Wieso regiert Rap die deutschen Charts?

Fett wie Helene ­Fischer: Neben Capital Bra und seinen Kollegahs hat nur noch Ed Sheeran ­eine Chance auf Platz 1

Es war eine blumige Routinemeldung an die Branchendienste: „Deutschrap beherrscht Offizielle Deutsche Charts“, so verkündete am 21. September der Hitlisten-Ermittler GfK Entertainment. „Deutschlands HipHop-Stars rappen sich in einen regelrechten Rauschzustand.“ Mal wieder dominiert der Sprechgesang die vorderen Plätze der Singles-Abrechnung: Ironie-Rapper Alligatoah mit seiner Rotwein-Nummer, die Hamburger Reim-Panzer Bonez MC & RAF Camora feat. Gzuz mit „Kokain“. Oder die schweizerisch-kosovarischen Newcomer Loredana & Mozzik („Bonnie & Clyde“). Jede Woche neue derbe Töne.

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Auch bei den Alben lässt sich eine lange Linie durchs Top-Ten-Jahr 2018 ziehen: Kollegah und Farid Bang, Capital Bra, Kontra K, AZ, Gzuz und Olexesh, alle standen auf Platz 1. Da wirken die in derselben Kategorie gelisteten Fanta 4, Sido und Bushido längst wie saturierte Altrocker: zwar irgendwie Rap, aber nicht mehr im Zentrum des Geschehens.

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So fragte sich stellvertretend der Kollege Gerrit Bartels in einem „Tagesspiegel“-Kommentar, welches „Paralleluniversum eigener Art“ da mittlerweile entstanden sei. Eine Rap-Dominanz, statistisch unterfüttert, die allerdings sehr vielen Musikhörern an Arsch und Ohr vorbeigeht. Klar, bei dieser Einschätzung stellt sich erst mal die Frage des Alters. Je jünger, desto hiphop. Und die reimenden Stars der Jugend können auf den Dialog der Generationen locker verzichten.

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Bei der deutschen Ausgabe von Lolla­palooza ließ sich exemplarisch beobachten, welche Wallungen das (ansonsten weniger bekannte) Berliner Frauen-Rap-Duo SXTN bei der Kundschaft bis etwa 25 in der tosenden Stadion­schüssel verursachte: totale Begeisterung. Juju und Nura standen auf der riesigen Bühne ihren männlichen Charts-Kollegen an Kraftmeiereien in nichts nach, während wenig später auf dem Stadionvorfeld die weltberühmte Elektro-Legende Kraftwerk für das etwas ­müde wirkende Ü‑40-Publikum routiniert die Tasten drückte. Der Wachwechsel im Pop hat längst stattgefunden.

Streaming ist das führende Vertriebsmedium

Das Fachblatt „Musikwoche“ analysierte ­Ende Oktober die wirtschaftliche Dimension des Deutschrap-Phänomens, sprach mit zahlreichen Labelmachern und Strippenziehern der Zunft, von Groove Attack über Selfmade Records bis hin zu Chimperator Productions. All die inzwischen fast routinierte Aufregung um stumpfe Texte, politisch unkorrekte Haltung, Frauenverachtung, dicke Autos und Uhren bleibt bei den Rap-Vermarktungs-­Profis außen vor. Und die Erregungswellen der öffentlichen Diskussion interessieren hier auch nicht sehr – schließlich habe sich das Genre früh vom Mainstream unabhängig gemacht. Sie alle sind sich einig, dass da draußen eine virulente (­Underground-)Kultur entstanden ist – gekommen, um zu bleiben. Und dass Strea­ming das führende Vertriebsmedium, der maßgebliche Katalysator ist.

Die gern kolportierten Trick-Mechanismen der Branche dagegen, die eine Charts-Zählung nach Umsätzen durch hochpreisige Special-Limited-­Boxen des jeweiligen Künstlers aushebeln, wirkt eher fürs Ego, wenn man sich für ein, zwei Wochen „Top-Ten-Artist“ nennen darf. „Es ist de facto die stärkste Jugendkultur seit über 20 Jahren“, findet Selfmade-Manager Elvir Omerbegovic. „Da ist kein Ende in Sicht, und es gibt noch viele Kanäle und Flächen zu erobern in Deutschland: das Radio oder den Fashion-Bereich und die Werbeindustrie, wenn man sich Amerika als Vorbild nimmt.“ Dort ist HipHop nicht mehr wie Mainstream verkaufender Underground – dort ist HipHop längst Mainstream.

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