„Hallelujah“: Der Song, der Leonard Cohen überlebte

Egal wo sich Leute versammeln, um zu feiern oder zu trauern – „Hallelujah“ ist immer schon da.

Leonard Cohen hatte sich Anfang der Achtziger zurückgezogen, um moderne Psalmen zu schreiben, also liedhafte Verse zu Ehren Gottes. Er sah sich als Wiedergänger des Psalmisten David aus der Bibel. Ja, genau, das ist jener, der, seinerzeit noch ein judäischer Hirtenjunge, mit einer Steinschleuder den riesenhaften Philisterkrieger Goliath tötete und damit zum Helden bzw. Rockstar wurde. Damit nicht genug, brachte er es schließlich zum König von Judäa und Israel. Und immer wenn es Mitternacht schlug, stand er auf, um Gott mit seinen Psalmen zu preisen, was alle Ungläubigen seines Reiches, die in den Bann dieser Lieder gezogen wurden, sich versammeln ließ, um das Wort Gottes zu studieren. Allerdings war jener jüdische Gott nicht unbedingt dafür bekannt, sich sonderlich viel aus Musik zu machen. Daher schrieb Davids jüdisch-kanadischer Nachfolger Cohen die Verse „Now I’ve heard there was a secret chord/ That David played, and it pleased the Lord/ But you don’t really care for music, do ya?“ in eines seiner Notizbücher, in denen er über die Jahre Vers um Vers, Strophe um Strophe auftürmte.

Jeden Morgen nach dem Aufstehen setzte er sich hin, um weiter daran zu arbeiten. Es war ein Ritual. Eine Meditation. Das, was er dabei zu Papier brachte, war der Form nach kein Psalm. Eher ein Song. Mit siebzig oder achtzig Strophen. Er schrieb immer zu viel. Das Kürzen und Verdichten war ein wesentlicher Teil seines kreativen Prozesses. Aber hier wusste er gar nicht, wo er anfangen sollte. „Manchmal denke ich, ich sollte mich an die alte Beat-Philosophie halten: Erster Gedanke, bester Gedanke“, hat er später in einem Interview mit dem Journalisten Larry Sloman gesagt. „Aber das hat für mich nie funktioniert. Einen ersten Gedanken gibt es kaum – es ist alles Anstrengung.“ Er gab dem Text nach dem Wort, mit dem jede Strophe endete, den Titel „Hallelujah“– hebräisch für „Lobet den Herrn“. „Das Wort ‚Halleluja‘ ist so reich an Resonanzen, dass die Menschen es seit Tausenden von Jahren singen, um unsere kleine Reise hier zu begleiten“, hört man Cohen zu Beginn von „Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song“ sagen. Es war ein großer Kampf, den er da inmitten seiner kleinen Reise mit diesem Songungetüm kämpfte. Als er bereit war, nach Abschluss seines Psalmenbuchs, das er „Book Of Mercy“ nannte, nach fünf Jahren Pause wieder ein neues Album aufzunehmen, schloss er sich in einem Zimmer im Royalton Hotel am Times Square in Manhattan ein, um „Hallelujah“ zu beenden.

„Ich habe das Gefühl, mir steht eine riesige posthume Karriere bevor. Mein Vermögen wird wachsen.“

„Ich erinnere mich noch, wie ich in Unterwäsche auf dem Teppich lag und immer wieder mit dem Kopf auf den Boden schlug und sagte: ‚Ich kann das nicht mehr. Es ist zu schwer und zu einsam‘“, erklärte er Sloman. „Glaubst du, dass sich alle so viel Mühe mit einem Popsong geben?“, fragte daraufhin der Journalist, dem Joan Baez auf Bob Dylans Rolling Thunder Tour den Spitznamen „Ratso“ gegeben hatte. Cohen schwieg und starrte ins Leere. Er hatte die Mühen jedenfalls auf sich genommen, auch wenn er seinerzeit noch keine Ahnung hatte, ob es sich lohnen würde. „Die Arbeit ist getan. Und es ist wirklich gut geworden. Es ist makellos. Es existiert schwarz auf weiß. Es ist egal, ob es rauskommt oder wahrgenommen wird“, erklärte er Sloman und fuhr in selbstironischem Ton fort: „Ich sage dir, das ist alles für die Geschichtsbücher. Ich habe das Gefühl, mir steht eine riesige posthume Karriere bevor. Mein Vermögen wird wachsen. Mein Name wird in aller Munde sein.“ Sloman lachte. Cohen hatte den Song schließlich auf vier Strophen reduziert.

Die erste begann mit Davids oben zitiertem geheimen Akkord, in der zweiten wurde der mit großer Libido ausgestattete König von Gott, wie es im Talmud heißt, auf die Probe gestellt, und er versagte, weil er sich mit der verheirateten Bathseba einließ, ihren Mann an die Front schickte und die Witwe in seinen Harem aufnahm, woraufhin ihm sein Schicksal übel mitspielte. In der dritten und vierten Strophe setzte Cohen sich mit diesem tragischen Gottesanbeter gleich und verteidigte seine Rolle als religiöser Dichter vor dem zweiten Gebot („Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen“): „There’s a blaze of light in every word/ It doesn’t matter which you heard/ The holy, or the broken Hallelujah!“ Jedes Wort leuchtet den Weg, das heilige Wort Gottes genauso wie das gebrochene eines fehlbaren Menschen. „I did my best, it wasn’t much“, heißt es in der letzten Strophe. „I couldn’t feel, so I tried to touch/ I’ve told the truth, I didn’t come to fool you/ And even if it all went wrong/ I’ll stand before the Lord of Song/ With nothing on my lips but Hallelujah.“ Der versöhnliche Abschluss eines Liedes, das versucht, das Heilige und das Menschliche, die Unreinheit der Welt und die Reinheit des Glaubens zu versöhnen.

Cohen wollte „Hallelujah“ und die anderen Songs des nächsten Albums mit John Lissauer aufnehmen, einem Songwriter und Produzenten, den er Anfang der Siebziger in Montreal kennengelernt und der sein opulentes Album „New Skin For The Old Ceremony“ (1974) produziert hatte. Danach waren sie gemeinsam auf Tour gegangen und hatten begonnen, gemeinsam neue Lieder zu schreiben und aufzunehmen. Für ein paar Konzerte, die Cohen ohne Lissauer spielte, hatten sie ihre Arbeit unterbrechen müssen. Der Produzent hatte allerdings vergebens auf Cohens Rückkehr gewartet. Die nächsten Lebenszeichen des Sängers waren die Alben gewesen, die er mit Phil Spector („Death Of A Ladies’ Man“, 1977) und Henry Lewy („Recent Songs“, 1979) aufgenommen hatte. Erst sieben oder acht Jahre später rief Cohen Lissauer an: „Hey, man. Wanna work?“ Der Songwriter bestellte Lissauer in sein Hotelzimmer, packte seine Gitarre aus, ging dann aber zu einem kleinen Keyboard mit billig klingendem Rhythmusgerät, spielte C, F, G, a-Moll, F und beschrieb sprechsingend, was er da tat: „It goes like this, the fourth, the fifth/ The minor falls, the major lifts/ The baffled king composing Hallelujah.“

Roz Kelly Getty Images
Evening Standard Getty Images
Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates