Was wären Rammstein heute ohne David Lynch?

David Lynch nutzte „Heirate mich“ und „Rammstein“ an prominenter Stelle in seinem Film-Rätsel „Lost Highway“ und machte die Band damit in den USA bekannt. Doch die Verbindung zwischen dem „Mulholland Drive"-Regisseur und den Berlinern geht noch viel tiefer.

Rammstein sind eine der erfolgreichsten deutschen Bands der Gegenwart, das ist unbestritten. Sie haben nicht nur in ihrem Heimatland Erfolg, sie verkaufen auch massig Alben in den USA und haben in Amerika eine treue Fan-Base. Das hat zu einem großen Teil auch damit zu tun, dass sie auf dem Soundtrack eines Films auftauchten, der zwar nicht zu einem Kassenschlager wurde, aber zu fast 100 Prozent genau diejenigen Menschen erreichte, die für die Musik Rammsteins empfänglich sind.

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„Rammstein, ein Mensch brennt“ dröhnt es über pulsierendem Bass und einem hämmernden Gitarrenriff, wenn der zwiegespaltene Held in „Lost Highway“ mit Nasenbluten und schwirrendem Kopf in einem Hotelgang steht. Es ist sozusagen die akustische Anleitung für den von Wut getriebenen Protagonisten, zuzuschlagen. David Lynch hatte Rammstein mit diesem Einsatz – aber auch mit der Verwendung von „Heirate mich“ – auf dem Soundtrack seines enorm wirkungsvollen Films einen Platz eingeräumt, der ihnen zunächst eigentlich gar nicht zugestanden hatte.

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Wie der Regisseur von „Blue Velvet“ und „Twin Peaks“ in einem „Spiegel“-Interview von 1997 erzählte, bekam er vom Management der Band schon lange vor den Dreharbeiten immer wieder Songs zugeschickt. Die Musiker waren nicht nur Fans der verschachtelten, surrealistischen und vor allem auch drastischen Filme des Amerikaners, der direkt mit seinem Debüt, dem Mitternachtsfilm „Eraserhead“, Kinohistorie schrieb, sondern sie empfanden seine suggestiven Leinwandvisionen als idealen Nährboden für ihre muskulösen Klänge und die von Sänger Lindemann zum Brennen gebrachten Zeichen in ihren Texten.

Lynch in dem „Spiegel“-Gespräch: „Schon seit Jahren schickt mir die Band ihre CDs. Ich habe sie nie angehört. Aber dann habe ich zufällig ihr letztes Album aufgelegt – und es war genau das, was ich für ‚Lost Highway‘ brauchte.“ Mehr noch: Die gesamte Filmcrew sei plötzlich verrückt nach der Musik gewesen, als sie Lynch am Set vorspielte und einsetzte. Zig CDs mussten neu aus Deutschland geordert werden, damit jeder hören durfte. Eigentlich hatten Rammstein sich gewünscht, dass Lynch lediglich ein Musikvideo mit ihnen dreht, doch dazu kam es nicht. Die Wirkung der Songs in dem labyrinthischen Drama eines Mannes, der den Verstand verliert und dafür sogar buchstäblich aus der Haut fährt, hätte heftiger nicht sein können. Rammstein waren schlagartig international bekannt.

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Nicht schlecht für eine Formation, deren musikalische Wurzeln im Underground der DDR lagen, die ironiegesättigt mit Schlagwörtern der Romantik und germanischen Symbolen spielten, dabei eben auch geschickt mit faschistischen Winkelzügen und einer Punk-Rhetorik hantierten, die sich im Grunde gegenseitig ausschließen müssten, aber eben – wie es in der Populärkultur manchmal so läuft, als handelte es sich eben fast um eine Art chemische Verbindung – auf teuflische Art amalgamieren.

Rammstein wussten, dass sie zu Lynch passten

Mit ihren Liedern, die Entsetzen und Sentimentalität gleichzeitig feiern, gehen Rammstein ästhetisch einen ähnlichen Weg wie David Lynch. Das an psychoanalytischen Motiven geschulte Perverse und Unheimliche bildet den Kern seiner oftmals unverständlichen, dafür aber mit Bildern und Tönen tief in die Seele der Zuschauer eindringenden Filme, die zwischen offensichtlich postmoderner Ideologie („Wild At Heart“) und hochreflexiver Verwandlung und Zersetzung von Hollywood-Mythen („Mulholland Drive“) und Soap-Opera- bzw. Krimi-Mustern („Twin Peaks“) etwas gänzlich eigenes schufen.

Dieser künstlerische Code, mit dem sowohl Rammstein als auch Lynch Heerscharen an wild argumentierenden Interpreten angezogen, aber auch Kritiker auf den Plan gerufen haben, die nur faulen Zauber hinter all dem grotesken Bombast vermuten, scheint nicht so leicht zu entschlüsseln zu sein. Der Regisseur empfahl sich nach „Lost Highway“ immer wieder als einer der größten Anhänger der Gruppe aus Germany. Seine Filmszenen verhalfen dem Rammstein-Kosmos allerdings auch zu etwas Artifiziellem, Cineastischem, Überwältigendem, das womöglich zunächst gar nicht intendiert war.

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David Lynch

1997 war die Band noch nicht vollständig bei sich angekommen und noch auf der Suche nach einem Stil. Nach dem Einsatz in „Lost Highway“ war dieser dann aber für alle Zeiten gesetzt. Die amerikanische Sicht auf diese deutsche Musik wurde sozusagen zur DNA der Songs von Rammstein. Der morbide Schauer, der das Zitieren von verfaulten Symbolen des Verbotenen auslöst, blieb erhalten – das ironische Spiel mit dem Grauen wurde wie bei Lynch eingepreist und von allen politischen Intentionen befreit. Man könnte es den Preis des Erfolgs für diese Musiker nennen, die eigentlich in einem linken Milieu erste künstlerische Gehversuche machten und nun dazu verdammt waren, die nicht zu stillende Sehnsucht eines vornehmlich amerikanischen Publikums zu bedienen, Nazi- und Fetisch-Ästhetik serviert zu bekommen.

Die Rolle der (dunklen) Sexualität

Bilder können manchmal realer als jede Realität sein. Und so mag es nur naive Menschen überraschen, wenn Rammstein eben auch ausgerechnet zu einem in „Lost Highway“ auf einem Projektor ablaufenden Porno zu hören sind. Zwar hat sich Lynch niemals auch nur ansatzweise dazu bringen lassen, diese Schattenwelt der Körperbilder zu betreten (Sex haftet in seinen Filmen stets etwas Geheimnisvolles, Transzendentes an; in gleich mehreren verwickeln und ändern sich seine Geschichten nach Liebesakten, die allesamt emotional aufgeschüttelt wirken: gewalttätig, traurig, witzig), aber er inszeniert Sexualität oft eben auch makaber und als Performance. Rammstein und vor allem ihr Sänger haben sich dieser Faszination für das im freudschen wie surrealistischen Sinne perverse Sexuelle angeschlossen, und wenn all den Dingen, die nun über die Band und vor allem ihren Frontmann zu hören sind, einen Kreis schließen, dann scheinen sich hier grenzenlose Kunst und entglittene Wirklichkeit auf schauderhafte Art und Weise zu begegnen.

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Lynchs Filme brauchen das Kino oder das Fernsehen, um zu wirken. Rammstein haben dafür neben ihren Songs und ihren Musikclips auch die große Bühne. Hier zählen eben nicht nur die Bilder und die Töne, wenn es danach anderweitig weitergeht. Es mögen Juristen klären, wenn sich der Verdacht erhärtet, dass auf Aftershow-Partys Missbrauch stattgefunden hat – dass ein Musiker möglicherweise gelebt hat, was er als Bühnenfigur eigentlich nur darstellen wollte.

Fakt ist aber auch, dass solche bodenlosen Momente auch einen harten Bruch mit der selbst aufgebauten Fiktion bedeuten. Lynch würde wohl sagen: Wer das Geheimnis verrät (also davon erzählt und es hintertreibt), ist der Totengräber seiner eigenen Kunst.

Christophe Gateau picture alliance/dpa
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