Beyoncé: „Cowboy Carter“

Sony Music (VÖ: 29.03.)

Ein Opus Magnum in Sachen Country. Mit Banjos, Beatles und abenteuerlichen Ritten durch die Pophistorie

Doppelstunde in Geschichte mit Giselle Knowles-Carter. 27 Songs, dutzende historische Bezüge, Querverweise und Pamphlete. Es gibt Banjos und Breakbeats, spröde Miniaturen und großes Besteck. Und nur Menschen mit einer gewissen Vorkenntnis werden verstehen, was eine Ballade vom Weißen Album der Beatles, Miley Cyrus oder ein paar Schnipsel „Good Vibrations“ von den Beach Boys mit Country Music zu tun haben.

„Cowboy Carter“ ist ein vollgepacktes Diskurs-Album, das über einzelne Entdeckungen funktioniert und weniger als geschlossenes Opus. Die Entscheidung etwa „Jolene“ von Dolly Parton zu covern, wäre auch schlichteren Geistern eingefallen. Beyoncés musikalische Bearbeitung ist werkgetreu und ok. Ihre Version des prä-feministischen Parton-Textes wiederum hat sich gewaschen. Und dass die Beatles mit „Blackbird“ ein fulminantes Statement zur „Civil Rights“-Bewegung in den späten 1960ern abgegeben haben, steht in den Büchern. Man kann den Song aber auch als netten, unaufgeregten Akustik-Track à la Beyoncé hören.

Es ist ein Album, das kein Produktmanager einer Indie-Künstlerin hätte durchgehen lassen, weil „too much“. Ein Kompendium, das mehr noch als das Vorgänger-Werk „Renaissance“ zur Historie von House Music zu musikalischen Tiefenbohrungen einlädt. Willie Nelson etwa taucht zweimal als griesgrämige Type auf, die derbe vom Leder zieht, und musikalische Einsprengsel in der Satteltasche hat. Etwa von Chuck Berry, Sister Rosetta Tharpe oder vom 1988 verstorbenen Bluessänger Son House, der wiederum Muddy Waters und Robert Johnson beeinflusste. Eine Platte, die auch veritable Angeber und Ahnunghaber:innen auf den Plan rufen wird. Ok, für das Marketing-Feuerwerk mit leuchtendem Stetson und Rodeo waren die vergleichsweise knalligen Vorab-Singles „Texas Hold’em“ und „16 Carriages“ zuständig, die auch im Mainstream-Radio funktionieren. Man muss also keine Pop-Seminare auf der Kunsthochschule besucht haben, um „Cowboy Carter“ zu goutieren. Aber es hilft.

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Beyoncé ist reich und mächtig genug, mit Abenteuern und auch Späßen im Wilden Westen aus den Vollen zu schöpfen. Der gesichtstätowierte Country-Rap-Crooner Post Malone (erfolgreich im Mainstream) hat ebenso einen Cameo-Auftritt wie die außerhalb der Szene der Wissenden unbekannte Country-Sängerin Linda Martell, die bereits 1970 ein Album namens „Color Me Country“ veröffentlichte. „Genres sind ja ein lustiges kleines Konzept, nicht wahr?“, gab die heute 82-jährige zu Protokoll. „In der Theorie sind sie einfach zu definieren. Doch in der Praxis, nun ja, fühlen sich manche durchaus eingeengt.“ Ihr wird im Spoken-Word-Track „Spaghetti“ gedacht. Wieder so ein Sprung in den Brunnen der Geschichte.

„Cowboy Carter“ lässt sich natürlich auch als pralle Nummernrevue hören, es ist kein Problem mit den gekonnt produzierten Popnummern glücklich zu werden. Dass man dabei gelegentlich den einen oder anderen Song überspringen wird, ist vielleicht sogar gewollt. Ein Album mit mindestens drei Ebenen. Sicherlich viel zu lang, aber genau das ist auch das Gute daran. Das Schlaue und das impulsiv Kickende in einem fett gepackten Paket.