Der TikTok-Krieg hat gerade erst begonnen

Die Universal Music Group sperrt sich gegen den Social-Media-Gigant. Ist das eine Zeitenwende?

TikTok ohne Songs von den Beatles, den Rolling Stones, Coldplay, Lady Gaga und Taylor Swift? Kaum vorstellbar. Aber es soll Realität werden, denn Universal, das Label, das die Verwertungsrechte für die Genannten und unzählige weitere Musikerinnen, Musiker und Bands hält, will seine Musik von der chinesischen Social-Media-Rampe entfernen. Betroffen sind etwa sieben Millionen Songs, die dann Usern nicht mehr zur Nutzung zur Verfügung stehen würden, die aber auch keine Marketing-Plattform mehr bekommen, wie dem Label-Giganten bereits hinterher gegiftet wurde.

Ob all das tatsächlich passieren wird, ist noch unklar. Tatsache ist, dass am Mittwoch (31. Januar) eine Deadline für das Zustandekommen eines neuen Verwertungsvertrags zwischen TikTok und Universal auslief. Vielmehr hat sie Universal bewusst auslaufen lassen. Warum? Die Plattenfirma behauptet, dass TikTok Musikerinnen/Musikern und Songschreiberinnen/Songschreibern nur einen „Bruchteil der auf ähnlichen anderen Onlineplattformen üblichen Vergütungen geboten“ habe. Man verdiene mit TikTok nur einen Prozent seines Umsatzes – bei überdiemensionaler Präsenz seiner Lizenzmusik auf der Seite im Vergleich zu anderen. Die Vergütungszahlen lassen sich nicht überprüfen, es gibt keine frei zugänglichen Daten und sowohl TikTok als auch Universal schweigen zu dem Thema.

Es geht um Geld und Prestige

Damit ist eine Schlacht eröffnet, die auch noch andere Labels beschäftigen wird. Denn es geht – wie bei vielen anderen Kämpfen in der Branche in den letzten Jahren, von Napster bis Spotify – um Geld. Viel Geld. Wer mit Musik Menschen und Daten fängt, der soll auch zahlen. So ist zumindest die Meinung von Universal und sicher auch anderen Playern in dem Geschäftsfeld, die bisher die Probleme mit TikTok schluckten, weil sie die Vorteile als wichtiger empfanden.

Denn wie Universal in seinem umfassenden Statement klarstellte, gibt es noch weitere Schwierigkeiten mit der vor allem bei jungen Menschen weltweit beliebten Social-Media-App. Zu viele Raubkopien und teilweise fragwürdige Inhalte zwischen politischer Propaganda und Pornografie sind nur das eine. Aber laut dem Plattenlabel bevorzuge TikTok große Bands und Musikerinen/Musiker gegenüber anderen, streiche kleinere Acts gar komplett und nach eigenem Belieben. „TikTok nutzt die Macht seiner Plattform, um gefährdete Künstler zu schaden, und versucht, uns einzuschüchtern, damit wir einem schlechten Deal zustimmen, der die Musik unterbewertet und die Künstler und Songwriter sowie ihre Fans benachteiligt.“

Wenn Universal all das in die Tat umsetzt, dürfte es ein schwieriges Unterfangen werden, gar dem Abschlagen eines Kopfes der Hydra gleichen. Denn das Hauptproblem ist nicht die schnell löschbare Bibliothek mit Musiktiteln, sondern die Möglichkeit der Nutzerinnen und Nutzer, selbstständig (kurze) Clips mit Musik hochzuladen. Welche technischen und rechtlichen Probleme das mit sich bringt, ist noch völlig unklar. Zu einer Auseinandersetzung könnte sich dieses Vorgehen aber insofern entwickeln, weil Universal das Geschäftsmodell von TikTok offen infrage stellt.

TikTok unterstellt Universal Gier

Wohl auch deshalb reagieren die Verantwortlichen der App, die zum Unternehmen ByteDance mit Sitz in Peking gehört und auch unter Verdacht steht, ihre Userinnen und User auszuspähen, um Daten weiter an die chinesische Regierung zu leiten, mit Krawall. Universal stelle „seine eigene Gier über die Interessen seiner Künstler und Songwriter“, heißt es etwa in der schlagkräftigen Antwort, die keinerlei Verhandlungsinteresse vermuten lässt. Mit jedem anderen Label habe eine Interessenvereinbarung geklappt.

Noch deutlicher ist ein anderer Passus: „Trotz der falschen Darstellung und Rhetorik von Universal ist es eine Tatsache, dass sie sich entschieden haben, auf die mächtige Unterstützung einer Plattform mit weit über einer Milliarde Nutzer zu verzichten, die als kostenloses Werbe- und Entdeckerforum für ihre Talente dient.“

Es stellt sich mit diesem Konflikt nur einmal mehr die Frage, wer Koch und wer Kellner im Musikbusiness ist. Gewiss haben in den letzten Jahren viele Musikerinnen und Musiker über TikTok immense Aufmerksamkeit erhalten. Sie konnten so Verträge abschließen, die ihnen Summen brachten, die ohne die Social-Media-Website gar nicht möglich gewesen wären und die sehr viel mehr Unabhängigkeit erzeugten als bei ihren Vorgängern.

Universal will nun eine Zeitenwende erzwingen, mit der TikTok zumindest in die bestehenden Digitalmärkte eingeebnet wird und keine Sonderrechte mehr genießt. Das könnte vor allem für die Nutzerinnen und Nutzer eine Umstellung bedeuten, wenn das Label seiner Drohung Taten folgen lässt und Unterstützung von anderen Plattenfirmen erhält. Zugleich bleibt die Frage, ob die ebenfalls von Universal vorgetragenen Argumente – etwa das nicht erfolgte Entfernen von verächtlichen Posts – wirklich den Kern des Problems ausmachen.

Oder ob möglicherweise die eigentliche Gefahr noch gar nicht laut benannt wird. Das wäre die völlig grenzenlose Anwendung von KI, die TikTok in der Zukunft mittels virtuell erstellter Musik auf Basis von Trilliarden von Daten Freiheit vor den Geschäftsinteressen der Labels sichern könnte. Verständlicherweise wäre das für Universal und Co. existenziell bedrohend. Es dürfte nur die erste Runde im TikTok-Krieg sein.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates