Aus dem Off (13)

Corona-Tagebuchnotizen von Arne Willander: Drinnen

Ein paar Anmerkungen zu der vorzüglichen Gegenwartsserie mit Lavinia Wilson bei ZDFneo.

Das Gegenteil des Eskapismus in künstliche Paradiese und Nostalgie ist das Mitschreiben der laufenden Kosten, der Sturz in die Gegenwart. Während Serien wie „The Crown“, „Das Boot“, „Downton Abbey“ wie Zeitmaschinen die unbehagliche Behaglichkeit der Historie imaginieren, passiert „Drinnen – Im Internet sind alle gleich“ im selben Moment, da man es sieht.

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ZFDneo zeigt seit drei Wochen und zehn Episoden diese frappierende Gruselkomödie über den rasenden Stillstand der sogenannten Corona-Krise als das Tagebuch der Charlotte Thielemann, vulkanisch verkörpert von Lavinia Wilson, die vor dem heimischen Computer in der Berliner Wohnung zwischen Videokonferenzen und Google, YouTube und Tinder, Sprachnachrichten und E-Mails, Pardon!: laviert.

Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs

Ehemann Markus (Barnaby Metschurat) und die (nicht sichtbaren) Kinder sind auf dem brandenburgischen Land und sollen da auch bleiben, denn die Ehe liegt in Scherben; die Chefin der Werbegentur nervt mit einer Präsentation für Hundefutter; die tutigen Eltern (Victoria Trautmannsdorf und Carl-Dietrich Sprenger) begreifen die Verhaltensmaßregeln nicht recht, die Schwester Constanze (Jana Pallaske) lebt gar nicht tiefenentspannt mit einem Affen im thailändischen Dschungel.

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Wir sehen Charlotte mit Kopfhörern vor ihrem Bildschirm und einen Ausschnitt der Wohnung, wir sehen die Bilder von Gesichtern in Videokonferenzen und sich bewegende Gesichter in Gärten, wir hören das Klicken und Klackern der Tastatur und das tiefe, beruhigende Eingangssignal des Apple-Computers. Eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs.

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In der Vorrede (also dem Trailer) zu der Serie haben die Autoren Giulia Becker und Max Bierhals, Tarkan Bagci und Patrick Stenzel die Prämisse eines Lebens virtueller Mobilität formuliert, in dem niemand mehr das Haus verlassen muss. Nun sollen alle zu Hause bleiben – und nichts ist begehrenswerter, als sich frei bewegen zu können.

In der Doppelbedeutung von „Drinnen“ (die Hermitage, das Internet) liegt die unwiderstehliche und abweisbare Pointe dieser jeweils zwölfminütigen Episoden, die in schönster Slapstick-Manier die Komödiensituationen durchbuchstabieren: Charlotte soll eine Kollegin entlassen, die natürlich just von ihren Nöten erzählt, von den finanziellen Sorgen und von der Dialyse ihres Mannes; Charlotte muss eine Präsentation für eine Hundefutter-Kampagne entwerfen; die Agenturchefin womöglich mit dem Virus infiziert zu haben, die Chefin stirbt (aber nachdem sie vor einen Bus gelaufen ist); Charlotte muss die Beerdigung organisieren und die Agentur leiten; Charlotte muss ihren Mann beruhigen (und regt ihn auf) und zwischen Eltern und Schwester vermitteln.

Hier sind alle überfordert

Immerzu hören Leute, was sie nicht hören sollen. „Drinnen“ zeigt den Horror der Gleichzeitigkeit und die Überforderung im Uneigentlichen. Es klingelt an der Tür, es bimmelt im Netz, Männer posieren bei Tinder, eine Auflege-Vibrator und ein riesiger Ballon werden geliefert.

Die einzige sentimentale Note ist auch die einzige melodramatische: Charlotte spricht Nachrichten an ihre tote Schwester Clara als kommentierende Reflexionen der Ereignisse, eine Routine der Kontemplation und Selbstvergewisserung, belastet mit schlechtem Gewissen, weil sie die Schwester nicht vor dem Tod bewahrt hat.

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Und hier flüchtet auch diese flammend gegenwärtige Frau in die Vergangenheit, wenn sie mit der fernen Constanze zu Elton Johns „I’m Still Standing“ tanzt wie einst beim Abiturfest und sich an die komischen Verrenkungen der jüngsten Schwester bei „Feeling like a little kid“ erinnert.

Charlotte Thielemann ist drinnen, aber nicht zu Hause.


Corona-Tagebuchnotizen von Arne Willander

 

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