Serienhelden: Die Liste der Unsterblichen (Platz 1. bis 10.)

Hier finden Sie den ersten Teil unserer Liste der unsterblichen Serienhelden. Mit dabei: Tony Soprano, J.R. Ewing, Columbo, Don Draper, Monaco Franze, Dr. House u. a.

1. Tony Soprano (Die Sopranos)

Es beginnt mit den Enten, die im Swimmingpool der Familie Soprano schwimmen. Für Tony Soprano sind die Tiere ein Menetekel, Allegorien für seine Depression. Offiziell arbeitet Soprano in der Müllbeseitigung – ein klassischer Mafia -Witz. Tatsächlich hängt er mit seiner Bande im Hinterzimmer des Table-Dance-Clubs ,,Bada Bing“ herum, einer Ausgeburt der Schnellstraßenhölle von New Jersey wie aus einem Roman von Richard Ford. Tony ist der Pate der lokalen Mafia-Organisation, in der Autorität bedroht von seinem ebenso tutigen wie bösartigen Onkel und seiner nörgelnden Mutter. Seine Frau Carmela langweilt sich, macht Cannoli und guckt Filme mit dem örtlichen katholischen Pfarrer, der Sohn ist ein träger Taugenichts, die Tochter ein hysterisches Früchtchen.

David Chases Serie revolutionierte von 1999 an die Erzählweise der Fernsehserie: ,,Die Sopranos“ war besser geschrieben und produziert als vergleichbare Kinofilme und bis in die kleinste Nebenrolle glänzend besetzt: Steven Van Zandt als Sidekick, Steve Buscemi als irrer Gangster, John Heard als versoffener Polizist und Verräter, David Strathairn als Liebhaber von Sopranos Frau, Peter Bogdanovich als Psychologe.

James Gandolfini, ein bis dahin erfolgloser Schauspieler, gibt den traurigen Despoten als Sensibelchen, das über die Endlichkeit nachdenkt und zum Reden der Psychotherapeutin Dr. Melfi (Lorraine Bracco) gegenübersitzt, in die er sich verliebt. Zugleich berichtet Soprano ihr von den Problemen mit einer temperamentvollen russischen Nutte, mit seiner Frau, den Kindern, der Mutter und seiner Arbeit, über die sie sich keine Illusionen macht. Melfi gerät in den Bann des ebenso massigen wie labilen, charmanten wie raubtierhaften Machtmenschen, bricht die Behandlung aber nicht ab. Einmal erzählt Soprano von dem fröhlichen Wanderer, der pfeifend seines Weges geht – während Sopranos Tag von Routine, Ennui und jähen Gewaltausbrüchen geprägt ist. Einmal träumt er von der italienischen Nachbarin, die im Garten die Wäsche aufhängt, während die Tindersticks ,,Tiny Tears“ spielen. Und als Tony die Heimat seiner Vorfahren besucht, erlebt er mit einer feurigen Grazie den mediterranen Sensualismus, spaziert am Strand und speist in alten Palästen. Dann muss er heim in den täglichen Krieg von New Jersey.

Arne Willander

2. J.R. Ewing (Dallas)

Er war für ein Jahrzehnt die berühmteste Fernsehgestalt der Welt – und die Frage, wer auf J.R. Ewing schoss, bewegte im Jahr 1980 nicht nur die USA. „Dallas“ begann zwar schon 1978, war aber die erste Serie, die eine Ahnung von den 80er-Jahren vermittelte: Egoismus, Gier, Zynismus und der Konservatismus eines Patriarchen und Stinkstiefels. Larry Hagman spielte schon in ,,Bezaubernde Jeannie“ eine holzschnittartige Figur – als  J.R. brauchte er nur das Grinsen, den Haarscheitel, den viel zu großen Stetson und einen Aktenkoffer, um den Schuft zu geben.

J.R. war bis zum Tod seines Vaters immer das alt gewordene Baby, das Papa gefallen wollte. Als der alte Cowboy nicht aus dem südamerikanischen Dschungel zurückkehrte,  hängte der Filius ein hässliches Ölporträt von Jock Ewing an die Wand und entfesselte alle Kräfte des Fiesen. Bruder Bobby, bisher ein Leichtfuß und Hallodri, wurde nun zu Muttis Liebling, während J.R. log, betrog und hinterging. Er erpresste Sex von Frauen, ruinierte Geschäftsleute, korrumpierte Polizeibeamte und bestach Politiker. Seine kuhäugige Frau Sue Ellen trieb er in den Alkoholismus und in die Arme erst eines Rodeo-Reiters, dann eines jugendlichen Fähnleinführers, und den ewigen Rivalen Cliff Barnes bekämpfte er mit allen Mitteln, ohne den drolligen Geizhals erledigen zu können. Später löste er einen Krieg im Iran aus, trat gegen das texanische Erdöl-Kartell an und ließ einen Tanker versenken, verführte im Hinterwald eine Minderjährige und wurde zur Zwangsarbeit in der Kettengang verurteilt.

Unvergessen, wie Larry Hagman als bramsiger Viehbaron beim Barbecue auf der Southfork Ranch präsidierte, wie er aus seinem Mercedes stieg und sich im Wohnzimmer nach vollbrachtem Tagwerk einen Drink einschenkte. Nun wird eine Fortsetzung von „Dallas“ gedreht, aber Larry Hagman ist schwer krank. J.R. hatte sich bereits 1991 erschossen. Er wusste, wann das Spiel aus war.

Arne Willander

3. Inspektor Columbo (Columbo)

Vorher hatten zwar schon Bert Freed in der „Chevy Mystery Theatre“-Serie und Thomas Mitchell im Bühnenstück „Prescription: Murder“ ein bisschen Inspektor Columbo gespielt. Trotzdem war dieser zerknautschte, wirr-schlaue Polizist Peter Falks Erfindung. Er dachte sich (nachdem Bing Crosby die Rolle abgelehnt hatte) all die Marotten des Ermittlers des Los-Angeles-Morddezernats aus: die zerstreuten Gesten, die schiefe Mimik, das Understatement, die retardierenden Momente, wenn es dramatisch wird. Und, ach ja, auch der schmuddelige Trenchcoat gehörte Peter Falk selbst.

„Columbo“ (1968–1978 und 1989–2003) etablierte statt des Whodunnit das Howcatchem als TV-Krimiplot und führte einen Polizistentypus ein, der weder Dienstwaffe noch Vornamen braucht (einmal behauptet er, sein Vorname laute Lieutenant) – und der von herrlich hochnäsig in Szene gesetzten Mördern (dargestellt von Johnny Cash, John Cassavetes, Faye Dunaway, George Hamilton Leonard Nimoy, William Shatner oder Oskar Werner) stets unterschätzt wird.

Gunther Reinhardt

4. Don Draper (Mad Men)

Dieser Mann widerlegt das Diktum von F. Scott Fitzgerald, nach dem es in amerikanischen Biografien keinen zweiten Akt gibt. Don Draper, ehrgeiziger Provinzler aus kleinsten Verhältnissen, nahm die Identität eines gefallenen Soldaten an, verkaufte Autos und Pelze und bewarb sich bei der Reklame-Agentur Sterling-Cooper in der Madison Avenue in Manhattan. Als die Serie einsetzt, beginnen die 60er-Jahre, Draper ist nun Kreativ-Chef. Jon Hamm – tall, dark and handsome – spielt den Parvenü als versammelten, brütenden Beau zwischen Tyrone Power und Cary Grant, der mit der puppenhaften Betty (January Jones) zwei Kinder hat und kommod in den Vororten wohnt.

„Mad Men“ ist seit 2007 eine Sitten-Sitcom über eine Gesellschaft, in der es bis zum Tod von John F. Kennedy nur den Weg nach oben gibt. Die Männer verfügen über ihre Sekretärinnen, trinken Whisky in ihrem Büro, rauchen immerzu und besuchen in der Mittagspause ihre Geliebten. Draper wird schließlich entdeckt, erpresst, von seiner Frau verlassen und vom Glück – doch jetzt, da er ein saufender Schürzenjäger in einem dunklen Apartment ist, beginnt erst das Design fürs Leben. Reiner Film noir.

Arne Willander

5. Monaco Franze (Der Ewige Stenz)

Es gab nur zehn Folgen vom „Monaco Franze“, doch die Figur hat sich ins kollektive deutsche Fernsehgedächtnis eingebrannt wie kaum eine andere – von Baby Schimmerlos abgesehen, der ebenfalls von Helmut Dietl erfunden wurde. Den Monaco entwickelte er gemeinsam mit Patrick Süskind. „Der ewige Stenz“ ist ein ungefähr 50-jähriger Kriminalkommissar, der eigentlich Franz Münchinger heißt. Helmut Fischer spielt den Schlawiner so charmant, dass man ihm nichts übelnehmen kann – da geht es einem ähnlich wie seiner Ehefrau, dem „Spatzl“ Annette von Soettingen. Monaco flirtet sich ungeniert durch Schwabing, manchmal macht ein Kleinkrimineller oder eine seiner Geliebten Stress („immer des G’schiss mit der Elli“), schließlich läuft ihm Annette tatsächlich weg, und er rutscht ins gesellschaftliche Abseits, aber am Ende finden die beiden natürlich wieder zusammen – weil der Schwerenöter tief im Herzen halt doch eine treue Seele ist – „Spatzl, schau, wia i schau!“. Er war allerdings auch ein Nostalgiker, der gern den gemütlicheren Zeiten hinterhertrauerte, und hinter seinem Lächeln lag eine gewisse Melancholie – was ihn nur noch sympathischer machte. Seine abgeklärten Lebensweisheiten gelten bis heute: „Ein bisserl was geht immer.“

Birgit Fuß

6. Dr. Gregory House (Dr.House)

So einen Arzt gab es bisher nicht: ein hinkender, vicodinsüchtiger Soziopath, der seine Patienten nicht mag und die Kollegen noch schlechter behandelt. Dass er trotzdem noch praktizieren darf, liegt nur daran, dass Dr. Gregory House genial ist. Er diagnostiziert nicht bloß, er spürt nach Sherlock-Holmes-Manier jedes noch so unwahrscheinliche Leiden auf – das ist sein Leben, das kann er, während er privat von einer Katastrophe in die nächste humpelt. Es war ein Glücksfall, dass Produzent David Shore 2004 für die Rolle dieses gebrochenen Egozentrikers den Briten Hugh Laurie auswählte, obwohl er eigentlich einen Amerikaner suchte. Laurie mag als Komiker bekannt geworden sein, doch er braucht jetzt kaum noch Grimassen, ein Blick aus seinen traurigen blauen Augen reicht oft, um dem Zuschauer zu bedeuten, wie schwer dieser House es hat. Man würde den Kotzbrocken ja nicht jede Woche wieder sehen wollen, wenn man nicht wüsste, dass unter dem Sarkasmus und der Rücksichtslosigkeit ein großes, kaputtes Herz steckt. Es laufen nur wenige so vielschichtige Charaktere im (US)-Fernsehen herum, schon gar nicht acht erfolgreiche Staffeln lang – deshalb wurde Laurie mit „House“ verdientermaßen zum bestbezahlten Seriendarsteller der Welt.

Birgit Fuß

7. Agent Dale Cooper (Twin Peaks)

Er schwärmt vom Kirschkuchen, vom schwarzen Kaffee, von den Douglas-Tannen und protokolliert seine Anfälle kindlicher Entzückung in Diktiergerätmonologen, die für eine gewisse Diane bestimmt sind. FBI Special Agent Dale Cooper (Kyle MacLachlan), der im beschaulichen Twin Peaks den Mord an Laura Palmer aufklären soll, ist ein adrett-skurriler Ermittler voller Manierismen. „Harry, I have no idea where this will lead us, but I have a definite feeling it will be a place both wonderful and strange“, verrät er dem örtlichen Sheriff. Cooper wird herausfinden, dass in diesem von Ocker und Beige durchtränkten Idyll nichts so ist, wie es scheint, von einarmigen Männern, von Zwergen und Riesen träumen, angeschossen und suspendiert werden, sich schließlich sogar verlieben. Tatsächlich machten David Lynch und Mark Frost mit „Twin Peaks“ (1990–1991) einen Genremix sendefähig, der Drama, Mystery, Krimi und Vorabendsoap vermengt. Doch als in der zweiten Staffel die Story zunehmend surreal, Dale Coopers Träume seltsamer wurden, forderte der Sender ABC, den Zuschauern endlich den Mörder zu präsentieren. Zur dritten Staffel kam es dann gar nicht mehr. Und Kyle MacLachlan bekam seinen Kaffee und Kirschkuchen später in der Wisteria Lane von den „Desperate Housewives“ serviert – bis er auch dort wegen moralischer Differenzen ausziehen musste.

Gunther Reinhardt

8. Homer (The Simpsons)

Er ist ungebildet, begriffsstutzig, faul, verfressen, fett, verantwortungslos, egoistisch, voller Vorurteile, alkoholkrank und zudem ein schlechter Vater und Ehemann. Kurz: ein Riesenbaby, dem selbst seine schnullernuckelnde Tochter Maggie geistig und emotional überlegen ist. Doch immerhin ist er zur Selbsteinsicht fähig, was er in der englischen Fassung jedes Mal mit einem schon sprichtwörtlichen „D’oh!“ orchestriert, und in seiner Beschränktheit manchmal fast so brillant wie Pu, der Bär. Und trotz aller charakterlichen und intellektuellen Mängel hat er eine bombensichere Stelle als Sicherheitsinspektor eines Atomkraftwerks, wird mindestens so oft befördert wie gefeuert und übte nebenberuflich vom Totengräber bis zum Hollywood-Produzenten schon so ziemlich jeden Job aus, der sich denken lässt. Denn Homer Jay Simpson ist ein ganz normaler Bürger des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten und hat sich, das ist dort Bürgerrecht, ein besonders großes Stück vom Kuchen des amerikanischen Traums gesichert.

Maik Brüggemeyer

9. Baby Schimmerlos (Kir Royal)

Schau mal, Mama: top of the world! Dieser Typ, gestern noch Sohn des Trambahnfahrers aus der Vorvorstadt, stößt jetzt im Smoking mit dem Ministerpräsidenten an, wird von Models umgarnt, von Chefärzten nach dem Befinden befragt, hat einen Stammtisch bei jedem Luxus-Gastronomen im Mittachtziger-München. Trotzdem ist Baby Schimmerlos verlässlich mies gelaunt. Weil er weiß, dass alle nur so nett sind, weil sie in die Zeitung wollen. Das Boulevardblatt, für das Schimmerlos – in Helmut Dietls sagenhafter Serie „Kir Royal“ von Franz Xaver Kroetz gespielt – schrieb, war der „Abendzeitung“ nachempfunden, der Klatschreporter dem schlawinerhaften Journalisten Michael Graeter. Und natürlich waren es in Wahrheit Charaktere wie Kleberfabrikant Haffenloher und Möchtegern-Konsul Dürkheimer, die das Publikum für ihre eitle Dummheit liebte. Baby Schimmerlos dagegen ist das tragische Zentrum der Serie. Der Mann, der zum Aufsteigen verdammt ist, bis es nicht mehr weitergeht. Also zur ewigen Unzufriedenheit.

Joachim Hentschel

10. Walt White (Breaking Bad)

Unter all den „sensationellen“, „wegweisenden“, „revolutionären“ amerikanischen Serien hätte man „Breaking Bad“ kaum eine Saison zugetraut. Krebskranker Chemielehrer produziert Crystal Meth, um seine Familie finanziell abzusichern: Das ist als Plot eine todsichere Angelegenheit. Doch Walt White (Bryan Cranston) hat schon vier Staffeln mit aberwitzigen Wendungen überstanden, und noch immer fallen den Autoren irre Räuberpistolen ein, die nicht mal Tarantino erzählen würde. Weil „Breaking Bad“ keine realistische Serie ist, sieht sie wenigstens so aus: als wäre jeden Tag „Traffic“ von Steven Soderbergh. Am Beispiel von Walt White berichtet sie vom Niedergang der USA: Gangsterbanden, Drogenverkauf, präpotente Millionäre, die Tabuisierung des Sterbens – das Schlimmste aber ist die Gesundheitsversorgung gegen Sofortzahlung.

Arne Willander

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