ROLLING-STONE-Reportage: Der Tod der Gitarre

Rock’n’Roll-Romantiker müssen jetzt ganz stark sein: Wirtschaftsmedien berichten, dass es mit der E-Gitarre allmählich bergab gehe. Sinkende Umsätze und ein fehlendes Interesse der Jugend an der Magie der sechs Saiten seien schuld. Sollten wir uns nun ernsthaft Sorgen machen?

Wie sang George Harrison einst so richtig, während Eric Claptons Gitarre sanft dazu ­weinte: „I look at the world and I notice it’s turning.“ Mehr als 60-mal ist die Erde seit der Ankunft des Rock’n’Roll nun schon um die Sonne gekreist, schon oft wurde die elektrische Gitarre in jenen Jahrzehnten voreilig abgeschrieben, und ebenso oft hat sie wieder zurückgejault. „Why My Guitar Gently Weeps“ war nun im ­Juni der Titel eines viel diskutierten und in aller­lei Varia­tionen abgeschriebenen Essays in der „Washing­ton Post“ über den „langsamen, heimlichen Tod der elektrischen Sechssaitigen“. Zur Untermauerung seiner These führte Autor Geoff Edgers dramatische Zahlen ins Treffen: Von den 1,6 Milliarden Dollar Schulden der amerikanischen Verkaufskette Guitar Center bis hin zu bedrohlich fallenden Umsätzen bei den beiden größten Herstellern, Fender und Gibson. Vor allem aber porträtierte er die E-Gitarre als potenziell aussterbendes Instrument am ­Ende seiner kulturellen Relevanz, wenngleich gut geeignet für den Schulunterricht. Die Blockflöte von morgen. Das tat weh.

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„Ich sage ja nun auch schon seit zwei Jahren: Die E-Gitarre ist nicht mehr existent“, bestätigt Michael Steinitz, Besitzer und Verkäufer bei Riverside Guitars, einer holzgetäfelten Gitarrenboutique im wohlhabenden Salzburg. „Weil ja auch der mit ihr verbundene Rock’n’Roll-Traum geplatzt ist. Das ist für die Jugend schon so weit weg. Stattdessen kommen jetzt bei mir zehnjährige Kinder rein und sagen: Schau, Papa, cool, ein Banjo! Das ist dieser ganze Mumford-&-Sons-Wahnsinn. Man will ihnen sagen: Nein, nicht cool, aber schau da drüben an der Wand, da hängen eine Rickenbacker und eine Les Paul. Das ist cool.“

Steinitz, 51, selbst ein fanatischer Gitarrensammler, kommt aus der vielleicht letzten Generation, die den Besitz einer E-Gitarre noch für das Ticket in ein anderes, befreites Leben hielt, wo sich alle von Eltern oder Schule vorgegebenen Erwartungen auf magische Weise aufheben lassen. Er erinnert sich an seine erste Rickenbacker und die Enttäuschung darüber, wie klein sie im Spiegel an ihm aussah. Weil er eben einen halben Kopf größer war als Beatle George. Zum Trost kaufte er sich über die ­Jahre dann noch ein paar Rickenbacker mehr, bis er irgendwann zwar kein großer Rockstar, aber immerhin ein sehr cooler Gitarrenhändler und – unter seinem Kosenamen Stootsie – anerkannter Musiker wurde.

Les Paul für Rechtsanwälte und Zahnärzte

Gewissermaßen hatte die E-Gitarre also ihr Versprechen gehalten. Doch der Zauber hält eben nur an, solange auch der Rest der Welt an ihn glaubt. Das Desinteresse seiner jungen Kundschaft trifft Steinitz entsprechend hart, aber mehr in der Seele als der Kasse. Denn ein gleichzeitiger Boom bei akustischen Instrumenten, sagt er, habe den Einbruch im E‑Gitarren-Verkauf abgefangen. Vielleicht der Ed-Sheeran-Effekt. Der Typ Teenager, der jeden Tag zum Schredden auf der Gitarre seines Begehrs vorbei­kommt, sei dagegen schlicht verschwunden: „Vor Weihnachten musstest du früher immer 20 Starter-Sets auf Lager haben. Jetzt komm ich mit drei Starter-Sets aus, und zwei davon bleiben über. Damals sind die Eltern unbedarft ins Geschäft gekommen und haben gesagt: Ich kenne mich nicht aus, das Kind will E-Gitarre spielen. Das ist völlig vorbei. Das Kind will sicher nicht E-Gitarre spielen. Das Kind will mit dem Handy spielen oder dem neuen iPad.“

Und Jugendliche mit musikalischen Ambitionen finden einen Laptop vielleicht auch handlicher zum Musikmachen als so ein umständliches Ding, für das man im Flugzeug auch noch Übergepäck bezahlen muss. Die E­‑Gitarren-Kunden seien jedenfalls mittlerweile alle jenseits der 30. „Klar gibt’s noch die Les Paul für 10.000 Euro, die du an Zahnärzte und Rechtsanwälte verkaufst“, so Steinitz. „Aber nicht mehr in der Masse, in der diese Gitarren produziert werden. Dazu kommt noch, dass die ganzen Gitarren­sammler ja auch nicht ewig leben. In den nächsten Jahrzehnten werden Sammlungen auf den Markt kommen, ohne dass auch die Kundschaft dafür nachwächst.“

Den Grund für die Überalterung dieser Klientel hat der „Washington Post“-Artikel schnell ausgemacht: Clapton und Co. seien graue alte Männer, es mangle an zeitgenössischen Gitarrenhelden als Vorbilder für die Jugend. „Das hab ich gelesen – was für ein völliger Schwachsinn!“, schäumt Crispin Weir, Gitarrenhändler in der Denmark Street, Londons traditionsreicher Gitarrenmeile. Sein Laden, Regent Sounds, beheimatete einst ein Tonstudio, wo prägende Figuren der E-Gitarren-Geschichte wie die Stones, die Kinks, The Who, Hendrix, Jimmy ­Page und Black Sabbath die Wände zum Wackeln brachten.

„Dieser Quatsch vom Aussterben der Gitarrenhelden nervt mich ungeheuer. Die Leute sind immer so rockfixiert, wenn sie von Gitarren reden“, meint Weir. „Neulich behauptete ­eine Freundin, sie möge keine Gitarren. Ich fragte sie, was sie sonst mag, und sie nannte mir drei Motown-Songs. Alle drei hatten einen treibenden Gitarrenpart. Auch heute kommt die Gitarre in allen möglichen Musikstilen vor, bloß mit moderneren Sounds.“ Und wenn schon die alten Großmeister die Jugend nicht mehr in­spirieren, dann gibt es immerhin eine junge Gitarren­heldin wie Annie Clark alias St. Vincent. Deren ergonomisch speziell auf die weibliche Physis zugeschnittenes, 1700 Euro teures Signature-Modell der Marke Ernie Ball Music Man ist auch bei Regent Sounds auf Lager. Drei Stück wurden davon bereits verkauft. Alle übrigens an männliche Kunden.

„Wir arbeiten verdammt hart im Netz“

Während unseres Gesprächs bei Geschäftsschluss sammelt die Londoner Müllabfuhr einige Armvoll leerer Gitarrenkartons vom Bürgersteig auf – das Tagesgeschäft ist offenbar gut gelaufen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite aber stehen erschreckend viele Läden leer. Schaufenster, in die sich die Nasenabdrücke von Generationen von Möchtegernrockstars eingeprägt haben, sind teils mit Rollläden verschlossen, teils mit Brettern vernagelt. Eines der geschlossenen Geschäftslokale ziert zum Gedenken an Chuck Berry ein großes Bild des Meisters in klassischer Grätsche, seine ES-355 phallisch zwischen den Beinen hängend, daneben seine Lebensdaten: „1926–2017“. Die Denmark Street als letzte Ruhe­stätte des Mythos E-Gitarre?

Ein großer Teil von Crispin Weirs Konkurrenz hat in den vergangenen Monaten das Handtuch geworfen, auch wegen einer bevorstehenden Radikal­erneuerung des Viertels, die das Londoner Gegenstück zu New Yorks Tin Pan Alley zwar nicht ihre pophistorisch wertvollen Fassaden, aber einiges an Geschäftsfläche kosten wird. Dass in seinem Laden indessen immer noch die Umsätze steigen, führt der von der Pomade bis zum Hemd wie ein Zeitreisender aus den Fifties aussehende 44-Jährige nicht zuletzt auf seinen zeitgemäßen Online-Auftritt zurück: „Es gibt viele ältere Händler, die nicht die Energie dafür haben. Die wollen einfach nur Gitarren verkaufen wie früher, und ich verstehe das völlig. Aber wir arbeiten verdammt hart im Netz. So ist das eben im modernen Geschäft.“

Vor allem der deutsche Online-Gigant Thomann.de hat mit seinen europaweit 8,9 ­Millionen Kunden und minimalen Verkaufsmargen die Branche auf den Kopf gestellt. „Die sind das Amazon der Gitarrenwelt. Hans Thomann ist da ganz früh groß reingegangen“, sagt Crispin Weir anerkennend. „Aber die Leute wollen eine Gitarre auch ausprobieren und sehen, wie sie sich anfühlt. Dafür setzt man sich in einen Laden. So eine Entscheidung kann einige Tage dauern, und wir unterstützen das auch.“ Natürlich hilft eine weltberühmte Geschäftsadresse beim Anlocken von Straßenpublikum. „Wir sitzen hier sicher unter einem Regenschirm“, gibt Weir zu.

Die Denmark Street ist eine Blase“, bestätigt Phil Carwardine, Besitzer des Vintage & Modern Guitar Shop, eines für hochwertige Gebrauchtware bekannten Ladens in der putzigen Kleinstadt ­Thame in Oxfordshire. „Hier ist oft lange gar nichts los, man denkt schon an Selbstmord, und dann kommt aus dem Nirgendwo eine Woche, wo alles wieder läuft. Es ist immer gerade genug, um weitermachen zu können. Als wir vor sieben Jahren anfingen, dachten wir, schlimmer kann’s sowieso nicht werden. Und dann kam ­CITES (die im Januar verschärfte Convention on Internatio­nal Trade in Endangered Species of Wild Flora and Fauna mit ihren Auflagen und Verboten im Handel mit Rosenholzprodukten) und dazu noch der Absturz des britischen Pfunds nach dem Brexit-Referendum. Das macht alles wirklich teuer, und die Löhne der Leute steigen nicht.“

Stratocaster, 1970: 16.500 Euro

Während der Londoner Vintage-Händler Angel Music dem ROLLING STONE versichert, der Markt für Sammlerstücke habe sich von seinem Einbruch nach dem Finanzcrash 2008 vollends wieder erholt, teilt Carwardine in der Provinz die skeptische Salzburger Perspektive: „Wie lange werden diese Käufer noch da sein? Der Handel mit Vintage-Gitarren ist was für Leute eines gewissen Alters, die nachholen, was sie sich in ihrer Jugend nicht leisten konnten. Aber wenn man einmal 70 ist, steht eine Stratocaster aus dem ’64er-Jahr auch nicht mehr ganz oben auf der Liste der Dinge, die man im Leben braucht. Bei mir kommen jetzt sogar schon Typen vorbei, die Gitarren aus den Achtzigern suchen, als sie jung waren. Dabei denkt man bei Vintage tradi­tionell eigentlich an die Sixties, aber das kann sich kaum noch jemand leisten.“

Carwardines derzeit teuerste Stücke sind ­eine seltene Stratocaster aus dem Jahr 1970 für 16.500 und eine ’56er Gibson Les Paul Gold Top für rund 28.000 Euro. „Die meisten dieser Gitarren haben kleine Mängel, weil sie viel verwendet wurden“, sagt Carwardine. „Die Gold Top sollte eigentlich 10.000 Euro mehr wert sein. Wenn man etwas wirklich Makelloses findet, wird es sich immer verkaufen, egal zu welchem Preis.“ Das wiederum hat rein gar nichts mit der Funktion der E‑­Gitarre als tatsächlich gespieltem Musik­instrument zu tun, sondern einzig mit ihrem Trophäenwert.

Robert Plant und Jimmy Page

Und während solche für Vitrinen bestimmte Antiquitäten mit jedem Hurrikan und jeder Flut, die die USA heimsucht, rarer und rarer werden, wird der Markt hoffnungslos mit neuen Instrumenten überfüttert. „Die Hersteller können ihre Fließbänder nicht abdrehen“, meint Phil Carwardine. „Das geht alles nirgendwohin, direkt in die Lagerhäuser.“ Wie so viele Kleinhändler musste er seine Verträge mit den großen Marken Gibson und Fender aufgeben, weil deren Vertriebe ihm schlicht unfinanzierbare Lagerbestände aufgezwungen hätten: „Es ist ziemlich parasitär. Natürlich musst du eine Gibson oder eine Fender im Geschäft haben, aber deren Produktpalette ist dermaßen breit. Es lohnt sich nur für die Super­stores, zehn verschiedene Farben von jeder Gitarre an der Wand hängen zu haben. Gibson ist unglaublich, die ziehen dir dein Geld vom Konto und schicken dir dafür einen Lastwagen voller Gitarren. Was aus der Fabrik kommt, musst du nehmen.“

Echte Musiker kommen da mit ihren schmalen Brieftaschen gar nicht erst in Versuchung. David Tattersall von der Band The ­Wave Pictures, einer der seltenen zeitgenössischen Gitarren­helden, hält sich mit ständigem Touren über Wasser. Abend für Abend entlockt er dabei den billigsten Gitarren die aufregendsten Soli. „Solange man sich beim Spielen wohlfühlt, wird eine teure Gitarre nicht besser sein“, erklärt er per Telefon aus dem Bandbus. „Ich kann alle möglichen Gitarren spielen, aber ich klinge immer wie ich. Der Sound kommt vom direkten Kontakt mit den Saiten. Beim Klavier ist eine Barriere dazwischen. Es ist der Hammer, der die Saiten anschlägt. Keith Richards’ rechte Hand klingt dagegen ganz anders als die von Mick Taylor. Wir haben uns gerade vorhin John Fogerty angehört, und auch der klingt wie niemand sonst. Das ist das Aufregende an der Gitarre. Aber diese Art, sich mit ihr persönlich auszudrücken, scheint aus der Mode gekommen zu sein. Ich sehe nicht viele Bands, die so etwas machen, auch wenn ich viele Bands ­sehe, die Gitarren spielen.“

Ein Gräuel: Unterrichtsfach Rockgitarre

Schuld an der Banalisierung des zeitgenössischen Gitarrensounds sei zum Beispiel die inflationäre Verwendung von Effektgeräten: „Überall wo wir hinkommen, sind die Leute über meinen Sound erstaunt, weil ich keine Effekte verwende. Das haben die noch nie gesehen. Dabei sollte das doch der Normalfall sein. Effekte können cool sein, aber sie sind eine Barriere zwischen dir und den Saiten. Bei einem guten Gitarrensound kann man immer noch den Anschlag hören. Das geht auch mit Verzerrung, Neil Young ist ein gutes Beispiel dafür. Ich kann keinen emotionalen Bezug zu jemandem herstellen, der mit Effekten spielt.“ Ein weiterer Gräuel sind Tattersall die überall aus dem Boden geschossenen Musikschulen mit Unterrichtsfach Rockgitarre: „Die stellen einen Haufen Regeln auf, aber alle gute Musik ist letztlich idiosynkratisch oder zumindest ein Regel­bruch. Die Idee einer Rock’n’Roll-Schule ist daher ein Widerspruch in sich.“

Diese Meinung steht allerdings quer zu den Strategien der Firma Fender. Jener jungen Zielgruppe, die ihre Kindheit mit der Plastik-­Axt von Guitar Hero an der Spiel­konsole verbrachte und sich von der Realität der schneidenden Stahlsaiten abgeschreckt fühlen könnte, bietet der Gitarrenhersteller neuerdings Online-­Gitarrenkurse an, mit hippen jungen Lehrern, die einem in effizienten Lektionen alle erwünschten Riffs, Songs und Techniken beibringen – nur ­eine von vielen Innovationen des 2015 nach einer Managerkarriere bei Nike und Disney zu Fender gestoßenen CEOs Andy Mooney. In einem Interview verglich er das Gitarrengeschäft kürzlich mit dem Sportartikelhandel: „In der Ski-Industrie zum Beispiel tut sich ewig lange nichts, dann erfindet einer den Carving-Ski, und alle müssen ihn haben.“

Mooney war übrigens auch der Mann, der bei Disney auf die Idee kam, markeneigene Prinzessinnenkleider zu verkaufen. Er versteht wohl, dass die überwiegende Zahl seiner Kunden die E-Gitarre ebenso als Accessoire eines Rockstar-Rollenspiels verwendet. Sein Pendant bei Gibson, der umstrittene CEO Henry Juszkiewicz, hat, auch dem Innovationsprinzip folgend, ein Vermögen in die Entwicklung sich selbsttätig stimmender Gitarren versenkt, die seine konservative Kundschaft – zu Recht – nicht kaufen wollte. Im ­Juni empörte er die Gitarrenwelt mit der erklärten Ambition, die Firma zu einer „Music-Lifestyle“-Marke, wörtlich „zum Nike der Musikwelt“, auszubauen. Dazu gehören Investitionen in eine digitale Entwicklungswerkstatt im Apple-Städtchen Cupertino, ein kommender Flagship-Store in West Hollywood sowie der 2014 erfolgte Ankauf der Hi‑Fi-Sparte des Philips-Konzerns zwecks Vorstoß in die Unterhaltungselektronik. „Das ist lächerlich und kann nicht funktionieren“, sagt Crispin Weir. „Gibson war immer die traditionelle und Fender die radikale Marke. Es ist einfach dumm, von dem abzugehen, was man seit hundert Jahren gut macht.“ Ist die Branche also in Wahrheit nicht durch den vermeintlichen Tod der E-Gitarre gefährdet, sondern durch den Größenwahn ihrer Manager?

„Marketing-Bullshit ankurbeln“

Ein markantes Gegenbeispiel ist die mit den Beatles, den Byrds oder den frühen Who assoziierte Liebhaber­marke Rickenbacker, die immer noch als Familienbetrieb im kalifornischen Santa Ana geführt wird. Von hier kamen die futuristischen Halbakustischen mit Schalllöchern in Katzenaugen­form, mit denen Roger McGuinn „Eight Miles High“ fliegen konnte. Oder John Lennons kleine 325er, die er Ende 1962 von Naturfarbe auf Schwarz umlackieren ließ. Oder die Bässe, die – zum Beweis von David Tattersalls These – in den Händen eines Lemmy so ganz anders klangen als in denen eines Paul McCartney.

Ben Hall, Rickenbackers Fabrikverwalter und Sohn des Firmenchefs, John Hall, macht keinen Hehl daraus, dass auch seine Firma gewisse Rückgänge verzeichnet: „Seit der Finanzkrise 2008 haben viele kleinere familiengeführte Läden geschlossen, mit denen wir gutes Geschäft machten. Die Popmusik ist auch ein starker Einfluss. Rap und EDM regieren die Charts, und dafür braucht man keine zwölfsaitigen Gitarren.“ Rickenbackers Einstieg in den Lifestyle-Sektor ist laut Hall jedenfalls nicht zu erwarten: „Pausenloses Wachstum und die Idee, dass du stirbst, wenn du nicht expandierst, sind die Essenz unserer Wirtschaftskultur. Und wenn die Verkäufe von Stratocasters und Les Pauls stagnieren oder nachlassen, wird eben der Marketing-Bullshit angekurbelt, um den Kunden dasselbe Produkt noch einmal zu verkaufen. Ich will aber nicht expandieren. An dem Tag, da ich nicht mehr durch meine Fabrik gehen und jeden dort beim Namen nennen kann, würde ich sofort aufhören.“

Angesichts solch altmodischer Vernunft wirkt die Frage nach dem Überleben der E-Gitarre mit einem Mal ziemlich kindisch. Natürlich wird sie überleben, aber wohl auf weit kleinerem Fuß als in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Und eigentlich wäre das auch gar keine schlechte Sache. Wenn einmal der Lifestyle-Zirkus weitergezogen ist und alle Schools of Rock Vergangenheit sind, wird die Geschichte der E-Gitarre eben wieder von Neuem anfangen. Denn als simples musikalisches Werkzeug, auf dem sich Dilettanten und Meister gleichermaßen taktil, expressiv und spontan verwirklichen können, ist sie kaum zu überbieten.
„Der Brunnen“, sagt Ben Hall, „ist noch lange nicht ausgetrocknet.“

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