Netflix hat wohl nichts mehr zu befürchten

Zum ersten Mal gibt Netflix Nutzungszahlen bekannt. Der Streaming-Gigant wird dazu auch gezwungen.

Netflix hat das Zeitalter des Streamings eingeläutet. Das ist so, auch wenn Spotify und Co. im Musikfeld früher dran waren. Aber durch das mitunter auch gewaltsame Aufbrechen des Film- und Fernsehgeschäfts bildeten sich neue Konsumgewohnheiten, die Netflix trotz gewachsener Konkurrenz immer noch als originären Antreiber einer neuen medialen Ordnung erscheinen lassen.

Dem Publikum gefällt es trotz stetig gestiegener Abo-Gebühren: Serien werden weiter am Stück geschaut, der Streamer ist größtenteils dabei geblieben, ganze Staffeln ins Schaufenster zu stellen. Letzteres war der Unique Selling Point des Unternehmens, begonnen mit „House Of Cards“. Die Lust darauf, alles auf einmal zu bekommen, ist für gewöhnlich schlecht fürs Geschäft, weswegen Aufteilung und Verknappung stets die Mittel der Wahl waren. Nicht so bei Netflix. Das lag daran, dass der Konzern die ersten Jahre intensiv in sein Programm investierte, ohne Blick auf Gewinne. Wachstum war die Strategie. Weltweit vertrauen die meisten Menschen am meisten Netflix, knapp vor Amazon Prime Video und Disney+ zwar – aber kein Streamingdienst wird seltener gekündigt.

Jahrelang gehörte es zur Strategie von Netflix, um die tatsächliche Nutzung ein Geheimnis zu machen. Zwar wurden Kacheln erstellt, die Sehgewohnheiten abbildeten und Top-Platzierungen beim Sehverhalten simulieren sollten. Aber das war nur der Anschein von Statistik und Transparenz. Nun gibt es alle sechs Monate Gewissheit. Für dieses Jahr bedeutet es, dass die erste Staffel von „The Night Agent“ mit 812,1 Streaming-Stunden auf Platz eins bei den Serien gelandet ist, gefolgt von „Ginny & Georgia“ (Staffel 2, 665,1 Stunden) und „The Glory“ (Staffel 1, 622,8 Stunden). Auffällig: Der Anteil an exklusiv für Netflix produzierten Serien und Filme ist in den Hit-Listen außergewöhnlich hoch, er beträgt nahezu 90 Prozent.

Was bedeuten die Netflix-Zahlen?

Ganz sauber sind die Zahlen gar nicht zu erheben, schränkt Netflix-Co-Chef Ted Sarandos ein. Sie gäben zwar eine Orientierung, würden aber dadurch relativiert, dass Serien eine unterschiedliche Laufzeit hätten und Filme grundsätzlich kürzer seien. Ein zumindest nachvollziehbares Argument dafür, dass die Veröffentlichung von Nutzungszahlen eigentlich eher wenig Vergleichbarkeit bieten. Lange Zeit seien sie aber geheimgehalten worden, so gibt Netflix es zumindest aus, um experimentieren zu können.

Mit anderen Worten: Die von den Usern erhobenen Daten sind inzwischen so valide, so aussagekräftig, dass mit ihnen nun bei deutlich größerer Transparenz Kasse gemacht werden kann. Mit dem Aufkommen immer neuer Konkurrenz ist das Rennen um mehr Unternehmensgewinne eröffnet. Netflix gibt es längst auch mit Werbung in einem kostengünstigeren Abo, auch da sind Amazon Prime und Co. bereits nachgezogen. Exzellente Qualität ohne Werbung im Premium-Abo hat ihren Preis.

Viele wollen wissen, was ihre Arbeit für Netflix wert ist

Netflix ist allerdings nicht nur freiwillig auf den Zug aufgesprungen, seinen Nutzern mehr Einblick in die Karten zu bieten. Wie man von Quellen hört, die an den Verhandlungen mit den zahlreichen Gewerkschaften beteiligt waren, die unlängst Hollywood für Wochen in den Stand-by-Modus versetzten, ging es vielen Akteuren um mehr Sichtbarkeit des Erfolgs ihrer Arbeit. Um dann auch bessere Gehälter verhandeln zu können. Auf Netflix wie auch auf Hollywood kommt eine neue Welle an finanziellen Forderungen zu, flankiert von der Versuchung, mit Künstlicher Intelligenz neue Konsumanreize und Einsparpotentiale zu erzeugen. Man muss kein Prophet sein, um zu erahnen, dass Netflix in Zukunft auf mehr Ware setzen wird, die aber kostengünstiger produziert wird.

Trotz dieser die Produktion einschränkenden Maßnahmen veröffentlicht Netflix seine Nutzungszahlen mit großem Selbstbewusstsein und mit der Gewissheit, sein oft mit Blick auf Produzenten, Shareholder und andere Geldgeber zuweilen massiv kritisiertes Verkaufsmodell am Markt durchgesetzt zu haben.

„Netflix and Chill“ heißt ein beliebtes Codewort von Jugendlichen, dass man einsam oder gemeinsam in den Entspannungsmodus übergeht, wahlweise mit sexuellem Begleitprogramm. Es versinnbildlicht aber auch: Netflix ist zum Synonym für ziellosen Medienkonsum schlechthin geworden. Es geht nicht mehr darum, was man guckt, sondern dass man guckt. Netflix hat sich für den Heimvideomarkt etabliert wie einst Microsoft als Eintrittskarte für den Heimcomputer.

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