Kritik: The Revolution in Amsterdam – „Our Clothes, Our Hair – We Don’t Care!“

Prince' Band trat in Amsterdam auf – die Stadt hatte fundamentale Bedeutung für ihn und The Revolution, was nun zu einem erinnerungswürdigen Konzert führte.

Dies ist die wahrscheinlich einzige Band auf der Welt, die zuletzt vor 33 Jahren in Europa gastierte, die auch keinen Song, der jünger ist als 33 Jahre, aufführt, also kein neues Album eingespielt hat, außerdem ohne ihren Anführer unterwegs ist – und die dennoch mit offenen Armen empfangen wird: The Revolution. Das Amsterdamer Paradiso, 1500 Zuschauer passen rein, war schon einen Tag nach Bekanntgabe des Konzerts ausverkauft. Ein Abend in Gedenken an Prince.

Die gegenseitige Liebe zwischen Band und niederländischem Publikum hat einen außergewöhnlichen Grund. Die Dankesrede der Gitarristin Wendy Melvoin geht an diesem Abend weit, weit über jene „It’s great to be back in your city“-Floskel hinaus, mit der andere Musiker Lokalnähe vortäuschen. „Amsterdam“, sagt sie, „ist das Epizentrum von Prince and the Revolution. Hier sind wir zuhause.“ Hier, sagt Melvoin, wurde Prince angenommen, wurde verstanden, was es heißt, wenn ein 20-Jähriger den Mut hat in Unterwäsche auf die Bühne zu gehen, hier wurden „Wendy & Lisa“ (Melvoin und Lisa Coleman waren einst ein Paar) akzeptiert. „Dies ist unser ‚Uptown‘, unser ‚Paisley Park’“, sagt sie, in Anlehnung an die berühmten Prince-Songs; das eine der Ort, wo die Bands spielen, die’s geschafft haben, das andere eine Fantasiewelt, in der jeder Mensch gleichwertig ist.

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Die ersten Revolution-Musiker stießen 1980 zu Prince, ab 1983 nannte man sich „Prince and the Revolution“, und bis zur Auflösung 1986 galten, gar bis heute gelten die fünf Begleitmusiker als beste Band, mit der der Multiinstrumentalist aus Minneapolis zusammenarbeitete. Es ist aufschlussreich, wie die Gruppe ohne den Chef auftritt, welche Lücken sie füllt, welche sie bewusst offen lässt. „Raspberry Beret“ ist ein Popsong, der zum Karaoke-Klassiker aufstieg, der eher leicht anzueignen ist. Schaffte es auch hier ins Set. Das Sex-Crescendo von „Darling Nikki“, darauf weist Melvoin in einer Ansage hin, fasst die Band dagegen nicht an; auch Gesangs-Höllenfahrten wie „The Beautiful Ones“ fehlen, sind nicht wirklich ebenbürtig interpretierbar.

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Und doch bieten diese Europa-Konzerte einige Momente für die Prince-Geschichtsbücher: Kein Revolution-Musiker dürfte „Computer Blue“ vor dieser Tour auf unserem Kontinent je gespielt haben. Vielleicht haben The Revolution die Kirchenlied-Parodie „Let’s Go Crazy“ noch nie zuvor in einer Kirche aufgeführt – das „Paradiso“ ist ein ehemaliges Gotteshaus.

Lollipop und Zahnbohrer

Doctor Matt Fink, hier in Atlanta

„Our Clothes, Our Hair, We Don’t Care!“ sang Prince in „Uptown“, und die Band singt es nun im Chor weiter. Vieles ist wie früher. Keyboarder Dr. Fink trägt seinen grünen Arztkittel und darf mitten in „Controversy“ sein Solo aus „Head“ spielen. Es klingt wie der Zahnarztbohrer eines Mannes vom Mars, und es erstaunt immer wieder festzustellen, dass den Titel „bestes Keyboard-Solo in einem Prince-Song“ wohl nicht Prince selbst für sich beanspruchen konnte, sondern der „Doktor“ in diesem Lied von 1980.

Schlagzeuger Bobby Z. ist 63 und hat noch immer die geradeste Körperhaltung aller Drummer. Keyboarderin Lisa Coleman, die viele für die einzige halten, die Prince an den Tasten ebenbürtig war, kontert Finks Rasereien mit Träumereien wie von Debussy. Brown Mark, den Prince einst als fähigsten Bassisten überhaupt bezeichnete, überrascht am meisten: Mark, der im „Purple Rain“-Film kaum eine Großaufnahme erhielt, den man vor der Revolution-Reunion vielleicht noch nie hat sprechen hören, darf nun nicht nur Lolli lutschen, also anzüglich sein, was der Meister nie erlaubt hätte. Seine Präsenz ist enorm gewachsen, er erinnert an Bootsy Collins mit leicht angeprollten Ansagen: „Make Some Noise!“.

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Wendy Melvoin schließlich übernimmt eine der schwersten Aufgaben: Gitarre für zwei zu spielen, da Prince fehlt. Und es funktioniert: „When Doves Cry“ hat auf Platte einen der markantesten Anfänge, Prince jedoch strich das eröffnende Gitarren-Intro erstaunlich schnell aus den Live-Fassungen – Melvoin erinnert uns nun daran, wie genial doch Prince an den sechs Saiten war. Sie kann wie er spielen: Bei der „Parade“-Tour von 1986 verlagerte er sich weitestgehend auf Tanzen und Piano, die Weggefährtin verantwortete damals schon etliche seiner Gitarren-Passagen.

Und dennoch ähnelt diese Konzertreise nicht der „Parade“-Tour: Die trieb Prince and the Revolution zur Auflösung, weil der Chef immer mehr Musiker auf die Bühne stellte, die Kerntruppe an den Rand gedrängt wurde. The Revolution 2019 ist die „Purple Rain“-Revolution von 1984. Sieben von neun Album-Songs sind im Programm, und die Setlist ähnelt der Erzählung im Film: „Purple Rain“ als letzter Song vor der Zugabe, „I Would Die 4 U“ und „Baby I’m a Star“, die den triumphalen Aufstieg des „Kid“ zementieren, als Zugaben.

Und doch haben sie einen neuen Sänger

Lisa Coleman, hier in Atlanta

Der Autor dieser Zeilen muss gestehen: Ich habe keine Ahnung, wer mittendrin im Konzert plötzlich auf die Bühne gerannt kam. Ein Schlaks mit Partymelone, Dressurreiter-Hose und Sonnenbrille. Der Gesang deutete auf Soul und HipHop hin. Ein Mitglied der Revolution war das jedenfalls nicht. Eine Schnell-Recherche bei Wikipedia ergab: Stokley Williams, ein Sänger und Musiker, der bei einer Gruppe namens Mint Condition spielt, und der, wie sich herausstellt, seit einigen Jahren The Revolution bei einigen Stücken unterstützt.

Man kann nicht wirklich sagen, dass seine Gastauftritte funktionieren. Mit ihm wirken The Revolution nicht mehr wie ein Kollektiv, das ihrem verstorbenen Leader huldigt, sondern wie eine etwas ältere Truppe, die mit etwas jüngerem „Frontmann“ den Neustart wagen will. Der Neuzugang erinnert an Adam Lambert, der Queen auch „eine Frischzellenkur verpassen“ will, aber eine ungewollt satirische Note hinzufügt. Stokley Williams beugt sich nun über den Bass von Brown Mark, lobt den Musiker mit den Worten „funky!“ und „you still remember!“. Man hat nicht geahnt, dass der Routinier Brown Mark Bestätigung braucht, und überhaupt: Prince‘ Musik als „funky“ hervorzuheben, das ist so, als würde man auch nach dem zehnten „Star Wars“-Kinobesuch noch „Genre: Sci-Fi!“ brüllen – es ist überflüssig.

Die Kirchenfenster leuchten

„Am liebsten“, sagt Wendy Melvoin, „würden wir hier eine Residency machen“, also eine ganze Auftrittsreihe nur im „Paradiso“. Es ist ein großer Ort für ein überwiegend großartiges Konzert. Als hätte Prince einen Soundtrack für Gotteshäuser gemacht. In die kehren ja nicht nur fromme Menschen ein, sondern auch solche, die Widersprüche spüren. „I Would Die 4 U“ sang Prince aus der Perspektive Jesus‘. Er würde sterben für die Menschen, und hier findet das Lied nun in einer Kirche statt.

An den Moment, als Wendy & Lisa „Sometimes It Snows in April“ intonieren, wird man sich noch lange erinnern. Prince verstarb in einem April. Das Stück nahmen sie einst zu dritt auf. Nun singen sie nicht mehr zu dritt, sondern zu zweit „Sometimes I wish life was never ending / And all good things, they say, never last“. Die Scheinwerfer sind gedimmt, aber hinter ihnen erstrahlen die Kirchenfenster, in blau und lila.

Chris McKay Getty Images
Chris McKay Getty Images

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