ABBA: „Voyage“ – die ROLLING-STONE-Review

Die neue ABBA-Platte klingt so, als wäre gerade ein Jahr seit dem letzten Album vergangen.

„We hear a bittersweet song in the memories we share“, heißt es in „I Still Have Faith In You“, dem ersten Stück dieses unwahrscheinlichen Albums. „Voyage“ ist naturgemäß nicht der Beginn einer Reise, sondern ihr Ende. Seltsam altertümlich wirken die Lieder des Albums, wie eingefroren im ABBA-Kosmos. Die Songs von Benny Andersson und Björn Ulvaeus waren immer sentimental, aber das Bittersüße ihrer Meisterwerke lappt nun etwas zu sehr ins Süßliche. Es ist eine sozusagen altersgemäße Platte: Das Können ist gekonnt, aber neue Tricks haben die Zauberer nicht im Repertoire.

Benny Andersson, der seit Jahrzehnten mit seiner Folkloregruppe musiziert, hat „When You Danced With Me“ als artige, erdverwachsene, etwas stampfende schwedische Folklore komponiert. „Little Things“ ist ein treuherziges Weihnachtslied mit Kinderchor. ABBA haderten manchmal mit der Auswahl von Singles, doch diesmal haben sie den besten Song und zwei gute gewählt: „Don’t Shut Me Down“ verströmt die ABBA-Magie ihrer, sagen wir: zweitgrößten Lieder, während „I Still Have Faith In You“ den gefühligen Schmelz und „Just A Notion“ (stammt tatsächlich von 1978) die naive Melodieseligkeit der Platten gegen Mitte der 70er-Jahre ausstrahlen.

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„I Can Be That Woman“ ist eine Ballade mit typischer Rollenprosa, zarter Reue und dem patentierten Chorgesang von Agnetha Fältskog und Anni-Frid Lyngstad, schwingt sich aber nicht zu einem ergreifenden Melodram auf, die Streicher bleiben dezent. „Keep An Eye On Dan“ ist ein sich langsam aufbauender Disco-Klopfer mit einer Synthesizer-Kadenz, die Andersson wahrscheinlich auf seinem alten „Gimme! Gimme! Gimme!“-Keyboard spielt – der Song endet mit dem kleinen Piano-Motiv von „S.O.S.“. Schwerblütig und mit Flöten kommt das kinderliedhafte „Bumblebee“ nicht von der Stelle. „No Doubt About It“ erinnert abermals an die heiteren Kirmes-Gassenhauer der frühen Platten.

„Ode To Freedom“ beschließt das Album mit einer scheinbar ostentativen Geste. Aber in den dunklen, ahnenden Streichern liegt nicht der Götterfunke, liegt gar nichts Triumphalistisches, sondern etwas Gespenstisches wie in den Songs von „The Visitors“ vor 40 Jahren. Zag verklingt der Hymnus. Und so verklingt auch diese kurze neue ABBA-Platte: als wäre gerade ein Jahr seit dem letzten Album vergangen.