Exklusiv

Marilyn Manson wegen sexueller Nötigung einer Minderjährigen verklagt

Die Klage bezieht sich auf angebliche Sexualverbrechen zu Beginn der Karriere des Sängers. Seine ehemaligen Plattenfirmen, Interscope und Nothing Records, werden ebenfalls als Angeklagte aufgeführt.

von Kory Grow

Marily Manson soll in den 1990er Jahren ein minderjähriges Mädchen mehrfach sexuell missbraucht haben, wie es in einer neuen Anklage behauptet wird, die nun öffentlich wurde. Dies ist die erste Gerichtsverhandlung, die sich auf angebliche Sexualverbrechen konzentriert, die am Anfang der Karriere Mansons geschahen. Personen, die den Sänger zuvor verklagten, beschuldigten ihn des sexuell übergriffigen Verhaltens in den 2010er-Jahren.

Manson, der mit bürgerlichem Namen Brian Warner heißt, ist, neben seinen ehemaligen Plattenfirmen Interscope und Nothing Records, als Angeklagter aufgeführt. Die Klägerin, die inzwischen erwachsen ist, hat die Klage anonym eingereicht. Ihre wahre Identität ist nicht bekannt, sie firmiert daher als Jane Doe. In der Anklageschrift werden Manson unter anderem sexuelle Nötigung und das vorsätzliche Zufügen von seelischem Leid vorgeworfen. Die Platten-Labels werden des vorsätzlich zugefügten seelischen Leids und der Fahrlässigkeit bezichtigt. Die Klage wurde beim Nassau County Supreme Court auf Long Island in New York eingereicht.

Darin behauptet Doe, sie sei Manson erstmals 1995 nach einem Konzert in Dallas begegnet. Damals war sie 16 Jahre alt. Sie habe mit einer Gruppe von Leuten vor seinem Tourbus gewartet, um ihn zu treffen. Er habe sie „und eines der anderen jüngeren Mädchen“ in seinen Bus eingeladen, wo er sie nach ihrem Alter und ihrer Schulklasse fragte. Er habe sich ihre Privatadressen sowie Telefonnummern notiert.

Gegen Marilyn Manson liegen zahlreiche Vorwürfe und Klagen des physischen, emotionalen und sexuellen Missbrauchs vor.

„Im Tourbus führte der Angeklagte verschiedene kriminelle sexuelle Handlungen an der Klägerin durch, die zu diesem Zeitpunkt noch Jungfrau war, einschließlich, aber nicht beschränkt auf erzwungene Kopulation und vaginale Penetration“, heißt es in der Klage. Das Schutzalter in Texas lag damals bei 17 Jahren. Weiterhin heißt es in der Anzeige, eines der Bandmitglieder habe zugesehen, wie Manson Doe sexuell missbrauchte. „Die Klägerin hatte Schmerzen, war verängstigt, aufgebracht, gedemütigt und verwirrt. Nachdem er fertig war, lachte Manson über sie. Dann forderte er sie auf, ,sich aus meinem Bus zu verpissen‘ und drohte ihr, sie und ihre Familie umzubringen, wenn sie es jemandem erzähle.“

Doe behauptet, dass ein Mitglied der Crew ihr eine Telefonnummer für die Band und ein Passwort gab, damit sie und Manson sich wieder treffen konnten. Kurz nach dem angeblichen sexuellen Übergriff habe sie begonnen, Drogen und Alkohol zu konsumieren und in den folgenden Jahren zu missbrauchen. Sie sagte außerdem, der Musiker habe sie angerufen, mit ihr online gechattet und sie um explizite Fotos von ihr und ihren Freunden gebeten.

Noch vor dem Ende des Jahres 1995 habe der mittlerweile 54-Jährige sie überzeugt, zu einem Konzert in New Orleans zu reisen und sich mit ihm zu treffen. Zunächst habe er sie „gegroomt“ und ihr Komplimente gemacht. „Er wurde daraufhin aggressiver und griff die Klägerin erneut sexuell an, indem er sie küsste, ihr in die Brust biss, erst Oralverkehr mit ihr einleitete und sie dann penetrierte“, heißt es in der Anschuldigung. „Nach dem zweiten Übergriff verhielt er sich gegenüber Doe netter und sagte ihr, dass er sie wiedersehen wolle.“

Die junge Frau setzte ihren Kontakt mit ihm und seiner Band fort. Im Alter von 18 Jahren ging sie mit dem damaligen Schlagzeuger der Nine Inch Nails aus, Chris Vrenna, der sie angeblich drängte, nach Los Angeles zu ziehen. Dort besuchte sie ein Marilyn-Manson-Konzert, wo ein Bandmitglied sie ermutigte, eine Show in Dallas zu besuchen. Sie besuchte auch das nächste Konzert in New Orleans, wo ein Mitglied der Crew ihr half, hinter die Bühne zu gelangen, um Manson zu treffen. Ein Mitglied seiner Entourage soll ihr gesagt haben, dass er ihr weiterhin Backstage-Pässe geben würde. „Im Backstagebereich gab es immer großen Mengen an Drogen für sie und andere“, heißt es in der Klage. Doe behauptet, sie sei die nächsten vier Wochen mit der Gruppe auf Tour gewesen, Drogen genommen und Stunden mit Manson verbracht, in denen er sie „gegroomt, belästigt und sexuell missbraucht“ habe.

„Er gab der Klägerin oft das Gefühl, allein und isoliert zu sein, indem er ihr sagte, dass niemand außer ihm sie verstehe“

Zu dieser Zeit habe er begonnen, seine Kontrolle über die Frau zu verstärken, während sie ihn weiterhin auf Tourneen begleitete. „Während sie noch ein Kind war, hatte der Angeklagte zielgerichtet und absichtlich den Grundstein gelegt, um sie einzuschüchtern und zu kontrollieren.“ Doe wollte von einer Reise nach Florida wieder nach Hause zurückkehren. Sie habe mit Manson darüber gesprochen und ihm ihre Verletzlichkeit und den allgemeinen Mangel an Unterstützung, den sie von ihrer Familie verspürte, offenbart. In dieser Gelegenheit habe er ihre Verletzlichkeit ausgenutzt, um sie in seiner Kontrolle zu halten. „Er gab der Klägerin oft das Gefühl, allein und isoliert zu sein, indem er ihr sagte, dass niemand außer ihm sie verstehe, einschließlich ihrer Familie.“ Doe habe ihm das damals geglaubt und sei so gezwungen gewesen, ihm weiter zu folgen.

Manson führte dieses Verhalten während der gesamten Zeit, die sie zusammen verbrachten, fort, so Doe. Auch als sie 19 Jahre alt war, habe der Musiker mit „seinem Grooming, seiner Manipulation, seiner Ausbeutung und seinen sexuellen Übergriffen“ weiter gemacht. Während der gesamten Tournee habe Manson Doe jedes Mal, wenn sie sich sahen, zum Sex gezwungen. Oftmals habe er von ihr verlangt, mit ihm und anderen Bandmitgliedern oder seiner Assistentin intim zu werden. Dabei habe Manson kontrolliert, was Doe tun darf, wer sie berührt und mit ihr sexuell interagiert. Währenddessen habe er sie mit Drogen versorgt.

Neben anderen Vorwürfen klagt die Frau wegen vorsätzlicher Zufügung von seelischem Leid und behauptet, dass Mansons „emotionale Manipulation“ ein „feindseliges und verbal beleidigendes Verhalten“ einschloss. „Zeitweise begann er, die Klägerin lächerlich zu machen, insbesondere in Gegenwart anderer junger weiblicher Fans“, heißt es in ihrem Vorwurf. Er habe sie offen rassistisch beschimpft und als fett bezeichnet. An anderen Tagen habe er ihr gesagt, sie sei schön. Zudem habe er ihr einige seiner persönlichsten Geheimnisse anvertraut. Doe gibt an, sie habe Manson fast jeden Tage gesehen – vor, während und nach seinen Auftritten. Sie hätten sich nicht getroffen, wenn seine Verlobte in der Stadt war.

An einem Tag während der Tournee im Jahr 1999 weigerte sich Doe, Manson in sein Zimmer zu begleiten, weil sie Angst davor hatte, da er „in der Vergangenheit ihr gegenüber sexuell gewalttätig wurde“. Danach sei er noch übergriffiger geworden.

Mansons Anwalt, Howard King, sagte ROLLING STONE, dass der Sänger „diese Person nicht kennt und sich nicht daran erinnern kann, sie vor 28 Jahren jemals getroffen zu haben. Er war mit Sicherheit nie intim mit ihr.“ Er nannte Does Anschuldigungen eine „erfundene Geschichte“ und fügte hinzu, dass „selbst die minimalste Prüfung die offensichtlichen Diskrepanzen in ihren ständig wechselnden Geschichten sowie ihre weitreichenden Absprachen mit anderen falschen Anklägern offenbart.“ Manson werde sich „dieser Erpressung nicht beugen“. King fügte hinzu, „die Gerichte werden auch nicht darauf hereinfallen.“

Labels hätten nichts zum Schutz unternommen

Ein weiterer Teil in der Anklage behauptet, dass Mansons Plattenfirmen „sich seiner Besessenheit von sexueller Gewalt und den Übergriffen in seiner Kindheit wohl bewusst waren“. Manson war das erste Signing beim Imprint Nothing Records, dem Label von Nine-Inch-Nails-Sänger Trent Reznor. Das Label ist eine Tochtergesellschaft von Interscope. In der Klage behauptet Doe, dass die Firmen sie vor dem angeblichen Verhalten ihres Klienten hätten schützen müssen. Sie wirft ihnen vor, dass sie „zu keinem Zeitpunkt über ein angemessenes System oder Verfahren“ verfügten, um ihre Mitarbeitende und Künstler*innen „zu untersuchen, zu beaufsichtigen oder zu überwachen, um vor-sexuelles Grooming und sexuelle Belästigung, Belästigung und Übergriffe auf Fans zu verhindern, einschließlich Minderjährige und Frauen“. Vertreter von Interscope und der Muttergesellschaft Universal Music Group haben bisher nicht auf Anfragen zu einer Stellungnahme geantwortet.

Im Jahr 2021 sprach Reznor eine wieder aufgetauchte Passage aus Mansons Autobiografie „The Long Hard Road Out of Hell“ aus dem Jahr 1998 an. Darin behauptet Manson, er und Reznor hätten in den 1990er Jahren eine Frau körperlich und sexuell angegriffen. Diese Passage sei eine „komplette Erfindung“. „Ich war damals wütend und beleidigt, als es herauskam, und bin es heute noch“, sagte Reznor. Der Musiker hat sich vor fast 25 Jahren beruflich von Manson getrennt und ist der Meinung, er habe über die letzten Jahre seine Abneigung gegen ihn deutlich gemacht.

„Interscope und Nothing Records wussten von der Praxis des Beklagten, Minderjährige sexuell zu missbrauchen, und leisteten Beihilfe zu diesem Verhalten“, heißt es in der Anklage. „Infolge des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Übergriffe von Brian Warner, die von den Beklagten Interscope und Nothing Records ermöglicht und gefördert wurden, hat die Klägerin schweres emotionales, körperliches und psychologisches Leid erlitten, einschließlich Scham und Schuld, wirtschaftlicher Verluste, wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und emotionaler Verluste.“

Trent Reznor bei einem Auftritt der Nine Inch Nails

Den Labels wird Fahrlässigkeit vorgeworfen, weil sie Manson nicht daran gehindert haben, seinen Missbrauch auf den von ihnen mitfinanzierten Tourneen zu begehen. „Interscope und Nothing Records haben ausdrücklich und stillschweigend versichert, dass die Bandmitglieder, keine sexuelle Bedrohung für ihre Fans und andere Personen darstellen, die unter den Einfluss, die Kontrolle und die Anleitung des Beklagten Warner fallen“, so Does Anwälte.

Doe fordert Schadenersatz, der in einem Gerichtsverfahren festgesetzt werden soll, und eine „Anordnung, die den Beklagten künftige rechtswidrige Geschäftspraktiken untersagt, einschließlich, aber nicht beschränkt auf die Gefährdung von Minderjährigen und schutzbedürftigen Erwachsenen durch sexuellen Missbrauch und Ausbeutung“.

Ihr Anwalt, Jeff Anderson, sagte ROLLING STONE: „Die Klage dieser Überlebenden ist ein großer Schritt, um Licht und Wärme in eine Branche zu bringen, die Gefahren im Verborgenen hält. Es ist an der Zeit, sich der Musik zu stellen. Neue Gesetze geben den Überlebenden Zeit, echte Maßnahmen für Gerechtigkeit und Schutz zu ergreifen.“ Diese Gesetze in New York und Kalifornien würden erwachsenen Opfern die Chance geben, „rechtlich gegen Straftäter und diejenigen vorzugehen, die sie schützen und von ihnen profitieren“.

„Wir sind den Überlebenden und so vielen anderen dankbar, die sich jetzt mit uns verbünden, um die Täter und diejenigen in der Musikindustrie zu entlarven, die Gewalt gegen die Schwachen zugelassen, gefördert und davon profitiert haben“, fügte Anderson hinzu. „Diese Klage geht über den bekannten Straftäter hinaus und zielt auf die Plattenfirmen ab, die das kriminelle Verhalten ihres Künstlers verpackt und davon profitiert haben. Sie ist eine Klage gegen die Musikindustrie für die Aufrechterhaltung einer Kultur, die Sexualstraftäter feiert, schützt und ermöglicht“, sagt Karen Barth Menzies, eine Anwältin, die Doe ebenfalls vertritt.

Anderson, der Anwalt, der seit Jahrzehnten Klagen gegen die römisch-katholische Kirche wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern einreicht und ein breites Bewusstsein für den Skandal geschaffen hat, vertritt auch eine Frau, die vor kurzem den Aerosmith-Sänger Steven Tyler wegen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen verklagte. Neben den Einzelfällen, so sagte er in einer Erklärung gegenüber dem ROLLING STONE, wolle er „die neuen Gesetze nutzen, um die Gefahren und die Praktiken der Branche aufzudecken, die von sexueller Gewalt gegen Schwächere profitieren und sie fördern, sowie die Führungskräfte der Branche, die davon profitieren und ein Auge zudrücken.“ Es sei Zeit für „Aufklärung und Rechenschaftspflicht“.

Immer wieder werfen Frauen Manson übergriffiges Verhalten vor

Mehr als ein Dutzend Frauen haben in den letzten zwei Jahren Vorwürfe gegen Manson erhoben. Die Schauspielerin Evan Rachel Wood nannte ihn am 1. Februar 2021 auf Instagram als den zuvor anonymen Missbrauchstäter, auf den sie sich in Interviews und Zeugenaussagen bezogen hatte. „Er fing an, mich zu groomen, als ich ein Teenager war und missbrauchte mich jahrelang auf schreckliche Weise“, schrieb sie. „Ich wurde einer Gehirnwäsche unterzogen und zur Unterwerfung manipuliert.“

Evan Rachel Wood und Marilyn Manson im Jahr 2007

Mehrere Frauen, darunter die „Game of Thrones“-Darstellerin Esmé Bianco, das Model Ashley Morgan Smithline und Mansons ehemalige Assistentin Ashley Walters haben nicht nur ihre Geschichten öffentlich gemacht, sondern auch Zivilklagen gegen den Sänger eingereicht. Alle Frauen beschrieben ein ähnliches Muster von angeblichem Grooming sowie sexuellen und körperlichen Missbrauch. Die Frauen sprachen mit ROLLING STONE für eine umfassende Untersuchung im Jahr 2021. Über seinen Anwalt wies Manson in dem ROLLING-STONE-Artikel „vehement alle Behauptungen über sexuelle Übergriffe oder Missbrauch von Personen“ zurück.

„Seine Opfer schämten sich sehr dafür, dass sie nicht merkten, was mit ihnen geschah, bis es viel zu spät war“, sagte Bianco. „Er hat es der ganzen Welt erzählt und niemand hat versucht, ihn zu stoppen.“ Bianco und Manson einigten sich im Januar 2023 außergerichtlich auf einen Vergleich. Die Klage von Walters wurde wegen Verjährung abgewiesen. So auch die von Smithline, weil sie eine wichtige Frist versäumte. Eine vierte Klage einer weiteren Unbekannten steht noch aus. Sie behauptet, der Musiker habe sie 2011 in seinem Haus vergewaltigt.

Eine Untersuchung der Polizei in Los Angeles über Manson wegen angeblichen kriminellen Missbrauchs wurde im vergangenen Herbst abgeschlossen und die Ergebnisse der Staatsanwaltschaft vorgelegt. Diese hat sich noch nicht dazu geäußert, ob sie eine Anklage erheben wird.

Im vergangenen Frühjahr verschärfte Wood ihre Anschuldigungen gegen Manson in der HBO-Dokumentation „Phoenix Rising“. In der zweiteiligen Serie behauptete sie, er habe sie und ihre Familie bedroht, falls sie sich äußern würde. Sie beschrieb, wie er sie anfangs angemacht hatte, indem er sagte, er sei ein Fan des Films „Thirteen“. Sie war 14 Jahre alt, als sie in dem Film mitspielte; er sprach sie an als 18 Jahre alt war. Kurz vor der Veröffentlichung von „Phoenix Rising“ reichte Manson eine Klage gegen Wood und ihre Freundin Illma Gore ein – unter anderem wegen Verleumdung und seelischer Belastung.

In einem Auftritt bei der TV-Sendung „The View“ erklärte Wood, sie habe keine Angst vor der Klage. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass ich die Wahrheit auf meiner Seite habe und dass die Wahrheit ans Licht kommen wird“, sagte sie. „Das war eindeutig vor dem Dokumentarfilm geplant. Ich mache diesen Film nicht, um meinen Namen reinzuwaschen. Ich tue das, um Menschen zu schützen und, um Alarm zu schlagen, dass es da draußen eine gefährliche Person gibt. Ich will nicht, dass irgendjemand in seine Nähe kommt. Die Leute können also über mich denken, was sie wollen. Ich muss den Rechtsweg abwarten, und ich bin standhaft wie ein Fels.“

Aus dem Amerikanischen übersetzt, erstmals veröffentlicht auf rollingstone.com

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