Pain And Champagne: Japan-Popstar Yoshiki im Kino

Yoshiki, Virtuose an Klavier und Schlagzeug, ist ein Leidgeplagter und Schmerzenslöser.

Auf dem Dach eines Hochhauses sehen die Dinge oft anders aus, vielleicht fühlen sie sich sogar anders an. Womöglich entschied sich der japanische Megastar Yoshiki Hayashi, weltweit bekannt eigentlich nur als Yoshiki, deshalb für seinen intimen Konzertfilm „Yoshiki: Under The Sky“ dem Himmel gemeinsam mit Freunden und Kollegen ein Ständchen zu singen. Immer mit dabei: ein Flügel und ein Monstrum von einem Schlagzeug-Set.

Zur Premiere seines Films in einem Kino in Berlin mit wirklich sehr großer Leinwand und entsprechend raumgreifendem Sound ist der Multiinstrumentalist eigens angereist, um sich befragen zu lassen. Wie ein scheues Reh kommt er zunächst daher, wenn er sich langsam auf seinen Platz setzt. Er spricht leise, aber bestimmt. Er bezeichnet den Film als ein großes Glück und als Schmerzensbewältigung. Der erweiterte Rahmen ist die langsam überwundende Corona-Pandemie, die Rückkehr zur Musik, aber auch die Trauer um verstorbene Menschen, die dem Virus zum Opfer gefallen sind.

Yoshiki am Schlagzeug

Vom Leben geprüft, von der Musik befreit

Kann man ein Experte für Leid sein? Yoshiki wird es zumindest unterstellt. Schmerzen, Trauer und Überlastung begleiten das Leben des Musikers, wie er nicht eigens zu erwähnen bräuchte. 1982 hatte er zusammen mit Toshimitsu „Toshi“ Deyama die Band X Japan gegründet. Eine Erfolgsgeschichte ohne Beispiel zwischen Speed Metal und Progressive Rock. Yoshiki am den Drums, zuweilen wie ein Berserker trommelnd. Hört man nur die Musik, zweifelt man nicht, sieht man ihn an seinem Arbeitsgerät, mutet es aber wie ein Wunder an, dass dies bei seiner körperlichen Statur – Yoshiki kommt wie ein ätherisches Wesen daher, wirkt gar, als wäre er einem Manga über sein Leben entglitten – überhaupt möglich ist. Nacken- und Rückenprobleme waren die Folge, auch das intensive Klavierspiel blieb nicht ohne Folgen, wie er am Abend im Nachgangsgespräch zugibt.

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Aber all das ist nichts gegen die Folge von Qualen, die entstanden, als sich sein Vater das Leben nahm (da war Yoshiki gerade einmal zehn Jahre alt), und sein Bandkollege Hideto Matsumoto 1998 unter mysteriösen Umständen zu Tode kam. Während Wut und eine vielleicht irrationale Kampfeslust, das Leben nun erst recht beim Schopfe zu packen, die Reaktion auf den Verlust seines Vaters waren, zog ihn der Tod von Matsumoto in eine schwere Depression, die er so recht nie wieder los wurde.

Die Musik wurde Yoshiki früh zu einem Ausweg aus all diesen Beschränkungen des Glücks. Der Konzertfilm symbolisiert hier auch einen eindrucksvollen Trotz. Wenn es eben Monate lang nicht möglich war mit anderen zu musizieren, dann sollte gerade jetzt, da das Coronavirus unter Kontrolle scheint, so viel wie möglich gemeinsam gemacht werden. Also singt Yoshiki mit vielen Größen des Pop-Zirkus‘ aus den unterschiedlichsten Genres: Sarah Brightman, Nicole Scherzinger, The Chainsmokers, SixTONES, Jane Zhang und Lindsey Stirling etwa. Coverversionen, Lieder von Yoshiki, dazu viel Pomp und Melodrama. Die für Nichteingeweihte wohl interessantesten Kooperationen sind aber die mit den Scorpions und St. Vincent. Einen solchen musikalischen Spagat muss man natürlich erst einmal wagen.

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Yoshiki erscheint furchtlos, wenn auch manchmal zu sehr beseelt von der Tragfähigkeit großer Emotionen. „How do you deal with pain“, fragt ihn der Interviewer nach dem Film, der unter anderem auch eine berührende Begegnung mit einem Fan zeigt, dessen Frau in der Pandemie verstorben ist und der sich nun bei dem Musiker bedanken will, durch dessen Musik wieder Lebensmut geschöpft zu haben. Yoshiki schaut erst ernst, dann giggelt er kurz, nimmt sein vor ihm platziertes Glas und sagt: „I drink champagne“. Es ist, das muss man dazu sagen, eigens für den Komponisten angefertigter Schampus. Eine Flasche kostet mehr als so manche Konzerttickets für die Rolling Stones. Zweckdienlicher Humor und eine fragile Melancholie fließen aus den Worten des Japaners, der in dem Konzertfilm, aber auch im Gespräch, immer wieder erwähnt, wie wichtig ihm die Bindung zu seinen Anhängern ist. Manche Besucher dieses Abends haben Tränen in den Augen, ihn zu sehen und zu umarmen.

Zwischen Klavier und Schlagzeug

„Yoshiki: Under The Sky“ ist für den Musiker, der bereits mit vier Jahren Klavier spielen konnte und in den letzten Jahren beispielhaft zwischen den eigentlich voneinander separierten Galaxien klassischer Musik, Pop und harter Rockmusik hin und her gleitet, aber auch eine Erfahrung, sich selbst zu inszenieren wie bisher noch nie zuvor. Yoshiki führte dafür Regie, ist in fast jeder Sequenz zu sehen. Auch das ist eine Art Schmerzenslösung, erwähnt er doch, dass er im Grunde kaum Kraft und Zutrauen dafür hatte. Unterstützung gab es allerdings von den erfahrenen Produzenten Sid Ganis („Iron Man“) und Mark Ritchie („Homecoming: A Film by Beyoncé“).

Wenngleich die filmische Reise persönlich daher kommt, will sie nicht allzu intim wirken. Es geht um Emotionen: The Show Must Go On. Es geht um einen Künstler, der als Japaner – und das ist selten genug – überall auf der Welt auftreten kann, zuletzt in der Royal Albert Hall in London, im Tokyo Garden Theater und im Dolby Theatre in Hollywood. Bei all diesen erstaunlichen Fakten, die im Konzertfilm mit visuell beeindruckenden Bildern untermauert werden, wird auch klar, dass es sich hier um echte Weltmusik handelt, die überall verstanden werden soll.

„Yoshiki: Under The Sky“ wird im Frühjahr bei Amazon Prime Video verfügbar sein. Der Film steht auf der Shortlist für eine Oscar-Nominierung in der Kategorie „Best Documentary Feature Film“.

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