Schwester Freiheit: Angel Olsen über Pop und Feminismus

Auf ihrer neuen Platte „My Woman“ gelingt der Sängerin ein souveräner Stilwechsel Richtung Pop. Im Interview zeigt sie sich als sensible Beobachterin ihrer Umwelt.

Angel Olsen gehört zu jenen Menschen, die in einem Gespräch derart hellwach sind, dass man in ihrem Gesicht lesen kann, wie sich die Gedanken in Bewegung setzen. Dabei spricht sie über ihre Musik so abgeklärt wie eine Künstlerin, die schon seit Jahrzehnten im Geschäft ist. In Wirklichkeit veröffentlicht Olsen erst ihr drittes Album.

Mehr zum Thema
Fünf Bücher, die man lesen muss, um die Liebe zu verstehen

Überraschenderweise überrascht es die Sängerin, als sie auf den Titel ihrer neuen Platte angesprochen wird: „My Woman“ – welche Frau könnte gemeint sein? Eine gute Freundin oder ein künstlerisches Vorbild? Für Olsen schwingt in dem Begriff vor allem etwas Degradierendes mit, denn es gebe viele Männer, die ihre Frauen so bezeichnen – um sie anderen als ihren Besitz vorzustellen.

Meditation übers Frausein

Zugleich stecke in dem „My“ auch unendlich viel Liebe – wenn ­eine Frau dies zu einer anderen Frau sage. Dann wird eine Verschwisterung gegen die Schwierigkeiten des Lebens artikuliert, enge Bande, die Freundinnen, Mütter und Töchter oder eben Schwestern ein Leben lang zusammenhalten. Die dritte Studioeinspielung der Musikerin ist eine recht entwaffnende Meditation darüber, was es bedeutet, heute eine Frau zu sein – das machen Songs wie „Woman“, „Sister“ und „Shut Up Kiss Me“ schnell klar.

 

„Es wird ja viel über Frauenrechte und eine neue sexuelle Freiheit gesprochen, aber in den USA sind wir mit großen Veränderungen noch nicht weit vorangekommen“, sagt die 29-Jährige und verweist auf jenes Transgendergesetz in North Carolina, wonach Menschen gezwungen sind, Toiletten aufzusuchen, die zu der Geschlechtsangabe in ihrem Ausweis passen. Bruce Springsteen sagte aus Protest gegen diese Diskriminierung sogar ein Konzert ab. „Ein großartiges und auch notwendiges Zeichen!“, findet Olsen.

Auf der Suche nach einem Stil

Mit „Intern“, dem humorvollen Eröffnungs­stück von „My Woman“, gibt sie der Offenheit ihres Denkens in solchen vermeintlich privaten Fragen auch musikalisch Raum: „Maybe you know that it’s been too long/ Going through the motions as you sing your song/ Doesn’t matter who you are or what you’ve done/ Still gotta wake up and be someone“, heißt es darin – und die Musikerin trägt im dazugehörigen Clip eine glitzernde Perücke aus Lametta. Das sieht aus wie bei Lady Gaga (und klingt sogar ein wenig danach). Doch während die exzentrische Popsängerin ihre Vorbilder willkürlich und zuweilen auch vulgär in einen neuen Stilmix quetscht, will Olsen ihren Helden gerecht werden.

Sie bekennt sich dazu, noch auf der Suche nach einem Stil zu sein – und ihre Lieder beziehen aus dieser ungezwungenen künstlerischen Haltung auch einiges an Stärke. „Ich habe in den vergangenen Jahren viele Gespräche geführt, vor allem mit älteren Menschen, und das hat mich sehr bereichert“, sagt Olsen, die auch einige Zeit der Band von Bonnie „Prince“ Billy angehörte. „So kann ich von zwei Seiten profitieren: meinen eigenen Erfahrungen und den Gedanken anderer.“

Inspiration heißt hinhören, zuschauen

Sie habe gerade die Filmkomödie „Warum eigentlich … bringen wir den Chef nicht um?“ von 1980 gesehen und sei begeistert von den drei Hauptdarstellerinnen, Dolly Parton, Jane Fonda und Lily Tomlin. Minutenlang kann Olsen über Szenen des Films reden, in dem sich drei Frauen ihres tyrannischen Chefs entledigen. Ein etwas albernes, aber fast auch femi­nistisches Werk.

Während auf „Burn Your Fire For No Witness“, ihrer zweiten LP aus dem Jahr 2014, Alternative Country und Grunge brüten, sind die neuen Songs demokratisch aufgeteilt in einen lärmigeren ersten und einen meditativen, oft bittertraurigen zweiten Teil. „Shut Up Kiss Me“ erzählt ungestüm von einem heftigen Beziehungsstreit und der darauffolgenden Erschöpfung der Verliebten. Ein Song, der klingt, als wäre er an einem verregneten Novembertag entstanden.

Sensibel: Angel Olsen
Sensibel: Angel Olsen

Eines der schönsten Stücke, das fast achtminütige „Sister“, überrascht mit Country-Elementen und einem Gitarrensolo, für das sich selbst Crazy Horse nicht schämen müssten. Obwohl Olsen keine Gesangsausbildung hat, steht in Songs wie „Give It Up“ oder dem an Velvet Underground erinnernden, schwermütigen „Heart Shaped Face“ ihre brüchig-dunkle Stimme im Mittelpunkt.

Briefe statt Facebook

„Ich bin mir eigentlich nie so sicher in dem, was ich mache“, schildert die Sängerin ihren Kampf mit den eigenen Texten. „Mir war es aber immer wichtig, zu schreiben und mich auszudrücken.“ Auch ihre Leidenschaft für das Briefeschreiben hat Spuren in ihren Songs hinterlassen. Denn so nachdenklich die Lyrics zuweilen daherkommen: Sie spiegeln fast beiläufig die nicht selten scheiternde Kommunikation zwischen den Menschen und beklagen den von den sozialen Medien angetriebenen Zwang zur unreflektierten Selbstdarstellung.

Die neuen Songs wurden in Los Angeles aufgenommen und sind von so unterschiedlichen Musikern wie Brian Eno, George Harrison und Blondie beeinflusst. „Es ist wahnsinnig bewegend, in einem wirklich großen Studio zu stehen: Überall sind Instrumente, die alle eine imposante Lebens­geschichte haben und von vielen großartigen Musikern gespielt wurden“, erzählt Olsen und lächelt. Auch dies eine Inspiration, die gefruchtet hat – zunächst in einem sehr guten Album.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates