Birgit Fuß fragt sich durch: Was fanden wir nur an Nikki Sixx?

Der Bassist von Mötley Crüe trug trotz Hypermännlichkeit viel mehr Make-up als Frauen.

Schreiben in Zeiten des erweiterten Bewusstseins, was Patriarchat, fehlende Gleichberechtigung und Sexismus angeht: eine komplizierte Sache. Jetzt müsste ich in dieser Kolumne mal wieder über eine Frau schrei­ben, so viele Männer zuletzt. Vor Kurzem attestierte mir ein Bekann­ter, ich sei eine der wenigen weib­lichen Musikbegeisterten in sei­ ner Umgebung, die so „eindeutig männerliebend“ sei. Es ging nicht um Heterosexualität, sondern um den Musikgeschmack. In den Jah­res-Charts immer Männer­über­hang.

Ich stammelte was von „Mag hohe Stimmen einfach nicht so gern“, aber kam doch ins Grübeln. Für mich als 1972 Geborene ist meine Vorstellung von guter Rock­musik natürlich geprägt von Män­nern, sie sind ja (aus so vielen, auch strukturellen Gründen, die ich jetzt nicht alle noch mal aufliste) im­mer noch viel präsenter in dem Bereich. (Und dass kaum Nicht­weiße darunter sind, von Jimi Hendrix, Lenny Kravitz und wenigen anderen abgesehen: hier jetzt auch geschenkt – da­ für gibt es ja HipHop.)

Lustigerweise waren die ersten Musiker, die mich beeindruckten (nachdem ich meine kindliche Be­geisterung für Chris Ro­berts überwunden hatte), zwar megahetero und fan­den sich offensichtlich super­ männlich, waren aber stär­ker geschminkt als die meisten Frauen und trugen die irrsten Fummel. Es war L.A.­ Glamrock, eine eigene Welt.

Nikki Sixx‘ Motto bei Frauen: „Listen, lick, leave“

Mein Favorit Mitte der 80er­Jahre war Nikki Sixx. Er schien mir der Klügste unter den Wilden zu sein. Nicht nur schrieb er alle Songs bei Mötley Crüe, er kümmerte sich auch ums Geschäft und gab die interessantesten Inter­views. Ich erinnere mich an eins im „Playboy“ – sein Faible für leicht bekleidete Models ist recht ausge­prägt, das fand ich schon damals etwas peinlich. Allerdings hatte er eine sehr gute Antwort auf die Frage parat, wie er sich die Zuneigung dieser Frauen sichere: Drei Ls, sag­te er: „Listen, lick, leave.“ Also, je nachdem was gerade gefragt ist: Zu­hören, Lecken, in Ruhe Lassen. Viel Ahnung hatte ich von nichts davon, aber es kam mir schlau vor.

Bis Guns N’ Roses alles umstürz­ten, bestimmten Mötley Crüe den L.A.­ Glamrock. Schon ihr Debüt, „Too Fast For Love“ (1981), war ein buntes Sammelsurium ruppiger Hardrocksongs, von Vince Neil da­mals noch herrlich quäkend ge­sungen, mit Tommy Lees Drive am Schlagzeug, dazu Mick Mars’ Gitar­re. Als Bassist fiel Sixx nicht weiter auf, dafür schrieb er Hymnen wie „Public Enemy #1“ oder das Balla­dendrama „On With The Show“. Auch „Shout At The Devil“ (1983) und „Theatre Of Pain“ (1985) sind voller Lebenslust­ und Chaos -Ge­schichten, bis sie mit „Girls, Girls, Girls“ (1987) kurzzeitig die Orientie­rung verloren – zu viele Drogen ma­chen nicht nur tot, sondern vorher schon blöd, das ist leider oft Reali­tät.


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Mit dem Meisterwerk „Dr. Feel­ good“ (1991) kamen sie umso stär­ker zurück. Seitdem gab es viel Auf und Ab, etwas zu viele Abschieds­konzerte und fiese Rechtsstreitig­keiten. Doch die ersten paar Alben werden immer eine wunderbare Erinnerung an eine schöne, arglose Zeit bleiben – aus der Ferne spielte das seltsame Frauenbild dieser Ty­pen keine Rolle, auch die Drogen kamen uns eher aufregend als de­saströs vor. Es ging hier nicht ums Einfühlen mit den Leuten auf der Bühne, im Gegenteil.

Der Autor Chuck Klosterman hat die Faszina­tion einmal perfekt beschrieben: „Ich konnte mich überhaupt nicht mit Mötley Crüe identifizieren, ihre Welt war so unendlich weit weg von meinem Alltag. Deshalb werde ich sie immer lieben.“

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