Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Auf zur Ein-Euro-Kiste!

Klangfetischisten mögen keine schlecht erhaltenen Platten. Dabei sind sie der offene Kamin der Schlechterverdienenden.

Folge 233

Da allenthalben wieder Fadheit herrscht, kann sich glücklich schätzen, wer ein schönes Hobby pflegt. Hier eine Anregung für Lo-Fi-Freaks: Einen Großteil der letzten Wochen verbrachte Ihr Chronist damit, sich seine am schönsten knisternden Platten anzuhören. Die Rede ist, wohlgemerkt, nicht von fiesen Plattenhängern oder jenen grobschlächtigen Vinylknackern, die den Hörer mitten im versunkenen Lauschen aufschrecken lassen wie ein rüdes Klopfen. Ich spreche vielmehr von einem angenehm konsistenten Brutzeln.

Mehr zum Thema
Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Elastisch ins neue Jahr

Platz 1 meiner Knisterparade: das Dave Brubeck Quartet mit „Time Out“. Ein ganz herrlich schlecht erhaltenes Exemplar habe ich da mal vor Jahren ergattern können, es wärmt mich während der dunklen Monate des Jahres, wie es sonst wohl nur ein offener Kamin in einem Kardiologenhaushalt vermöchte.

Man muss das mal so deutlich sagen: Die wohlknisternde Platte ist der offene Kamin des Schlechterverdienenden. Aber da spricht natürlich wieder niemand drüber. Immer geht es nur um Musik, Musik und nochmals Musik. Als ob die je irgendetwas bewirkt hätte.

Ich habe die Platte des Dave Brubeck Quartets unlängst bei einem Freund mal ohne diese Begleitgeräusche (also vermeintlich „klangoptimiert“) gehört, und es war mit einem Schlag alles weg, was mir mein eigenes Exemplar seit Jahren zu einem unverzichtbaren Gefährten macht. Auch meine ollen J.J.-Cale-Platten wären ohne Knistern nur halb so gut.

Youtube Placeholder
An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Neugierig gewordenen Leserinnen, die sich nun anschicken, ihren Platten mit Gewalt eine angemessene Knisterpatina zu verpassen, muss allerdings Einhalt geboten werden: So wie es eine ästhetische Bankrotterklärung ist, sich die Bude mit Shabby-Chic-Möbeln vollzustopfen, die von windigen Gebrauchtmöbelhändlern mit stählernen Bürsten und ebenso stählernen Herzen gewaltsam in den Zustand der Verwitterung geschrubbt wurden, so fehlgeleitet wäre auch das Treiben von Menschen, die an langen Sonntagnachmittagen ihre Barclay-James-Harvest-Platten zwecks vorsätzlicher Verknisterung in die Werkbank spannen.

Nein, so eine Abgerocktheit will natürlich in langen Jahren erworben sein! Für die Suche nach zuschanden gespielten Tonträgern empfiehlt sich das Durchwühlen von Ein-Euro-Kisten im Schallplattenfachgeschäft oder auf dem Flohmarkt. Fortgeschrittene Sammler von Kaminfeuertonträgern adressieren die Händler natürlich direkt: „Entschuldigung, haben Sie unter der Ladentheke noch sehr schlecht erhaltene Platten stehen?“

Man sollte ohnehin öfter nach solch vermeintlich minderwertiger Ware fragen, allein schon um die ganzen Mint-Spießer mit ihren perfekt erhaltenen Erstpressungen unterm Arm zu brüskieren.Man muss sich an die Sache herantasten: Anfangs hört sich jedes Knistern gleich an. Mit der Zeit aber wird man zum Connaisseur, der feinste Unterschiede ausmacht. Die kollateralen Sounds der Brubeck-Platte etwa künden von jahrzehntelangem Einsatz in Jazzpinten, man hört, dass sie mit bierfeuchten Händen gewendet wurde und sich etliche Lagen Zigarettenrauch in die Rillen gegraben haben.

Youtube Placeholder
An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Ganz anders der Knistersound einer frühen Rosanne-Cash-Platte: Hier deutet alles darauf hin, dass einst ein Vorbesitzer der Sitte des Nassabspielens gefrönt haben muss, einer Technik, der heute unter Hi-Fi-Fans mit Argwohn begegnet wird. Am besten gefällt mir jenes akustische Lagerfeuer, das sich auf Platten vernehmen lässt, die vorrangig in Küchen abgespielt wurden und dort mit allerhand Begleiterscheinungen des Kochens in Berührung gekommen sind. Ich besitze eine ganz wundervoll ruinierte Lee-Hazlewood-Platte, in deren Begleitgeräuschen ich Rührei höre, Fischstäbchen und angebrannte Zucchini. Klanggewordener Schwalk.


Mehr Kolumnen von Eric Pfeil


Lachen Sie nur über mich. Denken Sie ruhig Sachen wie: „Ach, der Pfeil, er war ja immer ein Kauz, aber jetzt fährt er wirklich Rolltreppe abwärts in den kolumnistischen Schrullenkeller, lange wird er nicht mehr zu halten sein.“ Von mir aus. Sie mögen meine Begeisterung für die zirpende Rille für Quatsch halten, aber man kommt damit wunderbar durch den langen Winter, und das ist entscheidend!

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates