Der stille Beatle: Die letzten Tage im Leben von George Harrison

George Harrison war nach John Lennon der zweite Beatle, der verstarb. Eine Erinnerung.

„George spielt die Leadgitarre. Er ist der mit dem ausdruckslosen Gesicht zwischen John und Paul. Er ist außerdem vermutlich der beste Musiker, da er einige Stunden Musikunterricht genommen hat, was ihn zum einzigen Mitglied der Gruppe mit Musikausbildung macht. George ist introvertierter als die anderen, und jemand, der ihn interviewt, bekommt vor allem ‚ja‘ und ‚nein‘ als Antwort, mehr nicht. George ist der stillste und jüngste in der Gruppe. […] An seinem Aussehen fällt sofort sein schmales Gesicht auf, die hellen haselnussfarbenen Augen, abgeschattet von seinen Haaren mit dem zotteligen Beatles-Schnitt. Er isst am liebsten Lammkoteletts, aber das Essen ist ihm nicht besonders wichtig. Seine Kragenweite ist 14, Brustumfang 38, Hüfte 30 Zoll. Er ist eins von vier Kindern und war in der Schule besser als der Durchschnitt.“

Mit diesen Worten beschrieb die amerikanische Plattenfirma George Harrison auf dem 1964 erschienenen Plattentext der LP „Songs, Pictures and Stories of the Fabulous Beatles“. Die Verfasser solcher Texte nahmen es im Interesse der Verkäufe mit der Wahrheit häufig nicht so genau. Wer aber war George Harrison? Fakt ist, dass Harrison am 25. Februar 1943 in Liverpool geboren wurde. Als Kind lernte er Paul McCartney im Bus zur Schule kennen, woraus sich schnell eine Freundschaft entwickelte. Die Treibende Kraft war die geteilte Liebe zur Musik, insbesondere zum aufkeimenden Rock ’n‘ Roll. Was sich daraus entwickelte, ist häufig erzählt worden – Quarrymen, Hamburg, Brian Epstein und George Martin, Amerika und die Welt, neue Wege und das Ende der Tourneen, schließlich die Trennung.

„The Beatles“ von links nach rechts: John Lennon (1940-1980), George Harrison (1943-2001), Paul McCartney und Ringo Starr.

Das Leben nach den Beatles

Möchte man das stille Wesen des George Harrison ergründen, lohnt sich vor allem ein Blick auf das, was nach den Beatles mit ihm geschah. George Harrison sollte das erste Beatles-Mitglied sein, das mit „Wonderwall Music“ ein Solo-Album veröffentlichte, und bereits bei den Aufnahmen zum „Weißen Album“ war er emotional und kreativ so frustriert, dass er die Gruppe wütend verließ, um allerdings einige Wochen später zurückzukehren. Nicht der letzte Ausbruchsversuch, wie ein lakonischer Tagebucheintrag vom 19. Januar 1969, als die Beatles in den Twickenham Studios „Let It Be“ filmten,  verrät: „Got up went to Twickenham rehearsed until lunch time – left the Beatles – went home and in the evening did King of Fu (kontroverse Single des Apple-Künstlers Brute Force) at Trident Studio – had chips later at Klaus (Voormann) and Christines went home.“

Die Beatles in Indien

Als Paul McCartney 1970 endgültig den Stecker zog und die Beatles Geschichte waren, veröffentlichte Harrison schon wenig später „All Things Must Pass“ – ein Triple-Album, das er mit all dem Material füllen konnte, das er ursprünglich für die Band geschrieben hatte. Es sollte sein Meisterstück werden und gilt vielen Zeitgenossen noch immer als das gelungenste aller Beatles-Soloversuche. Produziert von Phil Spector, warf das Album mit „My Sweet Lord“ auch den größten Hit seiner Solokarriere ab. Der kommerzielle Erfolg des Songs, einem Zwitter aus honigsüßer Melodie und Mantra, wurde allerdings überschattet, als die Verleger des Chiffons-Hits „He’s So Fine“ auf Plagiat klagten und sich mit dieser Auffassung auch juristisch durchsetzen konnten.

Die Liebe und der Abtritt von der Bühne

Nachdem er Pattie Boyd bei den Dreharbeiten von „A Hard Day’s Night“ kennengelernt hatte (in dem das 19-jährige Model ein Schulmädchen mimte), trat Harrison mit ihr 1966 vor den Altar – der alte Freund Paul fungierte als Trauzeuge. Sie trennten sich 1974, als Boyd mit Eric Clapton zusammenzog, einem seiner engsten Freunde. Vier Jahre später heiratete er Olivia Arias, die bei Harrisons Label Dark Horse in Los Angeles arbeitete. 1978 wurde ihr gemeinsamer Sohn Dhani geborgen.

George Harrison mit Pattie Boyd

Nach „All Things Must Past“ glich seine kommerzielle Karriere eher einer Achterbahnfahrt. Doch auch wenn die begeisterten Kritiken und exorbitanten Plattenverkäufe ausblieben: Auf allen Alben verbargen sich noch wundervolle Momente. Sein kreativer Tiefpunkt kam wohl 1982 mit „Gone Troppo“, seinem letzten Album für fünf Jahre, bis er sich 1987 mit dem von Beatles-Fan und ELO-Boss Jeff Lynne aufpolierten „Cloud Nine“ noch einmal zurückmeldete. Im Jahr darauf schloss er sich mit  Lynne, Bob Dylan, Roy Orbison und Tom Petty zu den Traveling Wilburys zusammen, doch nach zwei Alben sollte sich Harrison aus dem Rampenlicht verabschieden.

Der Messerangriff und die Krankheit

1998 gab er bekannt, die Diagnose Kehlkopfkrebs bekommen zu haben. Die Zigaretten waren ein treuer Begleiter in seinem Leben. Ein Jahr später sorgte er noch einmal für Schlagzeilen, als er in seinem Haus in Friar Park von einem geistesgestörten Einbrecher tätlich angegriffen und schwer verletzt wurde. Seiner Frau Olivia gelang es, den Mann unschädlich zu machen und der Polizei zu übergeben. Während sich Harrison von den Stichwunden erholte, schickte ihm Tom Petty ein Fax mit den Worten: „Bist du nicht froh, ein mexikanisches Mädchen geheiratet zu haben?“

Im Mai 2001 unterzog sich Harrison einer OP, um vom Krebs befallenes Gewebe aus seiner Lunge zu entfernen zu lassen. Wenig später erfolgte eine Behandlung eines Gehirntumors in der Schweiz, bei der ihn Ringo Starr besuchte. Im November des selben Jahres flog George Harrison für eine Krebstherapie nach New York. Die Krankheit hatte in seinem Gehirn gestreut und machte deutlich, dass er nicht mehr viel Zeit haben würde. Am 12. November fanden die noch lebenden Mitglieder der Beatles an seinem Krankenbett noch einmal zusammen, bevor Harrison für seine letzten Tage nach Beverly Hills in das Anwesen Paul McCartneys reiste.

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Was George Harrison hinterließ

Als er schließlich im Alter von 58 Jahren starb, veröffentlichte seine Familie ein Statement, das sein Vermächtnis perfekt auf den Punkt brachte: „Er hat die Welt verlassen, wie er in ihr gelebt hat – mit Vertrauen in Gott, keiner Angst vor dem Tod, mit sich selbst im Frieden und umgeben von seiner Familie und seinen Freunden. Er sagte oft: ‚Alles kann warten, nur eines nicht: die Suche nach Gott – und sich gegenseitig zu lieben.‘“

Harrison verfolgte durchaus Interessen in der „material world“ – als Filmproduzent etwa oder auch als engagierter Beobachter der Formel 1 –, doch die Meditation blieb der Mittelpunkt seines täglichen Lebens. In ihr fand er den Ort, an dem er sich ganz in sich zurückziehen konnte, weit weg vom Ruhm und dem Rock-’n‘-Roll-Zirkus, von dem er sich innerlich längst verabschiedet hatte. Sein adäquates Refugium war Friar Park, das verfallene neugotische Gemäuer in Henley-On-Thames, das er 1970 gekauft hatte. Er verbrachte den Rest seines Lebens damit, den historischen Bau zu renovieren und die 14 Hektar des Parks zu kultivieren; unter anderem errichtete er dort ein Alpendorf in Miniatur, komplett mit einem Matterhorn aus Sandstein.

George Harrison beim Concert for Bangladesh

George Harrisons Bestimmung

„Was wir heute sind, ist das Resultat unseres früheren Verhaltens, was wir morgen sein werden, das Resultat unseres heutigen Verhaltens“, sagte Harrison einmal. „Es gibt Dinge, die vorbestimmt sind. Für mich war es vorbestimmt, bei den Beatles zu spielen – auch wenn ich das damals nicht wusste. Rückblickend gesehen war es eine Falle. Aber gleichzeitig habe ich durchaus auch Einfluss auf meine Bestimmung … Ich könnte versuchen, bis ans Lebensende ein Popstar zu sein, ständig im Fernsehen aufzutauchen und eine Berühmtheit zu sein. Oder ich kann Gärtner werden.“ Am Ende war es genau das, was „Beatle George“ wählte. Der Mann,  der dabei half, das Zeitalter des Pop einzuläuten, fand die größte Genugtuung darin, die Pflanzen in seinem Garten umzutopfen.

Ein Nachruf

ROLLING-STONE-Redakteur Arne Wilander verfasste kurz nach dem Tod von Harrison seinen persönlichen Nachruf:

Meine erste Schallplatte war George Harrisons „Somewhere In England“, 1981. Vorher kannte ich „Sgt. Pepper“, die bei meinen Eltern im Regal stand, und „The Simon & Garfunkel Collection“, wegen „Mrs. Robinson“, „I Am A Rock“ und „The Boxer“. Der Tod Lennons blieb mir unbegreiflich, zu ahnen nur an der Reaktion meiner Eltern und an dem Tod meiner Großmutter. Ein Horror, ein Staunen. Hernach kaufte ich alles Lesbare über Lennon, was ich bekommen konnte (und diese Anstecker für die Jeans-Jacke), wünschte mir endlich auch die Beatles-Platten, als könnte ich damit nachholen, was mir die Eltern unter dem Rubrum „1966“ mit entsprechenden Fotos zeigten.

Die Beatles 1967

Im Herbst 1981 erschien dann „Somewhere In England“ mit dem Song „All Those Years Ago“, an dem Paul und Ringo mitgearbeitet hatten. Es war die Hommage an John („You were the one who made it all so clear“) und das Zeichen der Versöhnung, auf das die Gemeinde gewartet hatte. Heute wissen wir, dass dieses Lied nicht gerade dem spontanen Schmerz Harrisons abgerungen war, noch ist es eine besonders eloquente oder treffende Würdigung. Aber es ist ein guter Song und mehr, als die drei Männer später zustande brachten. „Somewhere In England“ ist eine seltsame, zugleich überladene (vier Schlagzeuger, darunter Starr und Keltner, und überhaupt zu viele Musiker) und muffige Platte. In Songs wie „Unconsciousness Rules“ spricht kein Erleuchteter, sondern ein Skeptiker. Das zeittypische Szenario „Save The World“ endet ironisch im Big Bang.

Beatles auf dem Mond?

George war für mich der Typ, der sie nach Indien und zum Maharishi brachte. Und obwohl ich den Guru eklig fand, behielt die Indien-Phase jenseits alles Religiösen etwas Selbstverständliches. Wohin sonst hätten die berühmtesten Männer der Welt (neben Jesus) gehen sollen? Ins Kloster, ins innere Exil, auf den Mond? Man muss nur an Ringo und seine aus England importierten Bohnenkonserven denken, um zu ermessen, wie groß die Verzweiflung war.

In der „Anthology“ kann man sehen, wie George, der Gärtner, im Freien saß und nicht ohne Bitterkeit vom Ruin seines „nervous System“ berichtete. Diesen Begriff benutzte er oft. Vielleicht war George Harrison am Ende derjenige, der von allen am besten wusste, welchen Preis sie zu zahlen hatten.

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