber bei Xavier, da ist immer noch ein Aufpasser dabei“. Schwester S ist leider definitiv nicht die wahre Sabrina Setlur, sondern ein Kunstprodukt – der Versuch die Marktlücke „weiblicher Rap-Act“ auch hierzulande zu besetzen. Den Geruch der Straße will Schwester S bei aller Zickigkeit einfach nicht versprühen. Doch dieses Problem löst sich von selbst, als Moses ein Jahr später die Produktionsfirma 3p in die Plattenfirma 3p umwandelt und von MCA zu Epic/Sony wechselt.

Das Rödelheim Hartreim Projekt und Schwester S sind allerdings weiterhin durch Verträge an MCA gebunden. Da kommt die Selbstfindung der Setlur, die nun unter ihrem eigenen Namen arbeiten möchte, gerade recht. „Ich hatte keine Lust mehr, die kleine süße Schwester der Rödelheimer Jungs zu sein“, erzählt sie damals in jedes Mikrofon, das man ihr vor die Nase hält. „Ich habe an den Texten mitgeschrieben, aber es war trotzdem nicht mein Ding. Vor allem nach Ja klar‘ ging mir dieses krasse Geschwätz der Leute auf den Keks: Na, wie geht’s dir und deinen zwei Männern?“ Dabei hatten Moses und Thomas ihre Sabrina doch nur mit Sahnetorte verglichen und sich gewünscht, ihr Badewasser saufen zu dürfen. Und als „süß“ kann man eine Schwester, die solche Zeilen rappt, nicht gerade bezeichnen: „Ich zerreiß‘ dich, zerbeiß‘ dich, schlucke dich runter und verdau‘ dich, scheiß‘ dich wieder aus, ich bin die Frau, du bist die Maus.“

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Mit dem 97er-Album „Die neue S-Klasse“ ist Sabrina dann auch deutlich näher bei sich selbst. Ihre Texte sind persönlicher, ernster – manchmal eine Spur zu pathetisch – und auch nicht immer stubenrein, doch es sind ihre ureigenen Texte. Moses und Thomas haben inzwischen wohl eingesehen, dass aus einer BWL-Studentin so leicht keine Queen Latifah wird. Das Album verkauft sich 300.000 Mal und bringt ihr den Echo ein als „Beste nationale Künstlerin 1997“. Entsprechend dem S-Klasse-Image gibt sich die Setlur nun als das selbstbewußte Luxusweib, etwas Foxy Brown, ein wenig Janet Jackson, ein paar Spritzer von Missy Elliotts deftiger Direktheit. Damit verkörpert sie jedoch in Perfektion diesen speziellen Frankfurter Sozial-Darwinismus: Ihr mögt mich für eine vulgäre Zicke halten, aber ich habe mich nach oben geboxt, weil ich gut bin und weiß, was ich will, und deshalb mach ich jetzt doppelt soviel Kohle wie ihr!

Was allerdings an dieser Platte ebenso auffällt wie bei den meisten anderen 3p-Produktionen, ist ihre Polarisierung: Die Welt scheint nur aus Gut oder Böse zu bestehen, aus Liebe oder Hass, aus Freunden oder Feinden. Doch dieses mitunter vor Selbstmitleid triefende Pathos ist auch künstlerisches Stilmittel, vor allem für Moses: „Es ist schon klar, dass sowohl Thomas als auch Sabrina das Rappen von mir gelernt haben – das ist meine Schule“, sagt der kräftige Glatzkopf nicht ohne Stolz. Und: „Wahrscheinlich hätte man sehr viele Dinge wesentlich diplomatischer regeln können, wenn man das professioneller genommen hätte und nicht persönlich. Andererseits glaube ich, dass meine Kunst davon lebt, dass ich Dinge persönlich nehme und nicht diplomatisch.“

Die unbedachten Äußerungen über seinen Erzfeind Stefan Raab im letzten Jahr waren der Kunst nicht gerade förderlich: Das Soloalbum“Geteiltes Leid“ verkaufte deutlich weniger als erwartet. Sabrinas Reime sind ebenfalls hart und direkt, aber persönliche Angriffe gibt es auf der neuen Platte so gut wie nicht mehr: „Ich will mich da raushalten. Es ist mir total egal, ob jemand aus Hamburg kommt oder aus Stuttgart. Die Jungs da sind mir genauso gleichgültig wie die Mädels.“

Sabrina Setlur arbeitete auch im Büro mit

Was für La Setlur zählt, ist ihre Familie: „Seit ich in Rödelheim wohne, sehen wir uns sehr selten, meistens nur Sonntags – zum Mittagessen“. Doch diese Treffen sind ihr sehr wichtig, genauso wichtig wie ihre andere „Familie“: Bei 3p war sie bis vor etwa einem Jahr nicht nur als Künstlerin unter Vertrag – sie hat dort auch im Büro gearbeitet: „Ich habe irgendwann damit angefangen, weil Not am Mann war und weil ich Spaß daran hatte. Ich habe Telefondienst gemacht, Kaffee gekocht und Fan-Post bearbeitet, ich habe sogar mal eine Zeit lang als Assistentin von Moses gearbeitet, aber das war der reinste Horror.“

Warum? „Der Typ ist Workaholic und treibt dich voll in den Wahnsinn.“ Während sie nervös der Veröffentlichung ihres dritten Albums entgegenfiebert, bleibt der, der sie zum Rappen brachte, gelassen: Thomas H. hat das Mikro mit dem Schreibtisch getauscht, „vom bösen Onkel des deutschen Hip-Hop zum Marketing-Chef und Label-Manager von 3p. So ist Frankfurt eben, der Erotik des Cashflows erliegen hier selbst die ganz harten Jungs.

Peter Bischoff Getty Images
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