„Wozu Regierungen?“

In den Neunzigern wollte Digital-Punk Alec Empire mit Techno den Staat stürzen. Zumindest die revolutionären Ideale hat er heute noch.

Riot sounds produce riots – unter dem Motto knallte Alec Empire mit seiner Berliner Breakbeat-Krawalltruppe Atari Teenage Riot dem Publikum in den Neunzigern eine neue Definition von Punk vor den Latz. Nach zehn Jahren Pause ist die Gruppe nun mit dem Album „Is This Hyperreal?“ zurück. Und Empire, bürgerlich Alexander Wilke-Steinhof, muss sich erklären: Welche der Rebellengesten sind 2011 noch anwendbar?

Alec Empire, finden Sie Comebacks cool?

Nein, eigentlich hasse ich solche Reunions. Die Leute erwarten etwas, das eigentlich längst der Vergangenheit angehört. Als Entertainer ist man gezwungen, ein Programm abzufahren. Das färbt auch auf die Qualität ab.

Warum gibt es dann Atari Teenage Riot nach so langer Pause wieder?

Das ist eine lange Geschichte, die 2000 mit unserem letzten Konzert in der Londoner Brixton Academy begann: Wir waren jahrelang auf Tour gewesen, hatten zwischendrin aufgenommen. Das führte zum regelrechten Burn-out, und als dann unmittelbar vor der Show auch noch unsere Sängerin Hanin Elias ausstieg, war uns alles egal. Wir haben bei diesem Konzert vor 9000 Zuschauern, im Vorprogramm von Nine Inch Nails, puren Noise gespielt – ohne Kompromisse. Einige Kritiker schrieben damals, dass sie etwas in dieser Dimension noch nie erlebt hätten. Aber viele Fans waren richtig sauer.

Was hat dieses Konzert mit dem Comeback zu tun?

Weil Hanin Elias zu mir kam und nach zehn Jahren noch einmal eine Show mit uns spielen wollte, quasi zur Wiedergutmachung. Aus diesem Impuls hat sich alles Weitere entwickelt. Als wir die Single „Activate“ aufnahmen, musste Hanin allerdings feststellen, dass sie mit ihrer Stimme das notwendige Kreisch-Level nicht mehr erreichte. Das Konzert in London war zu diesem Zeitpunkt jedoch längst angekündigt. Nic Endo hat dann, wie schon früher oft, den weiblichen Teil des Gesangs übernommen.

Sie sind das einzige übrige Gründungsmitglied – ist die Band überhaupt mehr als Alec Empire und ein paar wechselnde Mitmusiker?

In der Praxis habe ich die ganzen Sachen produziert und geschrieben. Ich habe mir das alles aber immer als Band vorgestellt und hätte es toll gefunden, wenn wir so etwas gewesen wären wie die Ramones. (lacht)

Sie haben Anfang der Neunziger beim Frankfurter Label Force Inc. mit Hardcore-Breakbeat-Maxis angefangen – für viele waren diese Tracks eine Art Punk-Variante von Techno.

Um diese Musik zu verstehen, muss man nach Berlin schauen. Wir spielten oft in besetzten Häusern, überall gab es leer stehende Gebäude, in denen Punks und Raver zusammen illegale Partys feierten. Ich habe damals oft aufgelegt und gemerkt, dass die Energie der englischen Rave-Platten selten ausreichte.

Warum?

Die waren immer zu langsam, zu happy. Ich erinnere mich an eine Party Anfang 1992: Da spielte ich eine Breakbeat-Platte auf 45 Umdrehungen plus 8 (die höchste Stufe des Plattenspieler-Pitches, d. Red.) und mixte das mit „Identity“ von X-Ray Spex. Das klang wahnsinnig geil, weil der Gesang am Anfang ziemlich frei steht, und wir sagten uns: Diese Sorte Musik sollte man als Band machen!

Die Geburtsstunde von Atari Teen-age Riot?

Ja. Wir wollten auf keinen Fall so klingen wie die Rave-Bands aus Manches-ter, sondern hart und schnell. Wir kamen zwar aus der Technoszene, aber unser Sound wurzelte eher im HipHop, wo man sich überall bedient und mit harten Cuts arbeitet. Punk war allerdings genauso wichtig, wegen der Energie. Als ich 15 oder 16 Jahre alt war, konnte man in Berlin nirgendwo hingehen, ohne mit billigen Kopien der Einstürzenden Neubauten konfrontiert zu werden. Die hämmerten überall auf Mülltonnen und anderem Schrott herum – aber ohne jede Leidenschaft. Nach dem Mauerfall gab es in der Berliner Musikszene dann einen ziemlichen Bruch: „Atari Teenage Riot tanzen auf dem Grab der Einstürzenden Neubauten“, hieß es damals in einem Artikel über uns.

Der „Guardian“ nennt Sie den „kultisch verehrten König des Noise“ – woher kommt Ihre Liebe zum Lärm?

Ich höre alles Mögliche: John Coltrane oder die Boredoms, ich mag aber auch Slayer, und Snap! waren für mich definitiv ein größerer Einfluss als die Nine Inch Nails. Aber was den Noise angeht, da beziehe ich mich auf Jimi Hendrix und seine extrem verzerrten Sounds. Die Aufnahmetechniken, mit denen wir arbeiten, sind sogar noch älter, die wurzeln im traditionellen Rock’n’Roll der Fünfziger: Der Gesang soll möglichst spontan eingefangen werden. Wenn es um Mischpulte und Mikrofone geht, sind wir komplett analog.

Sie achten bei dem übersteuerten Schrei-Gesang von Atari Teenage Riot auf die Qualität der Mikros?

Ja klar, da lassen wir nur Neumann-U-47-Mikros ran. Im Ernst! Selbst das erste Atari-Album „1995“ wurde damals im Abbey Road Studio gemastert. Und die Gitarrenspuren auf der neuen Platte habe ich alle auf einer Gibson Les Paul eingespielt.

Erstaunlich – ich dachte, Sie bevorzugen Software-Lösungen.

Nein, wir würden nie die Gitarre nur durch ein digitales Plug-in schicken, da sind wir ziemlich konservativ. Es ist halt immer die Frage, ob man Rock’n’Roll als physische Sache begreift oder als etwas, das man nebenbei im Radio hört.

1999 haben Sie bei den Krawallen zum 1. Mai in Kreuzberg gespielt. Heute bezeichnen Sie das neue Atari-Album „Is This Hyperreal?“ als „ultimate protest album of the Google age“. Wie wichtig ist Ihnen heute politischer Protest?

Ich hatte immer zu vielen Dingen eine eigene Meinung – man muss aber auch als Person dazu stehen und solche Aussagen verkörpern, sonst kann ja jeder alles behaupten. Hacker-Aktivismus ist diesmal das zentrale Thema des Albums. Die Copyright-Gesetze fand ich auch schon immer fragwürdig, es gab ja sogar das Album „Alec Empire vs. Elvis Presley“, das ironischerweise ins MoMA kam, weil es ein illegaler Mash-up-Vorläufer auf Vinyl war. Ich finde, das Urheberrecht sollte die Kreativen beschützen und nicht den großen Plattenfirmen und Musikverlagen helfen, Musik und Kunst zu verhindern.

Glauben Sie wirklich, dass man mit Musik etwas an den herrschenden Zuständen verändern kann?

Natürlich. Ähnlich wie Sprache beeinflussen Musik und Klang, wie wir die Welt wahrnehmen und sie uns erklären. Das funktioniert in beide Richtungen: Musiker nehmen Stimmungen und Realitäten auf und schaffen die Musik dazu. Herrschende Zustände werden letzten Endes ja hauptsächlich in unseren Köpfen hingenommen und akzeptiert. Und das kann sich auch sehr schnell ändern.

Gehen Sie wählen?

Nein, ich war noch nie wählen, ich bin gegen das System. Ich finde, wir leben in einer Demokratie, in der mafiaähnliche Verhältnisse herrschen. Früher hat man uns vorgeworfen, wir wären total pessimistisch und weltfremd. Aber ich halte weiterhin an meiner anarchistisch-libertären Haltung fest: Warum brauchen wir überhaupt Regierungen, die alles schwieriger machen und verfälschen? Die Leute sollten ihr Leben viel mehr in die eigene Hand nehmen. An dieser Haltung hat sich seit den Anfängen von Atari Teenage Riot nicht das Geringste geändert.

Also: still anarcho after all these years?

Ja. Viele verbinden damit ja nur, dass militante Leute durch die Straßen ziehen, Mülltonnen anzünden, Köpfe einschlagen – aber diese Herrschaftsverhältnisse widersprechen auf lange Sicht jeder Logik. Viele Systeme werden deshalb korrupt, weil Hierarchien eben immer zu Korruption einladen. Die Leute versuchen, ihre Macht zu erhalten, verfälschen dazu Informa-tionen. Aber wenn mir ein 18-Jähriger erzählt, dass der Mann zum Jagen gemacht wurde und die Frau zum Kinderkriegen – dann merke ich, dass noch viel zu erkämpfen ist.

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