Aerosmith in Berlin: Es ist Zeit, „Aero-Vederci“ zu sagen!

Mit Songs wie „Crazy“ oder „Livin On The Edge“ schrieben Aerosmith Geschichte. Zum Saisonauftakt in der Waldbühne in Berlin feierte eine der dienstältesten Rockbands an diesem Dienstagabend ihren Bühnenabschied.

„Aero-Vederci Baby“ –  so haben Steven Tyler und Konsorten ihre letzte Tournee genannt. Ein Wortspiel, das im ersten Moment Schmerzen verursacht, im zweiten Moment aber genau deshalb schon wieder lustig ist. Ein Kalauer, der die Band und ihren Auftritt an diesem Abend bestens beschreibt. Rock’n’Roll darf alt sein, muss scheppern und klirren und, ja, wohl auch ein bisschen wehtun.

Seit 47 Jahren gibt es Aerosmith und noch immer sind alle Gründungsmitglieder dabei. Und wie gemacht für ein erprobtes Mitklatsch-Open-Air-Publikum in dieser Größenordnung – knapp 22.000 Zuhörer möchten noch einmal in Erinnerungen schwelgen. Viele unter ihnen sind, ebenso wie die Band, nicht mehr ganz jung, getreu einem Radioslogan „Das Beste der 60-er, 70-er und 80-er“. Viele haben ihre inzwischen verheirateten Kinder mitgebracht. Der Jutebeutel und die Lederjacke gehören an diesem Abend zur Standardausrüstung.

Pomp und Pathos

Doch bevor Steven Tyler und Gitarrist Joe Perry den Steg, der schön weit ins Publikum hineinragt, betreten und der Sänger divenhaft loschkreischen kann, werden auf einer riesigen Leinwand wackelige Bandfotos gezeigt. Optisch ansprechend ist das nicht gerade, die Animationen wirken, als wären sie vor 20 Jahren entstanden. Im Hintergrund die Klänge von „O Fortuna“ von Carl Orff und Teile aus der „Carmina Burana“ – Pathos, der dazugehört, der aber gerne etwas origineller hätte ausfallen dürfen.

Steven Tyler (li.) und Joe Perry (live in München)

Dann geht es los: Tyler, der mit seinen 69 Jahren nun so alt ist, wie er seit längerem aussieht, stößt stöhnend seine „Aaaaaaaaaahhhs“ und „Yeaahhhhs“ aus. Er trägt glitzernde Schlaghosen und einen wallenden, schwarzen Umhang; ergänzt wird das Outfit durch einen aufgemalten Kussmund auf der rechten Wange und die obligatorisch lackierten Fingernägel.

Zwillinge aus der Hölle

Während sich der Nebel nach dem Regen in der Berliner Abenddämmerung verliert, kann man beobachten, dass das Bühnenbild eher minimalistisch gehalten ist. Kein Klimbim – vom Mikrofonständer, an dem ein halbes Dutzend bunter, hippiesker Tücher weht, einmal abgesehen. Maximaler Platz für maximale Egos: Der drahtige Tyler ist der einzige, der den Raum der Bühne nutzt und bei jedem Lied auf und ab rennt, seine dürren Hüften kreisen lässt und seinen beängstigend großen Mund aufreißt. Betont oft rückt er im Laufe des Abends mit dem Leadgitarristen Joe Perry – offenes Hemd, glattrasierte Brust und wehender arztkittelähnlicher Mantel – innig zusammen; das Image der Zwillinge aus der Hölle steht ihnen gut.

Brad Whitford, der Mann an der Rhythmusgitarre, wirkt hingegen, als sei er nicht mehr in der Lage, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen, ebenso wie der kräftige Drummer Joey Kramer, dessen Arme sich roboterlike im Takt bewegen. Die beiden sind so staubtrocken wie Fossilien.

Hit-Marathon zum Mitklatschen

Während Tyler einen Hit-an-Hit-Marathon ins Publikum abfeuert, gröhlt das Publikum begeistert mit. Klassiker zum Mitklatschen, zum sich in den Armen liegen: „Cryin“, „Livin‘ On The Edge“, „Janie’s Got A Gun“ oder „Love Is An Elevator“. Dabei wird der Sound immer besser, kommen die gigantischen Boxentürme tatsächlich zu Geltung.

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Während Aerosmith mit ihrem bewährten, mitunter heute etwas altbacken wirkenden Glamour-Hardrock „Aero-Vederci“sagen, scheint der einsetzende Nieselregen das mit einem schelmischen Grinsen zu kommentieren. Doch Tyler, der bestens bei Stimme ist, kreischt, was die Stimmbänder hergeben. Gassenhauer wie „I Don’t Wanna Miss A Thing“ und das herrliche „Sweet Emotion“ zünden.

Aus der Zeit gefallene Helden

Vor Kraft strotzende Coverversionen markieren die Höhepunkte des Abends: Folkrock von Fleetwood Mac („Stop Messin‘ Around“ und „Oh Well“) und sogar „Come Together“ von den Beatles werden dem Aerosmith-Sound einverleibt. Die Zugabe, „Walk This Way“, inzwischen unsterblich als Hybrid aus Rock und HipHop, stammt zwar aus dem Jahr 1975 und aus der Feder der Band, weltbekannt wurde er aber erst Mitte der Achtziger, durch die Coverversion von Run-D.M.C..

Was nach beinahe 50 Jahren Bandgeschichte und knapp zwei Stunden Abschiedskonzert als Highlights im Kopf nachhallt, fasst das, was Aerosmith sind, perfekt zusammen: Eine gute, gestandene Rockband mit einer Handvoll Hits, einem charismatischen Frontmann, die sich ihren Feierabend wohl verdient hat.

Sven Hoppe picture alliance / Sven Hoppe/dpa
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