Stings Solo-Debüt „The Dream Of The Blue Turtles“: Alles ist erleuchtet

Vor 35 Jahren erschien das erste Solo-Album von Sting, das Rockmusik via Jazz und mit Gastmusikern wie Branford Marsalis zur ernsten Kunst erhob.

Heute kann man sich das gar nicht mehr vorstellen: Der ehemalige Sänger und Songschreiber der größten Band der Welt veröffentlicht sein erstes Solo-Album. Zuletzt hatte er die größte Platten und den größten Hit des Planeten veröffentlicht. Der Sänger ist Sting, die Band ist The Police, das Album ist „Synchronicity“, der Song ist „Every Breath You Take“.

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Sting hat also Geld wie Heu, er ist auf der Höhe seiner Schaffenskraft, er kann alles. Er engagiert die Jazz-Musiker Omar Hakim, Darryl Jones, Branford Marsalis und Kenny Kirkland und nimmt auf Barbados und im kanadischen Quebec die besten Songs auf, die er hat. Und er hat sehr gute Songs.

Sting gab sich als Guru

Und mit diesen Musikern werden sie noch besser. Jazz ist das Ding, das ist klar, aber Sting will natürlich nur das Flirrende, das Virtuose und den Nimbus des Jazz, denn er schreibt ja fantastische Popsongs. Aber wenn seine Jazzer loslegen, dann ist es die schönste und elaborierteste Musik der Welt: bei „Children’s Crusade“, bei dem alten Police-Stück „Shadows In The Rain“, bei „Consider Me Gone“. „Children’s Crusade“ handelt einerseits von den jungen Menschen, die 1914 in den Ersten Weltkrieg ziehen mussten, und andererseits von den jungen Menschen, die im London des Jahres 1984 Rauschgift konsumierten.

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Sting brauchte kein Rauschgift, er war von sich selbst und seinem eigenen Genie berauscht. „The Dream Of The Blue Turtles“ ist die erste wahrhaft erwachsene Platte der Rockmusik, die mit jedem Ton beglaubigt: Rockmusik ist Kunst. Rockmusik ist Literatur. Rockmusik ist ERNSTHAFT, Leute. Und Sting ist der Magister ludens, der Gelehrte, der Guru.

Prokofjew und T. S. Eliot

Für das Stück „Russians“ verwendete er eine Passage von Sergej Prokofjew aus dem Jahr 1934, der Song wird ein Hit. „Russians“ handelt davon, dass auch die Russen ihre Kinder lieben wie alle Menschen auf der Welt, und Sting erkannte das, als er durch ein Teleskop ins Weltall blickte. Später erkannte er, dass alle Menschen zerbrechlich sind, als er T. S. Eliot las.

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Sting sah auch den Bergarbeiterstreik von 1984 in England, er kommt aus einer Arbeiterstadt im Norden (Schiffsbau, wie man später erfuhr), und deshalb schrieb er „We Work The Black Seam“, in dem es zugleich um die Atomkraft, die Nachhaltigkeit von Carbon 14 und die Unkontrollierbarkeit von Maschinen geht.

„Moon Over Bourbon Street“ wurde von Anne Rices Roman „Interview With A Vampire“ inspiriert, und das New-Orleans-Arrangement sitzt perfekt. Max Schreck bleckt die Zähne, und Brecht und Weill luschern um die Ecke.

Stings Traum von den blauen Schildkröten ist ein sehr kurzes Jazz-Instrumental, bei dem Kenny Kirkland flink Klavier spielt. Sogar diese Fingerübung ist noch eingängig. Eddy Grant spielte Congas bei „Consider Me Gone“. Nie spielte jemand leichter Schlagzeug als Omar Hakim – nach dieser Platte wollten alle Hakim, wenn sie ihn noch nicht vorher wollten. Branford Marsalis‘ Saxofon klingt wie eine Schalmei aus Tausendundeiner Nacht.

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Im Juni 1985 musste man sich kneifen, um daran erinnert zu werden, dass all dies nur eine Platte ist. Sie belegte dann nicht 43 Wochen den ersten Rang aller Charts, sondern Platz zwei in den USA, Platz drei in England, Platz vier in Deutschland.

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Platz eins in England war „Misplaced Childhood“ von Marillion.

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