Neunte Kunst

Robert Crumb rechnet mit dem hässlichen, rassistischen „Amerika“ ab

Der Blick des Kult-Zeichners auf sein verhasstes Heimatland ist mal entlarvend und mal selbstentlarvend.

Robert Crumb ist nicht ohne Grund nach Frankreich emigriert, der „19th-Cen­tury Man“ (Crumb über Crumb) hat sich bewusst für die „Alte Welt“ entschieden – und gegen die hochindustrialisierten, durchkapitalisierten, hässlichen, rassistischen, gewalttätigen, vollends auf den Hund gekommenen USA. Wenn Crumb mit dem Zeichenstift über sein Land und seine Leute meditiert, dann trägt er von Anfang an eine gewaltige Hasslatte vor sich her.

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Die Gegenkultur liebt ihn für sein wütendes Zivilisa­tions-Bashing und das kulturkonservative Gemecker gegen einen Staat, der seine Bürger zu angepassten Konsumenten abrichten will – und übersieht dabei, dass er über „Losungen brüllende Radikale“, die „Alternativkultur der Jugend“ und ihren drogistisch motivierten Messianismus nicht minder herumpöbelt. Man will ihn halt unbedingt eingemeinden und drückt dann auch gern beide Augen zu, wenn er über das Ziel hinausschießt und zu einem rechtsreaktionären Stinkstiefel mutiert, der „modebewusste Frauen, Lesben und Schwuchteln“ beschimpft und als Antidot gegen den Untergang des Abendlandes das Handwerk stärken und „Börsenma­kler, Modeschöpfer, Mannequins, PR-Manager, Aufsichtsräte, ihre Frauen und die ganze High Society“ zu schwerer Feldarbeit verdonnern will.

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Mitunter wähnt man sich eher an einem Honkytonk-Stammtisch im tiefsten Oklahoma als auf den Comic-Seiten einer Underground-­Ikone. Am Ende merkt er allerdings, dass er sich verhoben hat mit seiner Rede an die Nation. „Da bin ich überfordert … Da muss ich zu tief schürfen … Was verstehe ich denn schon davon“, stellt er fest und por­trätiert sich selbst: am Stift kauend, schwitzend, haareraufend. „Ich bin genauso verwirrt wie sonst wer …“

Robert Crumb spült reaktionären Durchfall das Klo hinunter

„Ein paar Worte über unser modernes Amerika“ ist eine zumindest zur Hälfte unbewusste, unkalkulierte Selbsterforschung und letztlich auch -entlarvung. Crumb bietet dem Leser einen ungeschützten Einblick in seine von diversen Idiosynkrasien und Vorurteilen verpestete innere Kloake, er lässt sich gehen, gibt sich eine Weile seinen Animositäten hin. Erst am Ende, nachdem er womöglich vor sich selbst erschrocken ist, nimmt er wieder Vernunft an und spült seinen reaktionären Durchfall das Klo hin­unter.

Eine solche Strategie ist nicht ganz unge­fähr­lich, weil hier Beifall von der falschen Seite droht. Bei seinen kruden Provo-Stücken „Wenn die Nigger …“ bzw. „… die verfluchten Juden an die Macht kommen“, bleibt der dann auch tatsächlich nicht aus. Art Spiegelman und andere haben zu Recht Zweifel angemeldet, ob man Antisemitismus und Rassismus wirksam bekämpfen könne, indem man einfach noch mal den gängigen Stereo­typendreck kommentarlos runterpsalmodiert. Die Absicht ist klar, und trotzdem haben sich die US-Neonazis die Hände gerieben.

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Am besten ist Crumb ohne­hin, wenn sich sein Ressentiment an konkreten Anlässen entzündet, dann ist sein Anti-US-Furor realitätsgesättigt, weniger pauschal, also überzeugender. Wie etwa bei der großartigen Comic-Reportage von der Oscarverleihung im Jahr 1992. Auch hier gießt er kübelweise Häme aus über L.A., diese „hassenswerte Megalopolis“, und schämt sich „für die gesamte Menschheit“, während er über den roten Teppich flaniert, aber wenn er die „harten Gesichter“ und die Machtgeilheit des männlichen Filmvolks und die „Raubtieraugen“ der Frauen porträtiert und zwischen ihnen einen einsamen Spike Lee, der genauso wenig dazuzugehören scheint wie er selbst, dann kann sich seine grandiose Beobachtungsgabe eben auch mal an sprechenden Details bewähren.

Sehnsucht nach dem „alten Amerika“

Mit dem Sammelband „Amerika“ führt Reprodukt seine großformatige Crumb-Prachtausgabe fort, die diesen wegweisenden Comic-Künstler würdigt, wie er es verdient. Erstmals zeigen sich hier jedoch die Grenzen des Konzepts. Eine solche thematische Zusammenstellung lenkt den Blick, verengt ihn aber auch. Zu einem differenzierten Bild von Crumbs USA gehören seine Sehnsucht nach dem „alten Amerika“ unbedingt dazu, dem Folk-Blues der 20er/30er-Jahre und der ländlichen Alltagskultur, der er auf seinen Expeditionen nach raren 78er-Platten begegnet. Und die Acid-­Szene in San Francisco macht ihn nicht nur berühmt, sie bietet ihm eine Weile durchaus Geborgenheit. Man sollte sich also mindestens die Bände „Mister Nost­algia“ und „Fritz The Cat“ danebenlegen.

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