Fan-Reportage

Depeche Mode: Fans erzählen auf der Merch-Bus-Tour von ihrem Groupie-Leben

Vor dem Depeche-Mode-Fanbus: Pitty war bei Andrew Fletchers Gedenkstätte und hat dort tagelang Blumen verstreut. Andi ist seit 1983 dabei und hat einen zweiten Job, um sich alle Konzerte und Merch leisten zu können. Lizzie ist 16 und hört die Band seit den Lockdowns. Hier sind ihre Fan-Geschichten.

„Beim Hören von ,Ghosts Again‘ ist etwas in mir passiert. Da sackte was von hier [Herz] bis hier [Knie]. Alles hielt minutenlang still. Ich wusste wirklich nicht, dass ich so ein Gefühl noch in mir spüren kann. Ich sag nur: Jeder, der alt genug ist, um dabei gewesen zu sein, als ,Enjoy The Silence‘ rauskam und dat damals zum ersten Mal hörte – weiß, welches Gefühl ich meine.“ Aus dem Nichts verneigt sich Till, sein rechter Handrücken streift beinahe den Boden. Er taucht langsam wieder auf und sagt: „Und dat war für Andy. Andy Fletcher. Der fehlt.“

Freitagabend in Berlin, der 24. März – ein Festtag für Depeche-Mode-Fans wie Till. „Memento Mori“ hat das Licht der Welt erblickt. Mattschwarze, tieftraurige und besinnliche Lieder reihen sich aneinander. Im Jahr 2022 ist Andrew Fletcher gestorben, seither sind Dave Gahan und Martin Gore auf sich allein gestellt. Renaissance einer Band, die sich 1979 gegründet hat. Seit diesen Anfangsjahren ziehen DM- Jünger:innen dahin, wo live gespielt wird. Und scheinbar auch dahin, wo es spezielles Merch zu kaufen gibt.

Till

Mattschwarz wie die neuen Lieder ist auch dieser Depeche-Mode-Merch-Bus, der seit Donnerstag durch Deutschland fährt. Mattschwarz, mit roten Lettern: „Depeche Mode – Memento Mori“. Darunter zwei weiße Engelsflügel. In Hamburg startete der Bus, und am Freitag hält er nun vor dem Berliner Palais auf dem Gelände der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg, von 18 Uhr bis Mitternacht.

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Biegt man, um zum Merch-Bus zu gelangen, von der Seite der Schönhauser Allee auf das Gelände ein, lässt sich kurz befürchten, dass das Depeche-Mode-Fantum ausgestorben ist: Leere Plätze, keine Besucher, keine Spaziergänger, keine Fans, die zum Bus strömen. Doch dann, auf dem Platz der Brauerei selbst, am ersten warmen Nachmittag dieses Jahres, lässt sich plötzlich hinter dem Bus eine Schlange an Menschen sichten, die an der gesamten Mauer des Geländes entlang verläuft, bis sie auf der gegenüberliegenden Seite auf den Fußgängerweg hinausragt. Mehr als 400 Meter Schlange, hunderte Fans, hunderte Individuen, die mehr als die Hälfte ihres Lebens mit Depeche Mode verbrachten, oder gerade erst damit angefangen haben. Sie alle nehmen in Kauf, stundenlang darauf zu warten, an der Reihe zu sein.

Der Fanbus

Aus der Reihe heraus sticht Andi. Er trägt kniehohe Lacklederstiefel mit 20 Zentimeter hohen Plateauabsätzen und polierten Silberschnallen, die ins Leder genäht sind. Darüber beginnt eine abgeschnittene Anzughose, in deren Enden silberne Metallringe eingearbeitet wurden. Andis Jacke ähnelt einer Montur der Mods und zugleich der eines Soldaten; inklusive aufgenähtem Depeche-Mode-Patch und Patches der Länder, die er schon bereist hat, um bei nahezu jedem Tourkonzert in Europa dabei sein zu können.

Andi

Ein Fetzen Handtuch von Dave Gahan

Seit 1983 widmet Andi sein Leben der Band. „War schon auf zich, zich, zich Touren dabei. Auf allen Band-Partys. In Tschechien, Ungarn, Österreich, Polen…“ Er wird unterbrochen. „Andiiiiii!“, schreit jemand, wirft sich ihm in den Arm. Ein Freund des etwa 50-Jährigen erklärt: „Andi ist bekannt wie ein bunter Hund! Richtiger Hardcore-Fan.“

Nach der Begrüßung erzählt er weiter: „Ich hab‘ 1986 auf einem Konzert in Montreux einen kleinen Fetzen Handtuch von Dave Gahan erhascht, und zuhause eingerahmt.“ Seither hat sich Andi eine Wohnung mit zwei Zimmern und nicht nur einen, sondern zwei Jobs geholt – all die Konzerte, die Anreisen und der Merch würden eben nun mal viel kosten. „Außerdem hab‘ ich jede Platte. Die neue in schwarz, rot und silber-durchsichtig.“

Dave Gahan kann ein Leben lang in seinen Bann ziehen

Wieder wird er durch eine Begrüßung unterbrochen. Ein Fan, der für den Merch-Bus aus Polen angereist ist. „In Polen feiert man auf DM-Partys eh am schönsten“, erzählt Andi mit dem Freund im Arm. „Da beginnen die Partys um acht Uhr abends. Um Mitternacht legten sich früher alle kreisförmig auf den Boden, dann schallte ,Pimpf‘ aus den Boxen.“  Alan Wilder, einstiges DM-Mitglied, erklärte den Song in einem Interview einst: „Das war das Signal, dass wir gleich die Bühne betreten würden, ein Moment, in dem ich anfing, kalte Schweißausbrüche zu bekommen.“

„Krieg grad ne Gänsehaut, wenn ich’s mir so vorstelle“, fährt Andi fort. Auch in Deutschland gäbe es DM-Partys, die man nicht versäumen dürfe. „Drei Tage Party hier in Berlin – solltste mal mitmachen!“ Bei Depeche Mode ist es für ihn vor allem Dave Gahan, der ihn ein halbes Leben lang in den Bann gezogen hat. „Dave. Seine Ausstrahlung reicht. Das Konzert kann scheiße sein ­– aber wenn er auf die Bühne kommt, das reicht.“

Neben Andi fallen Lizzie und Lena in der Schlange der Alt-Fans besonders auf. Denn: Lizzie mit feuerrot gefärbtem Haar und langem Goth-Mantel ist 16 Jahre jung; die Freundin an ihrer Seite gar erst 13. Sie haben das Fantum von der Mutter geerbt.

Lizzie und Lena

Andy Fletcher fehlt schmerzlich

Für Pitty, die neben ihren Freunden Renee und Anja steht, ist die Musik der Synthie-Popper wie der Akku des Lebens, der nur lädt, wenn sie Musik von Depeche Mode hört: „1985, ich war 10, da lief ein Song im Radio. Ich bin gerannt, hab den Kassettenrekorder rausgeholt und auf ,Aufnehmen‘ gedrückt. Seither hab‘ ich alles für Depeche Mode getan, zum Beispiel tagelang vor Hotels gewartet, um ein Autogramm zu bekommen.“ Und richtig erwischt hat es sie dann im Jahr 1988: „Als sie damals im Berliner Osten aufgetreten sind, im März, bei der ,Music For The Masses‘-Tour. Die Jungs sind wie mein Akku.“

Anja, Pitty, Renee

Wenn Pitty über Fletchs Tod spricht, bekommt sie feuchte Augen. „Nachdem er gestorben ist, bin ich tagelang beim Hansastudio vorbeigefahren und habe Blümchen hingelegt. Meine Familie kam auch mal mit, dann haben wir zusammen da gestanden. War keine gute Zeit.“

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Depeche Mode – die „Einstiegsdroge“

An diesem Abend am 24. März erinnern sich viele hier an eine Zeit im Leben, die für jede und jeden mit Erinnerungen verknüpft ist – manche davon jünger, manche älter. Abrunden wird den heutigen Abend DJ Psycho Jones, auf der offiziellen Release-Party in Berlin. Er veranstaltet mehrmals jährlich Depeche-Mode-thematisierte Partys, „und so bin ich für den heutigen Abend ins Line-Up gerutscht. Ist auch meine Lieblingsband seit den 80ern. Mit 15 hatte ich damals keine Lust auf die üblichen Bravo-Pop-Tracks. DM sind für mich durch ihre skurrile, besondere Art hervorgestochen. 1987 holte ich mir zu Weihnachten meine erste eigene CD; die von den DM-Jungs. Meine Einstiegsdroge. Auch alle Songs des neuen Albums sind Gänsehaut pur.“

Psycho Jones

Gegen 20 Uhr ist der Platz in der Mitte der Kulturbrauerei fast dunkel; doch die Schlange, die zum Merch-Bus führt, ist noch kein Stück kürzer geworden.

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Felix Ferraris
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