RS-History

Die Rolling Stones und die unglaubliche Story des „Rock And Roll Circus“

Die Geschichte des famosen „Rock And Roll Circus“ der Rolling Stones führt uns zurück in das bekifft swingende London von 1968.

Wie bei allen großen Ideen gibt es über den Ursprung unterschiedliche Darstellungen. Marianne Faithfull, stets kunstsinnig, hält das Zirzensische in Fellinis Filmen und Marcel Carnés „Kinder des Olymp“ für die Inspiration. ­

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David Dalton, im Dezember 1968 Chronist beim „Rolling Stones Rock And Roll Circus“, sieht „Sgt. Pepper“ als Vorbild. Pete Townshend erinnert sich, dass er mit Mick Jagger und Ronnie Lane überlegte, ob man einen musikalischen Wanderzirkus mit einem Güterzug durch die USA reisen lassen könnte – es wäre zu langsam gewesen.

Jagger schwebte dann eine altertümliche Zirkus-Show vor, die fürs Fernsehen aufgezeichnet würde – mit Akrobaten und Clowns und lustigen Verkleidungen, Späßen und Musikern, die das noch swingende London bestimmten und verfügbar ­waren. Neben den Rolling Stones selbst, die soeben „Beggars Banquet“ veröffentlicht hatten.

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Und so wurde es gemacht: Innerhalb von zwei Wochen gab es den „Rolling Stones Rock And Roll Circus“. Jagger war der Zirkusdirektor und Zeremonienmeister, er verpflichtete als Regisseur ­Michael Lindsay-Hogg, den Sohn von Orson ­Welles, der bereits die Musikshow „Ready Steady Go!“ und Videos für „Hey Jude“ und „Jumpin’ Jack Flash“ inszeniert hatte. Hogg erinnert sich in seinem des Vaters würdigen Audiokommentar von 1996 daran, dass Steve Winwood als Sänger einer Supergroup auftreten sollte, am Telefon aber nuschelte, er sei nicht bei Stimme.

John Lennon und Yoko Ono sagten sofort zu

Jagger blätterte durch sein Notizbuch mit Telefonnummern und stutzte bei „M“. Aber Paul McCartney, glaubte er, sei bestimmt nicht spontan dazu bereit. Bei„L“ hatte er seinen Sänger gefunden: Er rief John Lennon an, dessen Neigung zum Unfug so berüchtigt war wie seine Sprunghaftigkeit. Lennon sagte sofort zu – natürlich würde Yoko Ono teilnehmen. Die Band nannte er The Dirty Mac: Eric Clapton und Keith Richards, dazu Hendrix’ Schlagzeuger Mitch Mitchell.

Jagger und Hogg verwarfen eine neue Band, die sich Led Zeppelin nannte: zu viel Blues, zu laut! Und möglicherweise zu nah an den Rolling Stones. Jagger gefiel eine andere neue Band, deren Sänger wie ein irrer Druide aussah und auf einem Bein augen­rollend die Querflöte spielte: Jethro Tull. ­Keine Konkurrenz für Jagger. Marianne Faithfull, Jaggers Geliebte, sollte einen Song singen. Keith Richards bestand darauf, dass der amerikanische Blues-­Gitarrist Taj Mahal engagiert wurde.

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Nach Proben am Vortag begann das Spektakel früh am 11. Dezember 1968 in einer Halle gegenüber einer Zigarettenpapierfabrik. 300 Fans hatten bei einem Preisausschreiben des „NME“ Eintrittskarten gewonnen, auf denen ein Elefant abgebildet war. Am Eingang wurden gelbe und orangefarbene Ponchos und Hüte ausgehändigt. Die klobigen Filmkameras fielen immer wieder aus, von den meisten Auftritten mussten drei oder vier Aufnahmen gemacht werden.

Die Artisten waren Leihgaben von Robert Fossett’s Circus – ein ältliches Trapezkünstlerpaar, ein Feuerschlucker nebst Assistentin, einige Clowns, ein Tomahawkwerfer samt Mädchen auf einem kreisenden Rad und falsche Krankenschwestern. Die Aufnahmen vom Tomhawkwerfer sind verschwunden, so Lindsay-Hogg. „Und die von den Clowns auch.“ Nachdem der Film später nicht gezeigt wurde und die Stones nach Südfrankreich umzogen, verwahrte Stones-Pianist und Roadmanager Ian Stewart die Filmrollen in einer Garage, bis sie 26 Jahre später geborgen und erstmals veröffentlicht wurden – und nun erneut, als Triple-Vinyl, auf CD und DVD.

„Fuckin’ hell, look at her! She’s transcendentally beautiful!“

Wir sehen: Ian Anderson und Jethro Tull mit ihrer noch unbekannten Schratnummer. Dann propellerten The Who die Miniatur-Operette „A Quick One“. Marianne Faithfull sang, hingegossen in einem langen Satinkleid, „Something Better“. Pete Townshend sagte zu Keith Richards: „Fuckin’ hell, look at her! She’s transcendentally beautiful!“ Jagger befragte süffisant-gedehnt den bedröhnten Lennon („Yes, Michael“), der einen Teller mit Essstäbchen hielt – eine Parodie auf den Stones-Anwalt Allen Klein, wie Faithfull glaubt. Auftritt The Dirty Mac: Bei Lennons „Yer Blues“ bewegte sich am Bühnenrand ein schwarzer Sack, in dem sich Yoko versteckt hatte. Der Geiger Ivry Gitlis betrat die Bühne, und während er fiedelte, trat zu seinem Erstaunen Yoko ans Mikrofon und begann zu kreischen. „Man denkt und hofft, dass das Stück gleich zu Ende geht“, kommentiert Lindsay-Hogg. „Aber es geht immer weiter.“

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Es war zwei Uhr morgens, als die Rolling Stones auftraten. Brian Jones sah traurig, zerstört und abwesend aus. „Wir wussten alle, dass es sein letzter Auftritt sein würde“, sagt Townshend. „Er war gelb im Gesicht, dann grün. Er hatte Tränen in den Augen.“ Lindsay-Hogg erzählt, dass Jones einige Tage vorher absagen wollte: „Sie sind gemein zu mir.“ Nach 14 Stunden (Hogg: „Sogar ein Häuflein Nonnen ist nach 14 Stunden nicht mehr in guter Verfassung“) warf sich Jagger in „Jumpin’ Jack Flash“, „Parachute Woman“, „No Expectations“, „You Can’t Always Get What You Want“ und wand sich schließlich zu „Sympathy For The Devil“ auf dem Boden. Er zog sein Hemd aus. Er sang den Zuschauer direkt durch die Kamera an.

Großer Auftritt von The Who

Pete Towns­hend resümiert: „Dieser Tag ist das Zeugnis dafür, dass in dem Chaos, den Drogen, der Absurdität, der Extravaganz, der Eitelkeit, der Leere und den Launen eine Person übrig blieb, um die alles ­kreiste. Ich fragte mich: Wie ist er dazu fähig – und weshalb macht er das? Weil es das ist, was ihn ausmacht. Wie Picasso.“ Um vier Uhr morgens sangen Mick und Keith zwischen den Zuhörern auf der Tribüne „Salt Of The Earth“. Townshend und Keith Moon alberten mit Sitzkissen auf dem Kopf noch immer im Publikum. „Wir hätten es die Who filmen lassen sollen“, scherzt Lindsay-Hogg.

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Der „Rock And Roll Circus“ wurde nie im Fernsehen gesendet. „Drei Monate später wurde Brian Jones gefeuert“, so Michael Lindsay-Hogg. „Sechs Monate später starb er.“ Marianne Faithfull vermutet, die Who seien zu gut gewesen, und „sogar Lennon“ im Vorteil. Der Jagger-Biograf Christopher Andersen schreibt knapp: Als Mick Jagger die Aufnahmen sichtete, war er entsetzt dar­über, wie müde er aussah.

Mark and Colleen Hayward Redferns
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