Die digitale Revolution in der Musik – was bringen uns KI, VR und Co.?

KI, VR und Co. sind längst keine Zukunftsmusik mehr – neben Risiken gibt es auch viele Chancen.

VR, AR, XR, KI – hinter diesen Abkürzungen verbirgt sich, was die Musik- und Livebranche nachhaltig verändern könnte. Denn neben Künstlicher Intelligenz, die schon jetzt beim Kreieren neuer Songs eingesetzt wird, spielen Virtual Reality, Augmented Reality und Extended Reality eine immer größere Rolle.

Interview mit Jeannine Koch: „This song is handcrafted by humans“ – vielleicht sogar als echtes Qualitätsmerkmal!

ROLLING STONE hat hierzu mit Jeannine Koch gesprochen – die diplomierte Medienberaterin ist seit Januar 2021 geschäftsführende Vorstandsvorsitzende des medianet berlinbrandenburg e.V. In den drei Jahren zuvor zeichnete Koch als Direktorin der republica GmbH für zahlreiche nationale wie internationale Konferenzen zur gesellschaftlichen Transformation und Digitalisierung verantwortlich.

ROLLING STONE: Die Themen Deepfakes und KI-generierte Inhalte sind sehr aktuell. Wie sehen Sie die Zukunft der Musikproduktion und -kreativität durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz?

Jeannine Koch: Die Zukunft der Musikproduktion und Musikkreativität wird sich durch den Einsatz von KI tiefgreifend verändern. KI-Technologien bieten neue Werkzeuge und Möglichkeiten, die sowohl die Art und Weise, wie Musik erstellt und produziert wird, als auch die Rolle von Musikschaffenden neu gestaltet. Die Entwicklungen sind durchaus spannend: KI kann bereits musikalische Stücke komponieren, die bestimmte Stile, Genres oder Stimmungen nachahmen. Algorithmen wie OpenAIs MuseNet oder Googles Magenta haben gezeigt, dass KI in der Lage ist, komplexe und ansprechende Musikstücke zu erzeugen. Sie kann in Echtzeit improvisieren und mit menschlichen Musiker*innen interagieren, was neue Formen der Live-Performance ermöglicht. Und dass wir durch KI eine personalisierte Playlist auf unseren Ohren haben, ist sicher auch eine nützliche Entwicklung.

Aber: Die Musikbranche ist bei einigen Themen zurecht auch besorgt. Der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) fordert rund um das Thema Künstliche Intelligenz klare Vorgaben durch den Gesetzgeber. Das betrifft vor allem die Deepfakes hinsichtlich mit KI erzeugter gefälschter Stimmen. Kürzlich gab es bereits einen größeren Fall zwischen OpenAI und Scarlett Johansson. Die Schauspielerin empfand die Stimme eines von OpenAI verwendeten Chatbots sei ihrer auffällig ähnlich. Ich denke, diese Art von Auseinandersetzungen wird es künftig noch häufiger geben. Genau um derartige Themen ging es ja auch schon im vergangenen Jahr bei dem großen Hollywood-Streik der Drehbuchautor*innen und Schauspieler*innen. Hier wird hoffentlich der AI-Act in Zukunft mehr Transparenz und Sicherheit bringen.

Grundsätzlich finde ich persönlich diese Entwicklungen wahnsinnig spannend und sehe immer mehr die Chancen als die Risiken. Da wir diesen Paradigmenwechsel ohnehin nicht mehr aufhalten können, ist es doch viel interessanter mit den Neuerungen der Medientechnologen zu arbeiten, anstatt dagegen.

Welche ethischen Überlegungen und Herausforderungen sehen Sie in der Verwendung von KI für die Musikkreation und wie schätzen Sie die Chancen und Risiken dieser Technologien für die Musikbranche ein?

Hierzu gibt es ganz unterschiedliche Einschätzungen. Viele Expert*innen sehen großes Potenzial in der Erweiterung kreativer Möglichkeiten und der Demokratisierung der Musikproduktion durch den Zugang zu fortschrittlichen Tools. Gleichzeitig gibt es Bedenken hinsichtlich der kulturellen und wirtschaftlichen Auswirkungen, insbesondere in Bezug auf künstlerische Integrität, Urheberrechte und die Verdrängung von Arbeitsplätzen.

Die Rolle der KI in der Musikproduktion wirft auf jeden Fall Fragen zur kreativen Verantwortung und Urheberschaft auf. Wer ist der eigentliche Urheber eines von KI erstellten Musikstücks – der*die Programmierer*in, die KI oder der*die Nutzer*in? Um das Potenzial von KI optimal zu nutzen und gleichzeitig die Risiken zu minimieren, sind klare ethische Richtlinien, faire rechtliche Rahmenbedingungen und eine bewusste Gestaltung der Technologie erforderlich. Dies umfasst Transparenz bei der Datennutzung, Maßnahmen zur Vermeidung von Bias und die Sicherstellung eines gerechten Zugangs zu KI-Technologien für alle Künstler*innen.

Schon heute gibt es auf den Musik-Streaming-Plattformen zahlreiche Playlisten von ausschließlich KI-basierter Musik, die unendliche viele Hörer*innen finden. Spannend daran ist es doch zu sehen, wie und ob sich eigentlich der kreative menschliche Schaffensprozess in der Musikproduktion Bahnen brechen wird und dadurch einen „Human Touch“ erhalten kann. À la, „this song is handcrafted by humans“ vielleicht sogar als echtes Qualitätsmerkmal!

Welche Entwicklungen oder Trends in den Bereichen VR/AR/XR sehen Sie als besonders zukunftsweisend und warum?

Grundsätzlich gibt es eine Reihe von Technologien, die die Art und Weise verändern, wie Inhalte produziert, konsumiert und erlebt werden. In der Musikwirtschaft ermöglichen virtuelle Konzerte es Künstler*innen, ihre Shows in vollständig immersiven 3D-Umgebungen zu gestalten, die von jedem Ort der Welt aus besucht werden können. Plattformen wie Wave und MelodyVR bieten bereits solche Erlebnisse an. Tritt meine Lieblingsband also nicht in meiner Stadt auf, kann ich trotzdem das Konzerterlebnis wahrnehmen. Die Künstlerin Björk hat ein VR-Musikvideo veröffentlicht, das es Fans ermöglicht, in eine komplett virtuelle Welt einzutauchen und die Musik auf eine neue, immersive Weise zu erleben. Ich glaube, dass dieses Partizipierende, das Künstler*in und Fan näher zusammenkommen lässt, weiter voranschreiten und Fannähe neu definieren wird. Außerdem bieten diese Technologien auch einen neuen inklusiven Zugang für Menschen, die zuvor von derartigen Angeboten ausgeschlossen waren.

In der Medienbranche ermöglicht es VR den Filmemacher*innen, immersive 360-Grad-Filme zu erstellen, bei denen das Publikum mitten im Geschehen sind. Diese Art des Storytellings bietet ein intensiveres und interaktiveres Erlebnis. Als Zuschauer*in kannst du aktiv in die Handlung eingreifen und den Verlauf der Geschichte beeinflussen. Ich denke, dass sich diese Entwicklung immer mehr zum Mainstream entwickeln wird. Mithilfe VR-basierter Motion-Capture-Technologien können Schauspieler*innen in virtuellen Umgebungen agieren und diese in Echtzeit sehen. Besonders spannend finde ich den Einsatz von immersiven Medientechnologien im Bereich der Aus- und Weiterbildung. So können zu Trainingszwecken in der Gesundheitswirtschaft Operationen erst einmal in der virtuellen Welt geübt werden, bevor sie beim Menschen angewandt werden. Auch in der Luftfahrt bieten XR/VR/AR große Vorteile in Bezug auf Flugsimulationen.

Wie sehen Sie die Rolle von Berlin-Brandenburg als Standort für disruptive Medientechnologien wie VR/AR/XR und KI? Was macht diesen Standort besonders attraktiv?

Jeannine Koch

Die Region Berlin-Brandenburg hat sich in den letzten Jahren als ein bedeutender Standort für disruptive Medientechnologien etabliert. Sie bietet den innovativen Unternehmen ein ideales Umfeld für die Entwicklung und Anwendung neuer Technologien auf Grund der attraktiven Kombination aus wissenschaftlicher Exzellenz, einem lebendigen Startup-Ökosystem, starken Netzwerken, kreativer Vielfalt, internationalem Zugang und hoher Lebensqualität.

„medianet berlinbrandenburg e.V. ist ein Netzwerkverein der Medien-, Kreativ- und Digitalwirtschaft mit rund 450 Mitgliedsunternehmen und gestaltet gemeinsam mit Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ein Miteinander auf Augenhöhe in der Metropolregion Berlin-Brandenburg und über die Landesgrenzen hinaus. So sollen Standorte als Arbeitgeberregionen gestärkt und Impulse gesetzt werden – aber auch ein interdisziplinäres Vernetzen auf dem gemeinsamen Weg in die digitale Zukunft ist das Ziel des Vereins.“

Mit dem medianet unterstütze ich diese Branche innerhalb der Hauptstadtregion intensiv. Ein Drittel unserer 450 Mitgliedsunternehmen kommen aus der Film-, TV- und Content-Produktionswirtschaft, ein weiteres Drittel aus der Games-Branche. Auf diese Weise lassen sich beide Welten interdisziplinär miteinander vernetzen und ergänzen sich perfekt. Außerdem profitiert die Branche von einer starken politischen Unterstützung für Innovation und Digitalisierung, was sich in verschiedenen Förderinitiativen und politischen Maßnahmen widerspiegelt. Das Medienboard Berlin-Brandenburg zum Beispiel vergab bei der New-Media-Förderung, die für die Entwicklung zum Medienstandort der Zukunft bestimmt ist, im Jahr 2023 ein Rekordvolumen von 12,3 Millionen Euro. Das medianet hat in diesem Jahr zudem einen Wettbewerb für innovative Veranstaltungsformate bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe gewonnen. Mit dem Preisgeld veranstalten wir am Abend des 27. Mai den dritten CREATIVE SUMMER BASH, bei dem sich alles um die Welt der immersiven Medientechnologien dreht.

Wie fördert medianet die Integration und Anwendung von neuen Medientechnologien in traditionellen Medienindustrien wie Film, TV und Verlage?

Unsere Hauptaufgabe ist es unter anderem die interdisziplinäre Vernetzung zwischen den einzelnen Unternehmer*innen zu ermöglichen. So fördern wir vor allem den Diskurs und Austausch zu den neuen Medientechnologien über einzelne Branchen-Grenzen hinaus. Hier treffen schon mal etablierte Filmstudios oder global agierende Konzerne auf Startups. Die Synergien, die bei Begegnungen dieser Art entstehen, ist die DNA von medianet.

Als Community stehen wir zudem für Wissenstransfer, den wir unseren rund 450 Mitgliedsunternehmen – knapp 2.000 Multiplikator*innen – anbieten. Für uns ist es elementar, immer nah an den aktuellen Themen und Trends zu sein und sie bei unseren rund 70 Veranstaltungen im Jahr abzubilden und dabei die Unternehmen mit ihrem spezifischen Know-how auch inhaltlich einzubinden. Außerdem vertreten wir die Interessen und Bedarfe unserer Mitglieder gegenüber politischen Vertreter*innen. Hier ist es unser Ziel, gemeinsam mit der Politik gute Rahmenbedingungen für die Medien-, Kreativ- und Digitalwirtschaft der Hauptstadtregion zu erwirken.

Welche innovativen Projekte oder Technologien, die auf dem CREATIVE SUMMER BASH vorgestellt werden, finden Sie persönlich besonders spannend und warum?

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Der Impulsvortrag von Sven Bliedung (Volucap) ist inhaltlich sehr beeindruckend, aber vor allem relevant. Mit seinem Deepfake-Erkennungssystem hat er aufgezeigt, welche Gefahren von Deepfakes für die Demokratie ausgehen, da sie das Potenzial haben, die Öffentlichkeit zu desinformieren, die Diskussion zu polarisieren und das Vertrauen in die Medien sowie in demokratische Institutionen zu untergraben. Es ist daher wichtig, Deepfakes und Fake News zu erkennen und die Öffentlichkeit für die Bedeutung von Fakten und Evidenz in der Informationsvermittlung zu sensibilisieren. Es ist es auch gerade die Verantwortung von Medienunternehmen und uns als Medien- und Kreativwirtschaft, eine offene, transparente und informierte Gesellschaft zu fördern, in der Fakten über Meinungen gestellt werden und die demokratischen Prozesse auf einem soliden Fundament der Wahrheit beruhen.

Auch der Inspiring Talk zum Thema „Future Storytelling: Wie Geschichten von heute die Realität von morgen verändern“ ist super relevant für die Gesellschaft, denn er zeigt, dass Filme und Serien nach wie vor unglaublich wirkmächtige Werkzeuge sind. Sie erzählen Geschichten, die nicht nur unterhalten, sondern auch unsere Vorstellungskraft anregen und uns dazu bringen, über die Zukunft nachzudenken. Maja Göpel als die wichtigste Transformationsforscherin unserer Zeit macht deutlich, wie Medien dazu beitragen können, uns auf sozial-ökologische Transformationen vorzubereiten, und wie wir durch positive Geschichten den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken können. Und darum geht es doch aktuell, in einer immer komplexer werdenden Welt braucht es multiple Perspektiven auf mögliche Lösungsansätze – und das kann nur mithilfe einer gemeinschaftlichen Anstrengung gelingen.

Es ist allerdings wirklich schwer, eine Auswahl zu treffen, bei all den spannenden Projekten, die wir als Aussteller auf dem CREATIVE SUMMER BASH dabeihaben. Alle nehmen eine unterschiedliche Perspektive ein, aber unsere Gäste können sich u.a. auf folgende Projekte freuen und sie ausprobieren:

  • AnotherWorld VR bietet eine einzigartige Zeitreise-Erfahrung durch “The Vortex Cinema”, ein VR-Shooter, der eine komplexe Verschwörung in einer Schwarz-Weiß-Welt enthüllt.
  • Bei GroovIT können Nutzer*innen Schlagzeug lernen und gleichzeitig ein unterhaltsames Jump-‘n’-Run-Spiel mit “Drum Revolution” erleben.
  • Mimic Productions bietet die Möglichkeit, digitale Personen zu erkunden und faszinierende KI-Avatare zu erleben.
  • Actrio Studio ermöglicht es, VR im Museum zu erleben sowie die Herausforderungen des Klimawandels im Impact Game “The Great Ocean” zu entdecken.
  • Studio Deussen präsentiert BLVD-STORIES, eine AR-Geschichte über das jüdische Leben in Berlin der 1930er Jahre.
  • RAVE.SPACE stellt ihre innovative RAVE ENGINE-Technologie vor, eine Plattform zur Erstellung interaktiver, browserbasierter 3D-Welten. Die Ausstellung präsentiert verschiedene Anwendungsmöglichkeiten dieser Technologie, von virtuellen Konzerten und Bildungsräumen bis hin zu interaktiven Immobilienführungen.
  • Breakpoint One zeigt, wie Großveranstaltungen um AR ergänzt und live gesteuert werden können.
Yana Iskayeva Getty Images
Tatiana Maksimova Getty Images
Emely Timm – Die Hoffotografen
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