Zum 80. Geburtstag von Barbra Streisand: Die Allergrößte

ROLLING-STONE-Redakteur Arne Willander über ein Lachen, an das wir uns erinnern.

Zu ihren Selbstmythisierungen gehört die Behauptung, sie sei Sängerin geworden, weil man sie als Schauspielerin nicht wollte. Belegt ist, dass sie 1955 ihre erste Gesangsaufnahme in einem Studio machte, dass sie als Fünfzehnjährige in dem Stück „Driftwood“ auf der Bühne stand und 1960 erstmals in einem Zeitungsartikel aus „begabte junge Komikerin“ gelobt wurde. Da hatte Barbara Joan Streisand gerade ein A aus ihrem Vornamen gestrichen.

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Der sogenannte Streisand-Effekt bezeichnet eine Information, die vorgeblich unterdrückt werden soll und dadurch erst ins Bewusstsein rückt. Etwa so: „Mein Manager Marty machte mich darauf aufmerksam, dass ich in sechs Jahrzehnten Nummer-eins-Alben hatte. Nein, ich will keinen Applaus dafür, es ist einfach eine Tatsache. Und ich dachte: Gosh, bin ich wirklich so lange dabei?“

Absolute Kontrolle schon in frühen Jahren

Niemand, nicht einmal Bob Dylan, ist so lange dabei wie Barbra Streisand. Ihr legendärer Manager Marty Ehrlichman handelte einen Plattenvertrag aus, der ihr absolute Kontrolle zusichert, und 1962 erschien die erste Platte, „The Barbra Streisand Album“, das Columbia Records „Sweet And Spicy Streisand“ nennen wollte, wie die Künstlerin später spöttelte. Schon ein Jahr zuvor war die Nachtclubsängerin in der „Tonight Show“ aufgetreten. Dann hatte sie ihre erste Rolle am Broadway, als Miss Marmelstein in „I Can Get It or You Wholesale“ – eine Sensation. Den Hauptdarsteller Elliott Gould heiratete sie 1962. Im selben Jahr erschien „The Second Barbra Streisand Album“, „Second“ rot unterstrichen.

1963 trat sie mit einem Duett in der Fernsehshow von Judy Garland auf. Noch wusste niemand (außer Streisand), dass hier die Fackel des amerikanischen Entertainment übergeben wurde. Seit 60 Jahren trägt Barbra Streisand diese Fackel.

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Am 24. April 1942 wurde sie in Brooklyn-Williamsburg geboren, Tochter des Englischlehrers Emanuel und seiner Frau Dinah. Vater Emanuel litt an epileptischen Anfällen und starb ein Jahr später bei einem Sommercamp in den Catskills – nach einer Morphiumspritze setzte seine Atmung aus. Barbara war allein mit ihrer Mutter und ihrem älteren Bruder Sheldon; später brachte die wieder verheiratete Dinah noch eine Tochter zur Welt.

Die Vaterlosigkeit und die Verlassenheit hat Streisand später in „Yentl“ zum Movens gemacht; manche sehen wohl in ihren Liebschaften mit Sydney Chaplin, Omar Sharif, Kris Kristofferson und Barry Gibb eine Übertragung. Auf die von ihr selbst gestellte Frage, was sie bei der Aufnahme des berühmten Coverfotos von „A Star Is Born“ getragen hat, antwortet sie: „Moschus!“

Kris Kristofferson und Barbra Streisand in „A Star is Born“
Kris Kristofferson und Barbra Streisand in „A Star is Born“

Barbra Streisand und das Kino

Bei den Dreharbeiten zu ihrem populärsten Film, „The Way We Were“, schwärmte sie von Robert Redford: „So sollten alle Männer sein!“ Der stoische Schweiger Redford war weniger angetan von der immerzu redenden Knalltüte und zog sich in den Drehpausen mit Sandwiches zurück. Das Verhältnis spiegelt also ziemlich genau die Beziehung ihrer Filmfiguren, der kommunistischen Aktivistin Katie Morosky und dem Schriftsteller Hubbell Gardiner, der wie sein Land ist, weil ihm alles zufliegt. Die letzte Einstellung des Films ist die schönste Abschiedsszene des Kinos (neben „Casablanca“).

Unbegreiflich, dass Barbra Streisand für diese Rolle nicht den Oscar bekam. Sie hatte aber schon einen für „Funny Girl“ (1968), ihre erste Filmrolle überhaupt. Nicht müde wird sie, den großen William Wyler zu preisen, der ihr das beibrachte, was sie viele Jahre später als Filmregisseurin einsetzte.

Barbra Streisand mit Omar Sharif in „Funny Girl“ von Regisseur William Wyler
Barbra Streisand mit Omar Sharif in „Funny Girl“ von Regisseur William Wyler

Brillant ist sie in „What’s Up, Doc?“ (1972), Peter Bogdanovichs Screwball-Komödie, in der Ryan O’Neal den Part von Cary Grant gibt.

Szene aus „What’s Up, Doc?“

Bei „A Star Is Born“ (1976) war Streisand schon Produzentin. Sie besetzte den fantastisch begabten, aber kaum bekannten Songschreiber Kris Kristofferson und lernte Gitarre für ein Instrumentalstück, das sie schließlich aus dem Film schnitt (Kristofferson verbirgt in der Szene sein Gesicht hinter der Hand). Das Lied bekam dann einen Text (von Paul Williams), wurde „Evergreen“ betitelt und der Titelsong von „A Star Is Born“.

1977 gewannen Streisand und Williams den Oscar für den besten Filmsong. Neil Diamond – der aus Brooklyn stammt und im selben Schulchor wie Streisand sang – ließ in seiner Anmoderation etwas aufdringlich durchblicken, dass nur Streisand den Preis gewinnen könne. So war es dann auch. Paul Williams bedankte sich im Namen aller kleinen Menschen. Nach 50 Jahren Academy Awards war Barbra Streisand die erste Frau, die in dieser Kategorie ausgezeichnet wurde.

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Sie war oft die Erste, aber genialer noch ist Streisands Gespür für Talente, Adaptionen und Moden. Mit Donna Summer sang sie 1979 den Disco-Knüller „No More Tears (Enough Is Enough)“ – ein Nummer-eins-Hit. Barry Gibb schrieb 1980 die Songs für „Guilty“, produzierte das Album und sang mit Streisand – ihr erfolgreichstes Album. 1985 nahm sie nach vielen Jahren eine Platte mit Broadway-Stücken auf, die Plattenfirma mäkelte über alte „Show Tunes“ – ein Nummer-eins-Album. Ihr Song „Stoney End“ von 1972 wurde nach Jahrzehnten ein Fan-Favorit.

Eine Stimme wie flüssiges Gold

Barbra Streisands Gesang ist Gegenstand gelehrter Abhandlungen. Antonio Banderas, ein Duettpartner der späten Jahre, sagt: „Samt.“ Andere sagen: flüssiges Gold. Ihre reife Stimme gelangt ansatzlos in ein Register, in dem etwas Stählernes aufblitzt, eine harte, heisere Kante. Und sofort nimmt sie es wieder zurück. Bei ihrem Konzert 2016 in Miami beginnt sie – die Zuschauer haben sich gerade gesetzt – mit „The Way We Were“. Die berühmten Zeilen („Memories/ May be beautiful and yet/ What’s too painful to remember/We simply choose to forget/ So it’s the laughter/ The laughter we’ll remember“) singt sie wie beiläufig, aber ihr Gesicht mit dem Silberblick sieht aus wie das einer Wahnsinnigen. Sie singt immer „The Way We Were“, aber sie singt es jedesmal anders.

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Du weißt, dass du weltberühmt bist, wenn du in der Pause deines Konzerts in Miami bei „Joe’s“ anrufst und dich erkundigst, ob die fünf Portionen Steinkrabben pünktlich zum Ende der Show geliefert werden. Und bitte auch die frittierten Hähnchenstücke von der Kinderkarte. Sie werden pünktlich geliefert, der Hund Sammie wartet in den Katakomben, und du isst die Krabben mit den Fingern, und auf den Key Lime Pie spritzt Du Sprühsahne.

„Und ich bin auf Diät!“

Warner Bros. Getty Images
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